Oberösterreich, 18. Jahrgang, Heft 2, 1968

Lothar Eckhart Römisches Oberösterreich Aufnahmen: M.Eiersebner Fast ein halbes Jahrtausend war das Bundesland Oberöster reich vom Inn bis zur Enns, von der Donau bis zum Pyhrn Teil der Provinz Noricum und somit ein Bestandteil des Römischen Reiches. Von der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., als das keltische regnum Noricum, das Kernland des heutigen Österreich, unter Kaiser Claudius (41—54 n. Chr.) unblutig in den Provinzstatus übergeführt wurde, bis zum Jahre 488, dem Ende der römischen Herrschaft an der Donau. Fünf Jahr hunderte des Friedens und des Aufbaues, dann des Krieges und der Not, gewaltige geistige und materielle Erschütterun gen, den sukzessiven Zerfall der Donauprovinzen und das bittere Ende hat Oberösterreich mit dem Reiche geteilt, seine römische Vergangenheit ist die seiner Siedlungen und Militär lager, die sich wiederum in den Funden spiegelt. Jahrhundert für Jahrhundert römischer Geschichte in Oberösterreich kann in diesem Sinne durch die Archäologie beispielhaft zu uns sprechen. Als unter Kaiser Tiberius (14—37 n. Chr.) das gewaltige Eegionslager Carnuntum (Petronell — Bad Deutsch-Altenburg östlich von Wien) im Westen der Provinz Pannonien erbaut wird, genügen zur Sicherung der norischen Donaugrenze noch kleine Militärstützpunkte mit 500, höchstens 1000 Mann Be satzung. Sie stehen zur Disposition des Provinzstatthalters, eines Mannes ritterlichen Standes (procurator Augusti), der seinen Amtssitz in Virunum am Zollfeld bei Klagenfurt hat, anläßlich von pflichtgemäßen Inspektionen und zur Abhaltung von Gerichtstagen aber auch das donaunahe Gebiet der Provinz Noricum und damit Oberösterreich bereiste. Unsere Kenntnis seiner römischen Epoche im 1. nachchristlichen Jahrhundert ist noch denkbar gering, wir meinen mutmaßen zu können,daß es bereits damals Kastelle in Lentia-Linz, Lauriacum-Lorch/Enns und Eferding-Ad Mauros gab. Zu einer derartigen Militär station gehörte immer auch eine zivile Niederlassung, die, ent standen aus den Buden der Händler und Schankwirte, ver größert durch die Wohnhäuser verabschiedeter Soldaten,lebens fähig und autark geworden durch ein entsprechendes Hinter land,in besonders begünstigten Fällen durch kaiserliche Gnade zur autonomen Stadt (municipium bzw. colonia) aufsteigen mochte. Die Lage der Zivilsiedlung des Kastells Lentia-Linz kennen wir ungefähr, sie befindet sich unter den mittelalterlichen Hausfundamenten der Altstadt, und hin und wieder geben Zufallsfunde bei Neubauten oder kleine planmäßige Grabun gen Reste ihrer Mauern und der beweglichen Hinterlassen schaft ihrer Bewohner preis. Viel besser als über die Gemeinde der Lebenden sind wir über die ihrer Toten orientiert, über den großen Brandgräberfriedhof des 1. und 2. nachchristlichen Jahrhunderts auf dem Gelände der „Kreuzschwestern" an der StockhofStraße und Wurmstraße. Der Tod macht zwar alle Menschen stumm, nicht aber ihre soziale Herkunft, ihr Milieu, das hat zu allen Zeiten gegolten. So liegt auch hier das Armengrab neben der Patriziergruft, der kostbare Bronzekrug aus Gallien (Abb. 1) neben dem einfachen irdenen Geschirr lokaler Erzeugung, das kunstvolle Goldgeschmeide neben dem primi tiven Tonpferdchen als Weggeleiter in die Unterwelt. An die 150 Gräber hat der Boden der „Kreuzschwestern" preisgege ben, aber ob nun der Leichenbrand in zerbrechliche Glasflaschen mit dem Stempel der Glasfabrikantin Sentia Secunda aus Aquileia oder in die schlichte graue, gelbe oder schwarze Ware des Töpfers aus Lentia gebettet wurde, die liebende Pietät des Armen wie des Reichen für seine teuren Toten blieb dieselbe. Das 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. bescheren