Oberösterreich, 18. Jahrgang, Heft 2, 1968

Werden. Die so klaren, naturgegebenen Grenzen sind nicht immer Zeichen einer ebenso eindeutigen naturgegebenen Ent wicklung, sie täuschen oft den Unkundigen, und gerade die am meisten ins Auge springenden natürlichen Grenzlinien — wie etwa die heutige Inngrenze — erweisen sich als Ergebnisse einer neuzeitlichen Staatspolitik. Sucht man nach bestimmenden Faktoren, die an der Gestal tung der oberösterreichischen Landesgeschichte maßgebend beteiligt waren, so ist in erster Linie die Lage im mittel europäischen Kernraum, im Bereich der Schnittpunkte nord südlicher und westöstlicher geschichtlicher Linien zu nennen. Gewiß hat Oberösterreich diese Lage und die damit ver bundenen geschichtsgestaltenden Auswirkungen in vielem mit dem ganzen Österreich gemeinsam. Aber die besondere Mit tellage zwischen dem Herzen des altbayerischen Gebietes und dem eigentlich österreichischen Raum, der verbindend in die östlichen Gegenden Mitteleuropas übergreift, also die größere Nähe zu Bayern, verleiht der Geschichte des Landes Ober österreich doch ein ganz anderes Profil. Denn lange stand das Land ob der Enns zwischen Bayern und Österreich, und selbst in den späteren Jahrhunderten der Neuzeit war es noch gelegentlich das Exerzierfeld habsburgisch-wittelsbachischer Gegensätze. Oberösterreich ist altbayerischer Siedelboden. Es gibt eine Jahrhunderte andauernde vorösterreichische Epoche unserer Landesgeschichte. Die Lösung von Bayern ging ganz allmählich vor sich, und lange Zeit war die rechtliche Zu gehörigkeit des Landes zu Bayern oder Österreich ungeklärt. Durch die Nachbarschaft zu Böhmen wurde das Land ge legentlich in die großen politischen Konzepte verstrickt, die von Prag her das Schicksal Mitteleuropas gestalten wollten, in der Ära Pfzemysl öttokarsII. ebenso wie später am Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Die oberösterreichische Landes geschichte ist wesentlich bestimmt durch das Aufsteigen Österreichs als Territorialmacht innerhalb des mittelalterlichen deutschen Reiches, aber auch durch die Sonderungstendenzen, die damit verbunden waren; sie ist dann mitbestimmt durch die Weltpolitik des kaiserlichen Hauses Österreich in den neueren Jahrhunderten, weil das Land ob der Enns in den großen europäischen Auseinandersetzungen unmittelbar durch kriegerische Einmärsche und Besatzungen von der inter nationalen Politik betroffen wurde. Es ist weiter das histori sche Antlitz dieses Landes Oberösterreich in wesentlichen Zügen dadurch gestaltet, daß es lange Zeit hindurch gerade aus seiner Zwischenstellung zwischen Bayern und Österreich heraus und wegen seiner lange Zeit unklaren staatsrecht lichen Stellung nicht als vollwertiges Land galt, sondern als bloßes Anhängsel, als „Landl". Dieses Land besaß auch keine ständige fürstliche Residenz. Die Kultur des Landes ist daher stark vom Adel, von den großen mächtigen Abteien und von den Städten geprägt, und das Fehlen einer fürst lichen Hofhaltung zwang gerade die Hauptstadt des Landes, die Stadt Linz,lange zu einer bescheidenen Stellung. Versuchen wir nun ganz knapp das Werden dieses Landes Oberösterreich an den Knotenpunkten seines Wachsens zu skizzieren. Zunächst müssen wir hiebei feststellen, daß es durch Jahrhunderte kein Oberösterreich oder Land ob der Enns gab und daß es sich zunächst nur darum handelt, die verwaltungsmäßige Struktur des Gebietes, welche heute das Land Oberösterreich ausfüllt, festzustellen. Eine ausgebildete Verwaltungsorganisation auf dem Gebiet des heutigen Ober österreich gab es erstmals in spätantiker Zeit. Die römische Provinz Ufernorikum — seit dem Beginn des 4. Jahrhirnderts unter Kaiser Diokletian — war in Stadtbezirke geteilt. Auf dem Boden Oberösterreichs lag der Stadtbezirk von Ovilava — Wels, der vom Inn bis etwa westlich der Enns reichte und von der Donau im Norden bis etwa zu den Tauern im Süden. Im Osten schloß sich der Stadtbezirk von Lauriacum — Enns an, der sich bis an die Ybbs erstreckte. Man sieht in dieser römischen Verwaltungseinteilung, in der gelegentlich auch die Enns als Grenze in Erscheinung tritt, das spätere Oberösterreich bis zu einem gewissen Grade vorgebildet. Man hat aus verschiedenen Tatsachen der mittelalterlichen Verwaltung, wie z. B. daß die Funktionen des Landeshaupt mannes von Oberösterreich im 13. und 14. Jahrhundert bis an die Ybbs reichten, den Schluß gezogen, daß hier die römi sche Verwaltungseinteilung durch Jahrhunderte weiterwirkte. Nach dem Zusammenbruch der Römerherrschaft in unserem Lande traten zwei Ereignisse ein, die für die ganze spätere Geschichte Oberösterreichs grundlegend wurden: 1. Die Be siedlung dieses Raumes durch den germanischen Volksstamm der Bayern, etwa um die Mitte des 6. Jahrhunderts. 2. Die Einführung des Christentums westlicher, d. h. römischer Prä gung. Um diese beiden Fakten herum gruppiert sich alles

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