Oberösterreich, 19. Jahrgang, Heft 2, 1969

Rudolf Walter Litschel Aus den Anfängen der Linzer Theaterkritik Hinweise aus einem entstehenden Buch unter dem Titel ,,Die Linzer Theaterkritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart". Als am 24. Februar 1825 im Linzer „Bürgerblatt" eine Theaterkritik veröffentlicht wurde, die mit „K." gezeichnet war und der Aufführung von August Wilhelm Ifflands „Dienstpflicht" galt, mögen die Leser mehr als erstaunt gewesen sein; der Rezensent bot nicht nur eine umfassende Inhaltsangabe, sondern vermerkte auch die Namen der Schauspieler — Erscheinungen, die bislang in der Presse der oberösterreichischen Landeshauptstadt unbekannt waren und an die man sich erst gewöhnen mußte. Die Ursache für diese „Verspätung" ist nun vorwiegend darin zu suchen, daß es in Linz an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert nur eine Zeitung gab, und zwar die „Linzer Zeitung", über die Sartori in seiner Reisebeschreibung von 1811 berichtete: „Die ,Linzer Zeitung' ist sowohl dem Inhalte, als auch dem äußerlichen Ansehen nach eine der elendsten in der Monarchie; sie scheint mit Schuhwichs auf Löschpapier gedruckt und ist nichts anderes als ein Buchstabenauszug aus der ,Wiener Zeitung'". Mit diesem harten Urteil mag Sartori ein wenig über das Ziel geschossen haben, aber im gesamten betrachtet hatte er recht: die „Linzer Zeitung" bot kaum lokale Nachrichten und schon gar nicht auf kulturellem Terrain: die Eröffnung des Landestheaters im Oktober 1803 wurde mit einer fünf Zeilen langen Ankündigung und einer ebenso langen Notiz vermerkt. Auch in den folgenden Jahren änderte sich an dieser Haltung nichts: nur höchst spora disch stößt man auf Berichte über Wohltätigkeitsvorstellungen und Dilettantenaufführungen, wobei es keineswegs um kritische Würdigungen ging, sondern vielmehr um Meldungen vom Reinertrag und um den Dank an die Mitwirkenden und Spender. Innerhalb von zwei Jahrzehnten veröffentlichte die „Linzer Zeitung" lediglich zwei Beiträge, die den Rang von Rezensionen beanspruchen konnten: der eine beschäftigte sich mit einem Stück Kotzebues, in dem ein taubstummer Knabe mitwirkte, der andere schilderte ein Konzert der Sängerin Coda aus Bologna im Redoutensaal. Es ist deshalb verständlich, daß immer deutlicher der Wunsch nach einer Linzer Theaterzeitschrift ausgesprochen wurde. Der erste, der sich mit dieser Thematik befaßte, war der Schau spieler Eckhart, der bereits 1805 eine „Wochenschrift über Kunst und Geschmack" plante — ob das Projekt verwirk licht werden konnte,läßt sich heute nicht mehr feststellen. Die Situation wandelte sich rasch, als das Linzer „Bürgerblatt" erschien und Franz Xaver Glöggl — geboren 1764 zu Linz und Stadtmusikmeister — seine „Musikalische Zeitung für die österreichischen Staaten" gründete. Glöggls Berichte ver mitteln ein vortreffliches Bild vom Theater- und Musikleben der oberösterreichischen Landeshauptstadt während der napoleonischen Epoche und der Direktion des überaus tüchtigen Josef Mire, der für das Haus an der Promenade viel leistete. Trotzdem darf man nicht erwarten, daß nun eine Linzer Theaterkritik im Sinne unserer Zeit einsetzte: im allgemeinen begnügte man sich mit einer Beschreibung der Stücke und schloß sich damit jenem Lager an, in dem die Meinung vor herrschte, daß die Leistungen der Schauspieler nicht beurteilt werden dürfen. Wie sehr diese Meinung auch außerhalb Linz kursierte, beweist jene Affäre, in die um 1818 der bekannte Wiener Schriftsteller und Lokalhistoriker Franz Gräffer verwickelt wurde: als er ein literarisches Journal herausgeben wollte, mußte er nicht nur warten, bis