Oberösterreich, 19. Jahrgang, Heft 1, 1969

Bücher zur Burgenkunde Otto Piper: Burgenkunde. Bauwesen und Geschichte der Burgen. Neue verb. u. erw. Aufl. (2. neuer Teil v. Wer ner Meyer). — Frankfurt: Verl. Weidlich u. München: Verl. Piper (1967). 711 S., 650 Abb., Ganzleinen, Laden preis DM 100.—,S 760.—. Otto Pipers Burgenkunde ist ein historisches Werk. Die erste Auflage erschien 1895, als in Deutschland und Österreich gerade eine sehr intensive Nachromantik im Gange war und in der Kirchenbaukunst die Neugotik dominierte; eine zweite und dritte Auflage kamen 1906 bzw. 1912 heraus. Seitdem war das Werk vergriffen. Der Verlag Wolfgang Weidlich, der als führendes Verlagsunternehmen auf dem Gebiete der Burgenkunde im deutschen Sprachraum bezeichnet werden kann, hat mit der Neuauflage dieses umfangreichen Werkes eine interessante Leistung vollbracht. Technisch ist diese Neu auflage ein fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1912. Das Buch liegt demnach in der Form vor, wie es aus Bibliotheken vertraut ist. Werner Meyer behandelt in einem Anhang (zweiter neuer Teil) „Die Entwicklung der Burgen forschung nach Piper bis zur Gegenwart". Neu sind auch ein Fachwörterverzeichnis und eine Zeittafel, beide gewissenhaft und instruktiv gearbeitet. Otto Piper war nicht Historiker von Beruf und Ausbildung. Er war Jurist mit vielfachen schöngeistigen Anlagen. 1841 in Mecklenburg geboren, starb er nach einem sehr tätigen Leben 1921 in München. Mit Recht bezeichnet man ihn heute als Begründer der wissenschaftlichen Burgenkunde. Eine wei tere Liebhaberei war sein Schriftstellertum. So gab er 1880 „Rheinische Spaziergänge" heraus, 1914 „Lebenserinnerun gen". Neben seiner Burgenkunde verfaßte er ein achtbändiges Werk „österreichische Burgen" (1902 bis 1910). Wie sehr auch für ihn die viel zitierte Burgenromantik ein entscheiden der Schaffensfaktor war, beweisen die ersten Sätze des Vor wortes zur ersten Auflage seines Buches: „Der romantische Reiz, welchen unsere Burgruinen auf jedes nicht allzu pro saisch veranlagte Gemüt auszuüben pflegen, hat mich schon seit früher Jugend die zu einem Besuche solcher gebotenen Gelegenheiten mit Vorliebe benutzen lassen." Sein Werk hat zu seiner Zeit heftige Diskussionen ausgelöst, es kam zu streitbaren Gesprächen. Heute mag mancher nach dem Sinn des Nachdruckes eines „antiquierten" Buches fragen. Diesen Kritikern kann entgegengehalten werden, daß Pipers Burgenkunde nicht nur zur klassischen Burgenliteratur zu zählen ist, sondern nach wie vor das wichtigste Standard werk auf diesem Gebiete, das den historischen Hilfswissen schaften wie auch der Kunstgeschichte zuzuordnen ist, dar stellt. Die Burgenkunde hat seinerzeit durch Piper ihre methodische Grundlegung erfahren. Sie ist bisher über seine Forschungs ergebnisse nicht wesentlich hinausgekommen. Vor allem hat man seit ihm die notwendige Abgrenzung zu anderen Dis ziplinen verwischt. So sehr es stimmt, daß man die Burg in größeren historischen Zusammenhängen sehen muß, bleibt die Forderung bestehen, daß die Burgenkunde immer nur eine Objektkunde sein kann, die Teil der Architekturgeschichte ist. Wie man ein Krmstwerk in erster Linie nur aus der An schauung und dem Stilvergleich erklären kann, muß auch eine Burg aus ihrer Anlage, den Bauformen und ihren Bau materialien erläutert werden. Die Bezüge zur Funktion der Burg gehören in den Bereich der Rechts- und Wirtschafts geschichte, die selbstverständlich mit der Burgenkunde in einen Zusammenhang zu bringen sind — wie auch die Genealogie —, aber methodisch und unmittelbar zur Burgen kunde gehören. Deshalb