Alois Zauner Die landesfürstlichen Städte ob der Enns im Mittelalter Aufnahmen; M.Eiersebner Eines der interessantesten Probleme der Geschichtswissen schaft ist die Frage nach Ausmaß und Intensität der Kultur zusammenhänge zwischen Antike und Mittelalter. Diese wa ren nicht überall gleich stark, so daß eine konkrete Antwort nur für einzelne Gebiete gegeben werden kann. Dabei ist das Fortleben der römischen Städte ein Funkt von besonderer Wichtigkeit. In Oberösterreich liegen von den später landesfürstlichen Städten nur Wels und Linz unmittelbar über den Trümmern römischer Siedlungen. Der Ausgangspunkt der Entwicklung ist aber an beiden Orten verschieden. Ovilava (Wels) war vorübergehend die Hauptstadt der Provinz Ufernorikum und besaß einen spätrömischen Mauergürtel, der eine sehr große Fläche einschloß. Sie war zu groß, um im frühen Mittelalter verteidigt werden zu können, weshalb in die Südostecke dieser Befestigung eine mittelalterliche Burg eingebaut wurde, neben der sich allmählich eine Stadt entwickelte. In Linz war dagegen ein kleines befestigtes Römerkastell vorhanden, in das sich das spätrömische Leben zurückziehen konnte. Hier ist aber ein deutlicher Bruch erkennbar, weil das mittelalter liche Linz über der römischen Zivilsiedlung entstanden ist. Zwischen beiden ließ sich bisher kein eindeutiger Zusammen hang feststellen. Die Tatsache, daß hier antike und mittel alterliche Stadt übereinander liegen, ist also dadurch zu er klären, daß man zweimal den günstigsten Standort wählte. Der Kern, an den sich diese Siedlungen anlehnten, war das erste Mal das römische Lager, im Mittelalter aber die Burg östlich der Martinskirche. Die Frage, ob diese 799 erstmals genannte Burg analog zu mehreren Kärntner Beispielen, zu Salzburg oder Micheldorf in Oberösterreich in die spät römische Zeit zurückreicht, ist noch offen. Am stärksten hat die Antike im Raum Lorch-Enns nach gewirkt. Hier zogen sich die Bewohner der Zivilstadt Ende des 4. Jahrhunderts hinter die starken Mauern des Legions lagers zurück und konnten so den Awarensturm von etwa 700 überstehen. Der entscheidende Einschnitt ist aber auch hier erfolgt, nur liegt er zeitlich etwas später. Erst im Jahre 901 wurde zum Schutz gegen die Madjaren der Berg am Westufer der Enns mit einer Mauer umzogen, die den Bewoh nern der Gegend Zuflucht bot. Von einer mittelalterlichen Herrenburg des 11. Jahrhunderts ist dann die Entwicklung zur Stadt ausgegangen. Über der römischen Zivilsiedlung und dem Lager entstanden Bauernhöfe mit ihren Fluren. Nur zwei frühchristliche Kirchen haben sich von einem Zeitalter in das andere hinübergerettet, die eine in der Mitte des Lagers und die andere über dem religiösen Zentrum der Zivilstadt. Hier sind die Reliquien der Gefährten des heiligen Florian ununter brochen seit dem 4. Jahrhundert verehrt worden. Für unsere Frage ist dies insoferne von Bedeutung, als wir sagen können, daß im Raum von Enns das Leben nie ganz abgebrochen ist. Christliche Romanen haben sich so lange gehalten, bis die Bayern ihre Religion angenommen hatten. Wir müssen uns jedoch im klaren sein, daß ein religiöser Kult, der an heil spendende Reliquien geknüpft ist, zu den zähesten mensch lichen Lebensäußerungen gehört und Katastrophen leichter übersteht als andere Einrichtungen. Dafür gibt es Beweise auch in den Rheinlanden. Wenn sich in Lorch ein religiöses Bauwerk mit seinen Reliquien erhalten hat, so können trotz dem alle kirchlichen Institutionen untergegangen sein, und