Oberösterreich, 19. Jahrgang, Heft 2, 1969

sondere Schwerpunktsetzung, d.h. Aus wahl von Werken, die das Orchester ge rade noch gestalten kann) sieht Pro fessor Wöss durch das Brucknerhaus die Möglichkeit, das Brucknerorchester zu einem Weltklasse-Orchester zu führen. In einer ersten Etappe, die bis zur Er öffnung des Brucknerhauses (1973) er reicht werden könnte, müßte das Orche ster auf einen Stand von 93 Mitgliedern erhöht werden. Damit könnten musi kalische Bedürfnisse der Stadt Linz, aber auch des Landes Oberösterreich erfüllt werden. Zusätzlich zu den bisherigen Verpflichtungen des Orchesters für das Landestheater und die Musikdirektion könnten,um den musikalischen Weg un seres Heimatlandes weiterhin aufwärts zu führen, folgende Möglichkeiten reali siert werden: Symphoniekonzerte in Oberösterreichs Städten, wie Wels, Steyr, Bad Ischl, Gmunden usw. (je nach Größe der Städte ein bis vier Kon zerte pro Saison), Werkskonzerte, Kir chenkonzerte, Jugendkonzerte und Sere naden. Dazu kommen noch OrchesterInanspruchnahmen durch Fremdver anstalter (Arbeiterkammer, Linzer Sing akademie, Brucknerbund, Brucknerchor etc.) sowie offizielle Feiern (z. B. Staats feiertag). Nach entsprechender Entwick lung ist auch an Konzertreisen ins Aus land gedacht (ein bis zwei Wochen pro Saison), an Schallplattenaufnahmen und nicht zuletzt an ein jährliches Bruckner fest in Linz und St. Florian. Wenn man den Vorschlag von Professor Wöss nüchtern betrachtet, bietet die Aufstockung des Orchesters auf 93 Mit glieder (d. h. zusätzliches Engagement von insgesamt 15 Musikern in den näch sten drei Jahren mit einem schließlichen zusätzlichen Kostenaufwand von 1,8 Millionen Schilling pro Jahr) die Mög lichkeit, 1. neben dem Theater auch das Bruck nerhaus zu bespielen, d. h. zu gleicher Zeit im Theater eine Operette oder Spieloper zu geben und ein Symphonie konzert durchzuführen — für die große Oper und große Symphoniekonzerte stünde natürlich das gesamte Orchester zur Verfügung; 2. wie Theateraufführungen so auch Konzerte in oberösterreichischen Be zirksorten durchzuführen. Damit wäre neben einer geplanten Intensivierung des Linzer Musiklebens auch eine Förde rung der Musikkultur im ganzen Land Oberösterreich möglich. Wenn man ver gleichsweise an das Grazer Philharmo nische Orchester, das auch die Grazer Bühnen bespielen muß, denkt, oder an die Niederösterreichischen Tonkünstler — jedes dieser Orchester zählt über 100 Mitglieder —, dann erkennt man leicht, daß der Vorschlag von Prof. Wöss durch aus nicht überschwenglich ist, sondern im Grunde genommen nur ein Nach ziehverfahren bedeutet, das mit dem Bau des Brucknerhauses fällig geworden ist. Die Saalfrage Ein entscheidendes Hemmnis der musi kalischen Nachkriegsentwicklung war die ungelöste Saalfrage, der Ersatz für die zerbombten Säle. Was hat Linz und Oberösterreich im zweiten Weltkrieg verloren? Die Süd bahnhalle und den städtischen Volks gartensaal. Die Südbahnhalle wurde im Jahre 1902 erbaut. Der Linzer Turn verein hatte damals den kühnen Ent schluß gefaßt, eine Turnfesthalle für mindestens 5000 Personen zu erbauen. Die Gemeinde genehmigte die Erbauung auf den Südbahnhofgründen und stellte die spätere Ablösung der Halle durch die Stadt in Aussicht. Beneidenswert heute noch — oder heute wieder? — der zeitgenössische Bericht in der damaligen „Tagespost", der mit den Worten be ginnt: „Weit über 4000 Menschen, allen Ständen der Linzer Bevölkerung angehö rig, haben sich gestern in der Turnfest halle eingefunden, die einen prachtvol len, imponierenden Eindruck bot...". Im Jahre 1903 erhielt Linz den neuen Volksgartensaal mit über 1100 Sitzplät zen. Die Südbahnhalle ist 1945 abge brannt, der Volksgarten wurde 1944 ein Opfer der Bomben. Damit hatte Linz — wenn wir heutige