dem römischen Oberösterreich die Epoche des längsten Friedens in seiner Geschichte, es hatte Anteil an den zivilisatorischen und kul turellen Errungenschaften eines Weltreiches, auf der Grundlage der Städteautonomie blühten Handel und Gewerbe, ein solides Straßennetz verband die entferntesten Orte, Recht, Sitte und geistiges Leben, praktiziert in kommunalen wie religiösen Gemeinschaften, schienen auf ewig verankert zu sein in der pax Romana, im immerwährenden Kaiserfrieden. Kaiser Hadrian (117—138 n. Chr.) verlieh Ovilava-Wels das Stadt recht, seine Einwohner wurden damit römische Bürger, den Mitgliedern des dem stadtrömischen Senat nachgebildeten Gemeinderates stand eine Karriere zu hohen und höchsten zivilen und militärischen Staatsämtern offen. Baulich wissen wir vom römischen Wels, dessen Stadtgebiet den größten Teil Oberösterreichs einnahm (auch Lentia-Linz gehörte dazu), bis auf die Stadtmauer, die jedoch erst dem 3. Jahrhundert n. Chr. entstammt, fast nichts, dafür aber einiges von einem seiner militärischen Vorwerke an der Donau. Am Scheitelpunkt der großen Donauschlinge von Schlügen wurde in den Jahren 1957 bis 1960 ein römisches Kleinkastell und ein Teil der dazugehörenden dörflichen Siedlung (vicus) ausgegraben, sein konserviertes Westtor ist das einzige sicht bare Lagertor am österreichischen Donaulimes. Die Grün dungszeit des Kastells fällt in das 2. Jahrhundert n. Chr., es wird um 300 niedergebrannt, im 4. Jahrhundert wieder auf gebaut und funktioniert noch im 5. Jahrhundert. Die Besat zungstruppe ist wahrscheinlich ein Detachement einer in Boiodurum-Innstadt/Passau stehenden Infanterieeinheit, beide Kastelle sind durch eine Donauuferstraße verbunden, der Hauptzweck Schlögens ist die Sicherung von Ovilava-Wels, das als municipium bald eine wichtige Rolle spielen sollte. Aus dem Lagerheiligtum Schlögens stammt ein weibliches Marmorköpfchen, das eine severische Kaiserin als Schutzgeist des Kastells, als mater castrorum, wiedergibt. Unter Kaiser Mark Aurel (161—180 n. Chr.) war der Traum vom neuen goldenen Zeitalter ausgeträumt, eine Koalition germanischer und nichtgermanischer Stämme durchbrach 171 n. Chr. den mittleren Donaulimes und konnte mit ihren Sturmspitzen erst an der Adria aufgefangen werden. Auch Römerorte Oberösterreichs mögen damals in Mitleidenschaft gezogen worden sein, jedoch weiß man darüber noch zu wenig. Militärische Gegenaktionen Roms bereinigten zwar die Lage wieder, jedoch war das Leben nach den „Markomannenkrie gen" ernst und karg geworden, Sicherheitsgefühl und Wohl stand alter Zeiten waren für immer dahin. In die Provinz Noricum wird jetzt eine Legion von rund 6000 Mann Stärke verlegt, die legio II Italica, die schließlich in LauriacumLorch/Enns ihr Standlager baut. Der Legionskommandant, ein Mann senatorischer Herkunft, wird als legatus Augusti pro praetore zugleich auch Provinzstatthalter, einen Teil der Statthaltereiämter transferiert man von Virunum nach Ovilava-Wels, dessen nunmehr gehobener Bedeutung seine vorgeschobene Bastion Schlügen an der Donau Rechnung trägt (s. o.). Zugleich mit dem Legionslager wächst ca. 200 m weiter west lich eine planmäßig angelegte Zivilsiedlung, die schon unter Kaiser Caracalla (211—217 n. Chr.), der Ovilava-Wels vom municipium zur colonia macht, autonom wird, kleine Frag mente des ehemals auf Bronzetafeln eingegrabenen Stadt rechts haben sich — eine große Seltenheit! — gefunden. Wir kennen dieses municipium Lauriacum durch Grabungen 1951 bis 1959 einigermaßen gut, unter dem archäologisch unzu gänglichen Lorcher Friedhofsgelände befanden sich Forum und Kapitol, jüngste Ausgrabungen (1960—1966) in der Friedhofs-,

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