wäre anzustreben, daß in der moder nen Burgenforschung Burgenkundler und Landeshistoriker engstens zusammenarbeiten, wie dies in mustergültiger Weise Wilhelm Götting und Georg Grüll in ihrem Werk „Burgen in öberösterreich" getan haben. Otto Piper war ausschließlich öbjektforscher. Er hat sich eine umfassende Objektkenntnis erwandert, alle erreichbaren An lagen persönlich besucht, vielfach vermessen, Details skizziert, darüber hinaus eingehend auch die schriftlichen Quellen herangezogen. Da er ein zusammenfassendes Werk plante und schließlich auch zustande brachte, mögen einige seiner Thesen korrigierbar sein, dieser Mangel haftet jeder Gesamt darstellung an, im allgemeinen blieben jedoch seine For schungsergebnisse bis heute gültig. Wo Gegenmeinungen auf treten, handelt es sich um ungelöste Probleme, denn auch dies muß einmal ausgesprochen werden: Die Burgenkunde besitzt nach wie vor keinen festen Platz in der Kunst geschichte. Sie lebt weiterhin am Rande, wird nach wie vor in erster Linie von Liebhabern und Amateuren vorangetrieben. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnen Pipers Werk und dessen Nachdruck gesteigerte Bedeutung. Es lohnt sich, die Kapitel (ingesamt 24) anzuführen, um die Fülle des Inhalts deutlich zu machen: Allgemeines über Burgen — Römischer Ursprung der Burgen — Entwicklung der Burgen aus alteinheimischen Befestigungen — Älteste Burganlagen. Entwicklung des Plolz- und Mauerbaues im Mittelalter — Steinmetzzeichen, Bauinschriften und alte Zahl zeichen — Der Berchfrit — Der Wohnturm — Mauertürme, Rondelle, vorgeschobene Wehrbauten — Schildmauer und Hoher Mantel — Burgstraße, Graben, Brücke und Tor — Ringmauer, Umlauf, Zinnen — Die Schießscharten — Außen vorgekragte wehrhafte Bauteile — Belagerung und Waffen — Palas und Nebengebäude — Bauliche Einzelheiten, besonders des Palas — Wasserversorgung — Unterirdische Gänge, ver steckte Ausgänge, verborgene Räume, Gefängnisse — Die Kapelle — Die Wasserburg — Höhlen- und ausgehauene Burgen — Ganerbenburgen und Burgengruppen — Gesamt anlage, Ergänzendes, Geschichtliche Entwicklung — Umbau, Verfall, Erhaltung und Wiederherstellung. Es ist unmöglich, in einer Rezension auf jedes Kapitel ge sondert einzugehen. Wesentliches sei herausgegriffen. Pipers Terminologie ist heute noch gebräuchlich. Auch die Definitio nen für die Burg im Gesamten und ihre einzelnen Bauteile sind haltbar. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß wir als Burgen vor allem die Wehrbauten des Spätmittelalters vor Augen haben, die den Großteil des erhaltenen Denkmäler bestandes ausmachen. Die „Burg" reicht jedoch bis in die Kelten- und Römerzeit zurück. Aus der generalisierenden Übertragung der Forschungsergebnisse entstanden die Miß verständnisse. So tritt Piper für die „Entwicklung der Burgen aus alteinheimischen Befestigungen" (drittes Kapitel) ein und wendet sich gegen die römische Ursprungstheorie. Dies trug ihm Widerspruch ein. Warum? Seine Beweisführung ist quellenmäßig belegt. Wie sehr sich Piper mit allen Details von Burgenanlagen als dinglichen Quellen befaßte, beweisen seine Ausführungen über Mauertechnik, Ziegelverbände, Natursteinmaterial, mittelalterliche Buckelquader etc. Es hat wenige Forscher gegeben, die sich seit ihm so eingehend mit diesen Fragen beschäftigt haben. Sehr instruktiv ist auch seine Darstellung über die Steinmetzzeichen. Wiederum muß der Hinweis gemacht werden, daß sich bisher nur mit weni gen Ausnahmen (so für Pürnstein) die Forschung um eine systematische Sammlung dieser wichtigen Zeugnisse bemüht

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