Begriffe verwenden — seine Stadthalle und seine Brucknerhalle verloren. Die Südbahnhalle hat im Sta dionneubau 1951 wenigstens einen teil weisen Ersatz gefunden, der Volksgar tensaal, der den großen Linzer Konzert haussaal darstellte, wird durch das Brucknerhaus ersetzt werden. Die Konzertveranstaltungen waren nach 1945 und sind heute noch auf den 1898 in Neubarockformen erbauten Saal des Kaufmännischen Vereinshauses ange wiesen. Dieser Saal faßt 686 Sitzplätze (Parterre 616 und Galerie 70) und 120 kommissionierte Stehplätze. Im Jahre 1900 hatte Linz 58.791 Ein wohner, heute ist die 200.000er-Grenze überschritten. Damals kam auf 85,7 Ein wohner ein Sitzplatz, das bedeutet ver hältnismäßig, daß heute in Linz ein gro ßer Konzertsaal mindestens 2000 Sitz plätze haben müßte. In Ermangelung eines genügend großen Konzertsaales müssen heute noch die Symphoniekon zerte trotz größter UnWirtschaftlichkeit mit zwei bis drei Aufführungen im Kaufmännischen Vereinshaus durch geführt werden. Das Symphoniekonzert vom 21. April 1950, erstmals mit einem auswärtigen Dirigenten (Clemens Krauß) und einem auswärtigen Solisten (Enrico Mainardi), wurde versuchsweise im Turnsaal der Diesterwegschule veranstaltet. Damit er wies sich zwar das Mangelhafte der Akustik, das Störende des unpassenden Rahmens, das völlig Unzureichende der Garderoben, die unzulängliche Improvi sation von Künstlerzimmern und Ne benräumen, das gänzliche Fehlen von Foyers usw., immerhin aber erwies sich auch, daß der Turnsaal für einige Kon zerte in den Monaten vor allem der war men Jahreszeit als Notbehelf dienen kann. Wenn auch die Turnhalle als Konzertsaal allgemein abgelehnt wird und viele Linzer vor allem aus künstle rischen und gesellschaftlichen Gründen sie überhaupt meiden, waren die Kon zerte seither in der Regel ausverkauft, das heißt, daß alle polizeilich zugelas senen 1298 Sitzplätze und oft auch alle 200 erlaubten Stehplätze besetzt waren. Linz hat seit Jahren sein sich noch stän dig vergrößerndes Konzertpublikum,das auf endgültige Bereinigung der ebenso unwürdigen wie unerträglichen Saalver hältnisse drängt. Der Wiederaufbau des Volksgartens wurde schon seit 1946 betrieben. Selbst im Kampf um das tägliche Brot in einer vom Krieg stark mitgenommenen Stadt standen viele Bewohner unter dem Ein druck, daß ein kultureller Aufbau, vor allem der Wiederaufbau der Musikkul tur, ohne Ersatz für die zerstörten Säle nicht denkbar sei. In der konstituierenden Sitzung des Ge meinderates vom 27. Oktober 1949 nannte Bürgermeister Dr. Koref unter den Aufgaben des Wiederaufbaues und der Neugestaltung der Stadt den Wie deraufbau des zerbombten städtischen Volksgartengebäudes mit einem (dama ligen) Kostenaufwand von 15 Millionen Schilling und die Erneuerung der Sport plätze sowie Schaffung eines der Größe der Stadt entsprechenden Stadions mit ebenfalls 15 Millionen Schilling. Das Stadion wurde in den Jahren 1950 bis 1952 um rund 9 Millionen Schilling ge baut und in den folgenden Jahren bis einschließlich 1963 um über 3,5 Millio nen Schilling weiter ausgebaut. Für den Volksgarten-Wiederaufbau erarbeitete Dipl.-Ing. Wilhelm Teichtmeister ein Projekt. Im Sommer 1951 lagen die bau reifen Pläne vor; das Hochbauamt wurde mit der Ausschreibung für die Rohbau herstellung des Konzertsaales (1370 Sitzplätze), der Wandelhalle und des Kopftraktes beauftragt (Präsidialverfü gung vom 5. September 1951). Für den Stadionbau hat die Stadt eigene Haushaltsmittel vorgesehen, der Volks garten-Wiederaufbau wurde von der Er langung eines ERP-Kredites abhängig gemacht, der für produktive Zwecke ge geben werden konnte (Gemeinderats sitzung vom 12. Oktober 1951). Das Stadion wurde gebaut, das Volksgarten projekt aber fiel.

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