Oberösterreich, 17. Jahrgang, Heft 3/4, 1967

Porträts von Reichersberger Pröpsten Fotos H. Jagsch Das Kloster Reichersberg liegt auf halbem Wege zwischen Braunau und Schärding beherrschend auf dem rechten Inn ufer. Es gehörte nie zu den mächtigen Stiften unseres Lan des, die durch reichen Besitz an Grund und Boden oder ein malige kunsthistorische Schätze sowie fürstliche Gunst zu Ruhm gelangt sind. Dennoch ist seine fast 900jährige Geschichte äußerst be merkenswert; einmal durch die vom Kloster erbrachten Lei stungen, wie etwa Missionierung und Kultivierung im mittle ren Innviertel, vor allem aber durch die gewaltige Rodungs-, Siedlungs- und Seelsorgetätigkeit im einst so abgeschiedenen Waldland der heutigen „Buckligen Welt", im Grenzgebiet von Niederösterreich, Burgenland und Steiermark, zum andern spiegeln sich in der Klostergeschichte sehr stark die Beziehun gen zwischen Österreich und Bayern wider, ist doch Reichers berg von seiner Gründung bis 1779 und von 1810 bis 1816 bayerisch gewesen, während die meisten Pfarreien in öster reichischem Gebiet lagen. Jede Spannung zwischen den bei den Ländern, besonders aber Kriege, wirkten sich in harten Repressalien gegen das Kloster aus. Daß das Stift trotz seiner geringen materiellen Mittel und der Ungunst der Lage bis heute seine Aufgaben erfüllen und selbst die fast aussichtslose Situation im österreichischen und bayerischen Klostersturm überwinden konnte, verdankte es einer Reihe tüchtiger Prälaten. Einige von ihnen, die in schicksalsschwerer Zeit den Konvent leiteten, sollen nun in kurzem Abriß vorgestellt werden. Das Kloster ist eine der adeligen Stiftungen, wie sie uns im 11. und 12. Jahrhundert häufig begegnen. Wernher von Reichersberg — wahrscheinlich ein Reichsministeriale — und seine Gattin Dietburga vererbten nach dem Tode ihres einzi gen Sohnes Gebhard im Jahre 1084 die Burg in Reichersberg und den Besitz im Innviertel sowie zwei Weingärten zu Aschach und das Gut Kraut in Kärnten mit 30 Höfen dem Erzengel Michael und übergaben alles an Erzbischof Gebhard von Salzburg, den Bruder Dietburgas. Dieser richtete in Reichersberg ein Chorherrenstift ein und unterstellte es der Schirmvogtei des Erzstiftes Salzburg. Erbansprüche von Wernhers Verwandten, die das Klostergut mit Gewalt entfremden wollten, und die Wirren des Inve stiturstreites, in die Reichersberg durch die Salzburger Schirm herrschaft geriet, ließen dem jungen Konvent keine Möglich keit zur Entfaltung, so daß ihn Erzbischof Konrad 1. (1106 bis 1147) im Jahre 1110 und dann noch einmal 1122 fast von neuem errichten mußte. Die Schwierigkeiten wurden über haupt erst überwunden, als der Erzbischof im Jahre 1132, nach der freiwilligen Resignation Gottschalks, des zweiten Propstes, den Magister Gerhoch zur Leitung berief. Propst Gerhoch (1132—1169) Er wurde 1092 oder 1093 in Polling im Ammertal, knapp süd lich von Weilham in Oberbayern, geboren. Von Herkunft und gesellschaftlichem Rang der Eltern wissen wir nichts, die vermutete edelfreie Abstammung läßt sich nicht beweisen. Da seine fünf Brüder — anscheinend alle jünger als Gerhoch — ebenfalls Geistliche wurden, scheint die Familie ausgestorben zu sein. Die erste Ausbildung erhielt der Knabe in der Pollinger Stiftsschule. Um 1110, also mit 16 oder 17 Jahren, gelobte er in schwerer Krankheit, Priester zu werden. Kurz darauf wechselte er in die Freisinger Domschule und in die des Kastulusstiftes zu Moosburg an der Isar über, und zwischen 