Oberösterreich, 18. Jahrgang, Heft 1, 1968

St. Georgen zurückstehen. Manchem Betrachter mag diese ruhige Art von Martin Zürn sogar mehr liegen als die barocke des Michael. Dennoch entsteht der Eindruck, als habe Martin Zürn für die Entwicklung des Barocks in Oberösterreich nichts gelei stet. Seine Burgkirchener Figuren sind Einzelstatuen, in ihrem Aufbau und in ihrer Auffassung gotischen Heiligenfiguren anscheinend näher als den so aufregend modernen Gruppen von seinem Bruder Michael Zürn in St. Georgen. So war Martin Zürn also ein altmodischer, ein konservativer, ja vielleicht sogar in der stilistischen Entwicklung zurückgeblie bener Meister? Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe er, der über zwanzig Jahre dort wirkte, an der Entwicklung des Barocks in Oberösterreich keinen Anteil, als fiele das gesamte Verdienst seinem Bruder Michael zu. Nur er schuf wirklich bewegte, wirklich barocke Werke, an denen sich die künftige Generation orientieren konnte. Doch zeigt es sich, daß diejenigen Bildhauer, die dann in der nächsten und über nächsten Generation die Kunst der Plastik weiterentwickelten und die zu der eigentlichen Hochblüte des österreichischen Barocks im 18. Jahrhundert hinführten, die Bildhauerfamilie Schwanthaler und vor allem Meinrad Guggenbichler, viel stärker auf Martins als auf Michaels Kunst fußen. Bei ihnen finden wir vor allem die Formen und Prinzipien des Figuren baues wieder, die bei Martin Zürns Statuen hervortreten, viel weniger das, was uns an Michaels kleinen und für ihre Zeit kühnen Figuren und Gruppen so fortschrittlich erschien. Die Bewegtheit ist offenbar nicht der einzige und vielleicht noch nicht einmal der wichtigste Charakterzug, der für die Entstehung des Barocks bedeutend ist. Martin Zürn hat unter den sechs Bildhauern der Familie Zürn in dieser Generation die an äußerem Format größten Figuren geschaffen. Besonders sind zu nennen die Figuren vom Hochaltar in Wasserburg von 1638/39 und die vom Braunauer Hochaltar um 1642. Das weist uns darauf hin, daß der Altar, und zwar besonders durch diese großen Figuren, in dieser Zeit einen neuen formalen Charakter bekommt. Der von den Zürn gemeinsam unter Leitung des ältesten Bruders Jörg geschaffene Hochaltar in Überlingen von 1613 bis 1616 hatte fünf, reich mit Figuren besetzte Stockwerke. Der Wasserburger Altar war nur vier geschossig, wobei das Hauptgeschoß, das von zwei riesen großen Heiligenfiguren flankiert war, für den optischen Ein druck bei weitem den größten Teil der Gesamthöhe in An spruch nahm. Ähnlich war es beim Braunauer Hochaltar, der sogar nur drei Geschosse besaß. Alle drei genannten Altäre sind beziehungsweise waren etwa gleich hoch. Das heißt: Die Zahl der Geschosse wurde verringert, und das Hauptgeschoß wurde so vergrößert, daß die anderen, nämlich die Predella und die Bekrönung, nur als sockelartiger Unterbau und obere verzierte Dachung noch fungierten. Das bedeutet, daß der Altar in dieser Zeit aus einem vielteiligen, mehrgeschossigen Gebilde zu einem einteiligen geworden ist, das in der Haupt sache aus seinem mittleren Geschoß besteht. Daran hat in Bayern und Österreich Martin Zürn mit seinen großen Figu ren — vor allem in Wasserburg und Braunau — einen ganz entscheidenden schöpferischen Anteil. Der spätere Barock altar, den Einheit statt Vielteiligkeit charakterisiert, ist ohne diese künstlerische Tat nicht denkbar, und man kann wohl auch sagen, daß für die Bildhauer der nächsten Generation die Möglichkeit, große, monumentale, ja überdimensionale Figuren zu schaffen, mindestens ebenso wichtig, vielleicht künstlerisch noch wichtiger und sicher wesentlich schwieriger war als die Wiedergabe äußerer Bewegtheit in kleinem For mat. Im Werke von Martin Zürn ist natürlich in diesem Zu sammenhang entscheidend, daß er nicht nur die Maße äußer lich vergrößerte, sondern daß er die Aufgabe auch statuarisch bewältigte, was einen Sinn für die Architektur des Gesamt werks, an dem er mitarbeitete, voraussetzte. Seine Figuren stehen nicht einfach im Rahmen der Architektur des Altares, sondern bestimmen diesen in seinem Aufbau entscheidend mit. Das war an dem Braunauer Hochaltar so, und das ist — wenn auch in etwas kleinerem Format — in ganz besonders glücklicher Weise an dem Burgkirchener Altar der Fall. Er ist ein vollkommen gelungenes, architektonisch-plastisches Gesamtwerk, das in seiner Harmonie, seiner strengen Klar heit und seiner plastischen Kraft als eindrucksvolles Anfangs werk des Barocks anzusehen ist. Daß er das einzige, nahezu vollständig erhaltene Gesamtwerk dieser Art von Martin Zürn ist (die anderen sind entweder zerstört oder er war nur begrenzt beteiligt), macht ihn uns besonders wertvoll. Anmerkungen 'Rudolf Guby, Die Kunstdenkmäler des oberösterreichischen Inn viertels, österreichische Kunstbücher, Sonderband 1, Augsburg - . Wien 1921, S. 42, 46 f., 91. - Waltrude Oberwalder, Die Altäre der Filialkirche St. Georgen an der Mattig, Oberösterreichische Heimatblätter, Sonderheft Denk malpflege, 1956. ■' Zusammenfassung der bisherigen Forschungsergebnisse siehe; Ausstellungskatalog Barock am Bodensee — Plastik, Bregenz 1964, bearbeitet von Oscar Sandner, Auswahl und Bearbeitung der Familie Zürn von Claus Zoege von Manteuffei, 2. Aufl. 1964, S. 50—60, 63, Nr. 170—198. '' Osterreichische Kunsttopographie, Bezirk Braunau, bearbeitet von Franz Martin, Wien 1947, S. 9. ^ Zum Altarbau dieser Zeit in Osterreich siehe vor allem: Gudrun Rotter, Die Entwicklung des österreichischen Altarbaues im 17. Jahrhundert, Diss., Wien 1956, Masch.-Ms. .Ti .is iy , h'/iW Burgkirchen, Hochaltar. — Links oben: Kopf des hl. Sebastian; rechts: Christusknabe (auf dem Arm der Muttergottes). — Auf nahmen vom Verfasser.

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