er die Erlaubnis zur Veröffentlichung von Rezensionen erhielt, sondern man ver bot ihm, die Namen der Akteure zu nennen — die Besprechun gen hatten ausschließlich den Werken zu gelten. Dessenungeachtet ließ sich die Entwicklung nicht aufhalten: Gräffer kritisierte alsbald wie er wollte, und so kam es auch in Linz — wie bereits vermerkt — im Februar 1825 zur ersten vollgültigen Theaterrezension. Die von „K." gezeichneten Berichte waren zumeist sehr ausführlich gehalten und beschäftigten sich mit vielen Problemen. „K." entsprach damit einem echten Verlangen: das Landestheater erlebte gerade unter Direktor Josef Pellet seine erste Glanzzeit und schickte sich an, ein Zentrum für alle kunstliebenden Linzer zu werden. „K." unterstützte Pellet wann und wie er nur konnte — leider nicht sehr lange, denn als „K." befürchten mußte, als Carl Adam Kaltenbrunner erkannt zu werden, schied er aus der Redaktion mit dem Hinweis, daß der Kritiker „seinen Stand und vorzüglich sein Geschlecht ver leugnen, kalt gegen das Individuum, warm für die Kunst und seinen Beruf sein müsse. Der Rezensent muß dem Publikum und den Schauspielern durchaus unbekannt bleiben: nur so kann er entsprechen und wie ein unsichtbarer Genius hier den Geschmack belauschen, dort ihn leiten und wohl tätig für beide Teile — für Publikum und Schauspieler — wirken". Da C. A. Kaltenbrunner ohne Nachfolge blieb, verstummte die Kritik wieder fast völlig. Es währte bis 1838, ehe neuer lich regelmäßige Rezensionen zu lesen waren, die ein gewisser Herr Ernst für die „Warte an der Donau", die Nachfolgerin des „Bürgerblattes", verfaßte. Er machte seinem Namen alle Ehre, kritisierte scharf und griff vor allem die Direktion Neufeld an, die von 1843 bis 1849 das Linzer Landestheater leitete. Schließlich fühlte sich Neufeld von Ernst so sehr bedroht, daß er sich mit einer Beschwerdeschrift an die Land stände wandte,in der er unter anderem behauptete, daß „Herr Ernst offenbar einer Cotterie angehöre, welche es sich zum Ziel gesetzt hat, mich aufs Äußerste zu verletzen. Keine Zeitschrift der österreichischen Monarchie enthält solche pöbelhaften Gemeinheiten". Wie die Sache ausging, ist nicht ganz geklärt; auf alle Fälle vermochte sich Neufeld bis zu seiner freiwilligen Kündigung im Spätherbst 1848 zu halten. Ernst hingegen mußte sein Referat an Professor Josef August Rossi abtreten, der schon nach kurzer Zeit im künstlerischen Leben von Linz eine bedeutsame Rolle spielte. Bis 1841 hatte Rossi — geboren 1790 zu Verona — in Graz als Professor für italienische Sprache und Literatur gelebt und war als ständiger Korrespondent der Wiener Theaterzeitung ein versierter Kritiker. Außerdem bewährte sich Rossi als Wissenschafter und als Opernlibrettist. Sein Stil war klar und prägnant und duldete keine feuilletonistischen Seitensprünge. So urteilte Rossi über Scribes „Ein Glas Wasser": „Höchst wirksames Wasser, welches die Theaterbesucher in eine so behagliche Stimmung versetzte wie vielleicht ein alter Mayrederscher Bisamberger. Gespielt wurde dieses Stück in Linz in allen Teilen so vorzüglich, daß ich ordentlich in Verlegen heit bin, gar nichts Tadelnswertes gefunden zu haben. Eben diese Darstellung bewies neuerdings, welche tüchtigen Kräfte Herr Neufeld bei seiner Bühne vereinigt: Frl. Fleischmann wurde stark applaudiert und hervorgerufen. Gelobt: Frl. Flett, Frl. Rionde, Hr. Liebold und Hr. Strampfer. Die Aus stattung war sehr geschmackvoll und wurde beifällig auf genommen". Doch Rossi — immerhin Professor und Pädagoge — konnte auch mahnend den Finger erheben, wie etwa anläßlich der

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