Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 2, 1970

Josef Laßl Ehe das Werk reif war.— Zwei literarische Porträts Der Spruch: Wen die Götter lieben, den lassen sie bald sterben, nimmt seinen Trost aus der Erkenntnis, daß dem Frühvollende ten die Öde der Wiederholung erspart bleibt und er nur Unauswechselbares ver bucht. Dichte vertritt Länge. Der junge Tote erreicht mit seinem Wenigen, was anderen — trotz aller Gaben und Stufen — immer versagt ist. Mag sein Vermächtnis noch so gering sein, weil er endete, ehe das Werk reif war, es wiegt schwer durch seine Hinweise und Entwürfe. Die Gebro chenheit vor der Zeit läßt umso idealer die Gegenwart des Ewigen erahnen als Blüte. Die Signatur der Frühvollendung ist das Fragment: das Bruchstück nicht nur als Zeichen der verhinderten Entfaltung, son dern als Form der Persönlichkeit und als Ausdruck der Epoche. Das Fragment als Form und Ausdruck begriffen aber heißt gedeutet haben, daß in der Frühvollendung der Gedanke der Schöpfung nicht fertig wurde, sondern daß das Erglühen zum Schaffen das Schönere war. Daher steht so oft statt der Gestaltung die Expression des Lallens und Schreiens, statt der Bän digung die Explosion des Drängens und Unbezähmten, statt der Glätte und Wohl gefälligkeit das Ekstatische und Wollüstige. Tagebuch und Briefschaften sind neben dem Aphorismus die gängigen Mittel, das Ich in der Welt und die Welt im Ich zu spiegeln. Jugend weiß mit ihrer Kraft meist nicht wohin. Sie schaut, was die Alten tun. Doch deren Meisterschaft in der Beschränkung ist nicht von ihrer Art. So trifft die Her anwachsenden Rat- und Rastlosigkeit doppelt schmerzlich. Sie fühlen sich allein und einsam, ohne das Heilsame an ihrer verworrenen Lage zu spüren. Sie toben, weil sie glauben, daß der Protest ihnen Befreiung bringt. Sie stürmen, ohne zu fragen. Ihnen gilt Olympia und Golgatha gleichviel. Lang ist die Reihe, weil sich mit jedem neuen Geschlechte die Ereignisse des Reifens und Eingliederns wiederholen, und grausam sind die Schicksale derer, die als Opfernde und Geopferte im Ernstspiel der Weltgeschichte und im Wellensturz von Erhalten und Vergehen das Leben als der Güter höchstes eingefordert und dar gebracht haben. Aus den Porträts des Lan des Oberösterreich seien zwei heraus gegriffen: der expressionistische Drama tiker Walter Nikodemus Thöni und der hymnische Lyriker Bruno Ammering, deren Gedächtniserweckung einer literarischen Entdeckung die posthume Ehre läßt. Walter Nikodemus Thöni Es ist bis heute nichts gedruckt von ihm. In einem Dutzend Vervielfältigungen ver barg sich sein szenischer Entwurf, den der Zweiundzwanzigjährige mehr dem Zufall des Suchens als dem Glücksfall des Findens überließ. Die Hinterlassenschaft vererbte sich in privatem Bewahren. Es ist fraglich, ob sie sich zwei Generationen später zu erneuerter Kraft entbinden kann. Der am 28.November 1903 in Linz geborene Walter Nikodemus Thöni, dessen Herkunft auf Südtiroler Ahnen verweist, wurde von den Sturmfluten der Ausdruckskunst erfaßt und geschliffen. Die Spuren August Strindbergs sind unschwer zu verfolgen. Wenn der ekstatische Exkurs, der kaum fünfzig Schreibmaschinenseiten ausmacht, zur Zeit des Entstehens — Mitte Juni bis Anfang September 1923 — literarhistorisch nicht eingeordnet wurde,so ist die damalige Unbekanntheit des Autors daran schuld. Die Arbeit, zu der auch Gedichte zählten, kannten nur wenige Freunde, falls man mit dieser Be- und Auszeichnung hoch grei fen darf. Als Walter Nikodemus Thöni am 9. März 1925 starb, nahm niemand an, daß er mit seinen lyrisch-pathetischen Ver suchen, die man gattungsmäßig nach den üblichen Einteilungen gar nicht bestimmen kann, nach vierzig Jahren wieder aufer stehen werde. Der Schicksalsgang hebt sich nicht unge wöhnlich vom Durchschnitt ab. In der Wald eggstraße 7/1 wuchs er auf, besuchte die Volksschule und dann das Realgymnasium seiner Heimatstadt, mußte aber vor Er reichung der Matura das Studium ab brechen, da sein Vater, der Reisekaufmann Nikodemus Thöni, bereits 1918 starb. In der Bank für Oberösterreich und Salzburg erhielt der Halbverwaiste eine Stellung, 1923 wurde er von seiner Direktion nach Wien versetzt. Im Jänner 1924 erkrankte er. Er kam nach Linz zurück. Im Mai wurde er in die Vorarlberger Lungenheilanstalt Gaisbühel eingewiesen, im August folgte eine Nacherholung im Höhenluftkurort Latern im Montafon, ab September häus liche Pflege bis Ende Dezember 1924. Dann sollte Meran (Obermais) Gesundung brin gen, doch der Tod ist nicht mehr aufzu halten. Walter Nikodemus Thöni wurde auf dem Linzer evangelischen Friedhof bei gesetzt. In diese wenigen von Beruf und Spital be stimmten Jahre ist die schöpferische Ent wicklung gezwängt, die sich in Selbster kenntnis und Ichbespiegelung entäußert. Lektüre hilft über jene Bildungslücken hin weg, die die Schule offen ließ. Sie führt mit ihren Phantasieerfüllungen aus den All täglichkeiten, daran der junge Mensch lei det. Die Zeit ist wirtschaftlich trist, jeder Notgroschen wird gebraucht. Im Mai 1922 hatte der Neunzehnjährige ein als sehr schön geltendes Mädchen kennengelernt.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2