ebenso kann die nahe gelegene Siedlung jeden städtischen Charakter verloren haben. Bei uns haben sich am Fuße der Burgen von Linz, Enns und Steyr Siedlungen entwickelt, die von Anfang an Stätten des Gewerbes und Handels waren. In Linz, das schon um 900 als wichtiger Handelsort bezeugt ist, hat sich im alten Markt platz eine Anlage des 11. oder 12. Jahrhunderts erhalten. Die Burg Wels lag in der Ebene, so daß hier die entsprechende Siedlung unmittelbar anschließen konnte. Für sie ist eine Marktrechtsverleihung aus dem Jahre 1061 überliefert, die eine ähnliche Platzanlage wie in Linz wahrscheinlich macht. Diese Orte besaßen auch schon im 12. Jahrhundert gewisse Sonderrechte in Hinsicht auf Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Sie waren im 10. Jahrhundert aus den Händen des Königs an bedeutende Hochadelsgeschlechter gekommen, die in ihrem Herrschaftsbereich fast völlig autonom schalten und walten konnten. Wels gehörte den Grafen von Lambach und dann dem Bistum Würzburg, Linz den Haunsbergern, Steyr als Eigen und Enns als Passauer Lehen den Otakaren. Es steht jedenfalls fest, daß die heutigen Städte in Oberöster reich nicht nur in rechtlichem Sinne, sondern auch als Sied lungen Schöpfungen des Mittelalters sind. Für jene, die von den Zentren ehemals römischen Lebens entfernt liegen, wie Steyr, Gmunden,Vöcklabruck und Freistadt, ist dies von vorneherein klar. Die Stadt im Rechtssinne hat sich im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts in jenen Landschaften Europas ent wickelt, die damals wirtschaftlich und geistig führend waren, in Norditalien, Frankreich, Belgien und den Rheinlanden. Dabei ist es nicht selten zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Stadtherrn und der sich bildenden Stadtgemeinde gekommen. Sehr früh haben die aufstrebenden Landesfürsten den Wert des Städtewesens für ihre Zwecke erkannt und sind selbst zu Gründungen geschritten. Als erste dieser Art im deutschen Raum gilt das 1120 angelegte Freiburg im Breisgau. Im 13. Jahrhundert ist dann geradezu ein Gründungsfieber aus gebrochen, das bis ins 14. Jahrhundert angehalten hat. Nicht selten wurde damals über das Ziel hinausgeschossen, und kaum lebensfähige Gründungen haben manchmal durch Jahr hunderte ein kümmerliches Dasein geführt. Auch für Oberösterreich ist diese Welle von großer Bedeu tung geworden. Sie fällt zusammen mit der Erwerbung aus gedehnten Besitzes durch die Babenberger und die Entstehung eines eigenen Landes unter ihrer Herrschaft, auf die Hageneder in diesem Heft näher eingegangen ist. Die österreichi schen Herzöge haben nun neben den alten Orten viel aus gedehntere, planmäßige Anlagen mit geräumigen Plätzen ge schaffen. In Wels, Linz, Steyr und Gmunden wurde dabei die Altsiedlung einbezogen und blieb im Grundriß erkennbar. Enns entstand völlig neu auf dem Berg und Freistadt an Stelle von einigen Weilern. Bei Vöcklabruck waren zwei vorstäd tische Kerne gegeben, ein Spital an der Vöcklabrücke mit dem „Dörfl" und die Pfarrkirche Schöndorf. Es hat den Namen Stadt aber erst über hundert Jahre später bekommen. Wie großzügig diese Gründungen für die damalige Zeit ge plant waren, ist am besten aus der Tatsache ersichtlich, daß sie erst nach der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert über ihre kleinen Vorstädte hinausgewachsen sind. Nur Wels Wappenpyramide der landesfürstlichen Städte (Oö. Landesarchiv, Landschaftsarchiv, Hs. 150).
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2