1112 und 1115 finden wir ihn auf der berühmten Schule zu Hildesheim. Hier erlangte er die große Belesenheit in den Schriften der Kirchenväter, die gute Kenntnis der Quellen des Kirchenrechtes, den gewandten lateinischen Stil und die sichere Anwendung grammatischer Schuldialektik. Den kaum 25jährigen berief Bischof Hermann als Domherrn und Scholasticus (Lehrer) nach Augsburg und weihte ihn wahrschein lich auch zum Diakon. Gerhoch hatte ohne Bedenken diese Berufung angenommen, obwohl Hermann den Prototyp des Reichsbischofs darstellte und bereits mehrmals suspendiert worden war. Auch am weltlich fröhlichen Leben des Dom kapitels nahm er teil, „verschmähte die Tonsur und kleidete sich elegant wie ein Laie". Erst nach der erneuten Bannung des Bischofs Hermann (1119) fielen ihn Zweifel an und er weigerte sich, mit dem gebannten Bischof die Messe zu feiern. Als er deswegen kurz darauf zur Flucht gezwungen wurde, zog er sich in das Chorherrenstift Rottenbuch zurück, das seinem Heimatort Polling ganz nahe lag. Damit hatte Gerhoch erstmals selbständig Partei im Investiturstreit ergriffen und sich auf Seite des Papstes Calixtus und gegen Kaiser Hein rich V. gestellt. Dieser politischen folgte eine sein persönliches Seelenheil berührende und sein ganzes zukünftiges Schicksal wendende Entscheidung. Hier in Rottenbuch erfuhr er das idealgeübte Gemeinschaftsleben der Kleriker, die „vita communis" oder „vita apostolica", wie sie Papst Nikolaus II. 1059 in der Lateran-Synode vorgeschrieben hatte, um den in Ehehändel und Pfründenwesen verstrickten Klerus zu reformieren, und wie sie Papst Gregor VII. seit der Fastensynode von 1074 in aller Schärfe durchführte. Der Widerstand war außer ordentlich stark und nur wenige Bischöfe nahmen sich mit Eifer der Reform an. Vorbild dafür wurde die „vita canonica" oder „vita apostolica", wie sie der hl. Augustinus (gest. 430) als Bischof von Hippo (Nordafrika) mit seinen Domgeistlichen in enger Haus-, Tisch-, Geistes- und Gebets gemeinschaft in Nachahmung der Apostelgemeinde in Jerusa lem gehalten hatte und von der er selbst in einer Predigt sagte: ... „Seht, wie wir leben! Keinem ist es in unserer Gemeinschaft erlaubt, irgendein Eigentum zu besitzen..." Besonders knüpften an dieses Ideal im Jahre 1039 vier Dom herren aus Avignon an, als sie sich zu einer vollkommeneren Lebensweise in freiwilliger Armut zusammenschlössen und dafür von ihrem Bischof die Kirche St. Rufus zugewiesen erhielten. Daraus entwickelte sich Frankreichs berühmtestes Chorherren-Reformzentrum. Auch in anderen Ländern, nicht zuletzt in Deutschland, entstanden solch bedeutsame Wir kungsstätten. Gemäß des Aufrufes der Päpste Nikolaus II. und Gregor VII. griffen nun Erzbischof Gebhard von Salz burg und Bischof Altmann von Passau bei der Reform der Dom-, Pfarr- und Stiftsgeistlichen in ihren Diözesen auf diese neue Gemeinschaftsform zurück, aus der sich im aus gehenden 11. und im Verlauf des 12. Jahrhunderts der neue Orden der Regular-Chorherren mit dem Namen „Kanoniker nach der Regel des hl. Augustinus" herausschälte. In diesem Sinne besetzte Erzbischof Gebhard von Salzburg Reichersberg 1084 mit Chorherren und Bischof Altmann von Passau führte seine Reformen ebenso bewußt mit AugustinerChorherren durch. So gründete er 1069/70 St. Nikola in Passau als Chorherrenstift, erneuerte St. Florian und Sankt Pölten mit regulierten Chorherren, baute die 1072 errichtete

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