waren etwa die einträglichen Fundationsgüter im hochstiftischen Sauwaldgericht von Niederkeßla und Viechtenstein; da kamen die vielen Kandidaten aus guten Alt-Passauer Fami lien; da lockte die Bischofsstadt selber, in der man stets ein paar stiftseigene Häuser unterhielt. Vom nahen Innviertel aber wehte es die altbayerische Luft herüber, rauh und kräf tig oft, wie damals 1685, als der Abt Amand Glanz den Kurfürsten Max Emanuel schmähte, die Bayern aber von Burg hausen aus eine eigene Strafkompanie gegen Engelszell in Marsch setzten ... Freilich, die alten Bücher und Bilder weisen auch aus, welch kleines Klösterchen Engelszell noch zu An fang des 18. Jahrhunderts gewesen ist. Man hatte stets mit wirtschaftlichen und disziplinären Schwierigkeiten zu kämp fen; in der Reformationszeit lag das Stift überhaupt ausge storben; von 1720 bis 1747 mußte es wieder von Wilhering aus „administriert" werden. So sammelt sich der ganze Glanz auf der vierzigjährigen Regierung des Abtes Leopold Reichl, der 1754 mit der neuen Abteikirche begann — ganz unter dem Eindruck des erst vollendeten Wilhering und doch eine Demonstration gegen eben dieses Wilhering selber. Die etwas sperrige, hochgetriebene Einturmfassade von Engelszell beherrscht nun allerdings keinen weiten Hof, son dern sie ist einfach nordwärts an die Abteiflügel angesto ßen. Als einziger Dekor die Portalrahmung in grauem Hau stein und die unvermeidlichen Ziervasen über der ländlich gestelzten Attika. Hinter der Vorhalle aber tut sich ein Innen raum auf, der mit Wilhering höchstens die übliche Abfolge von Gemeindehaus, Mönchschor und Presbyterium gemein sam hat, in sich aber geistvoll rhythmisiertes Spätrokoko ist, bewegt von Grundgedanken, wie wir sie sonst nur beim großen Münchener Kirchenbaumeister Johann Michael Fischer finden. Wenn wir nachrechnen: das Gemeindehaus, ein Oval mit eingestellten Pfeilerblöcken, aber ein Oval, das zum Recht eck tendiert und die Mauern nur ganz leicht nach außen biegt; der Mönchschor ein Quadrat, doch vierungsartig ausgenischt; der leicht eingezogene Altarraum im Halbrund ge schlossen und mit indirektem Licht. Der Meister ist noch immer unbekannt, und die Vermutungen kommen und gehen. Norbert Lieb hat aber bereits 1941 auf das, trotz allem, „Donauländische" dieses Raumes hingewiesen und den Pas sauer Maurermeister Severin Goldberger genannt. Nur, die ser Goldberger bleibt ein ziemlich unbeschriebenes Blatt, auch wenn es stimmt, daß er die schöne Marktkirche in Obernzell gebaut hat. In Obernzell, das damals noch „Hafner zell" geheißen hat, passauisch war und die Heimat des Abtes Leopold Reichl gewesen ist. Ein geistvoll rhythmisierter Raum also, die Ausstattung selber zurückgenommen im Stoß, aber unvergleichlich, wie sie die Akzente setzt. Der Stuck vor dem hellen, bayerischen Weiß geht nicht in die Decken hinein, beschränkt sich auf die Kapitelle, ein paar Nischen, die Eleganz der Emporenbrüstung. Die Stuccolustro-Altäre aber schießen silhouettenhaft in die Fensterzone hinein, nehmen flüchtig kühle Altomonte-Blätter in die Mitte, spielen einen gleichsam marmornen Farbakkord aus. Dabei gehören Bartolomen Altomonte nicht nur die Blät ter, sondern auch die Deckenbilder: ein weiter Sprung über Wilhering hinaus, hinein ins Lockere, Hellfarbige, Atmo sphärische. Nur das Chorgestühl vorne bleibt beim alten Braun und Gold, Passauer Deutschmann-Arbeit mit lärmen den Putten auf den Gesimsen. Das Erstaunlichste in Engelszell ist freilich die Altarplastik. Sie gehört unbestritten in die erste Wertreihe der Zeit. Seit langem berühmt ist die geschwungene Stuckkanzel mit Sankt Bernhard auf dem Schalldeckel, der den Ketzer hinabschleu dert und sich dabei von einem Putto mit dem Abtstab kräftig assistieren läßt. Dann heilige Nonnen, ekstatisch-entrückt und damenhaft-vornehm zugleich, erfüllt von einer ans Herz grei fenden Seligkeit. Oder St. Isidor als sentimentalischer Bauer, St. Sebastian als sublimer Akt, der Wetterheilige Donat wie ein blitzeschleudernder Opern-Jupiter — zuletzt das brennende Haus zu St. Florians Füßen als einziger Farbakzent in diesem beinernen Spiel vor dunklen Marmortönen. Natürlich, es gibt deutliche Anklänge an Wilhering und seit Rudolf Guby wird auch hier immer wieder der Name Übelher genannt. Aber die Plastik von Wilhering ist pathetischer, steifer, auch leerer, irgendwie noch den Seicento-Italienern näher. Und man muß denken, daß Übelher, gleichzeitig mit dem entlegenen Engelszell, auch das für ihn nahe Steinebach an der Iiier in der Hand hatte — Steinebach, wo ihn am 27. April 1763 der Schlag gerührt hat. So möchten wir eine kühne Hypothese von Friedrich Wolf — „Ostbairische Grenz marken V (1961)! — aufgreifen: daß es nämlich einen eige nen genialen Figuralplastiker im Übelher-Kreis gegeben hat, und zwar in der Person des Balthasar Modler, Sohn des alten Johann Baptist Modler von Kößlarn und Bruder des jungen Kaspar Modler von Linz. Ein Meister, dieser Balthasar Mod ler, dessen Hand man auch im Treppenhaus der Passauer Residenz erkennen kann oder bei den Altären von Rotthof an der Rott: nur daß über seinem Leben ein Hauch mozarti scher Frühvollendung liegt und er bereits 1772 gestorben ist, ganze 37 Jahre alt. Nicht zu diesem „Modler-Komplex" gehören in Engelszell die vier großen Engelsfiguren in den Nischen vorne im Mönchs chor. Sie sind aus Holz und in Polierweiß gefaßt, werden schon in einem Beschrieb von 1812 dem jungen Franz Anton Zauner zugewiesen, der damals bei seinem Oheim Deutsch mann in der Passauer Werkstatt gearbeitet hat. Seither hat der große Name diesen vier Engeln in der Lokalliteratur viel Lob eingetragen. Bei genauem Zusehen handelt es sich aber um durchaus provinzielle Werke, die weitab liegen von der weichen Grazie der übrigen Plastik von Engelszell: sie können höchstens zeigen, wie schwer die antikische Beherrschtheit von Zauners Wiener Kaiserdenkmal errungen ist. 1764, im Oktober, stand der Bau von Engelszell endlich fer tig, und Kardinal Firmian von Passau konnte die festliche Weihe halten. 1786, im Mai, ist Abt Leopold Reichl gestor ben, und die josephinischen Aufhebungskommissäre hatten nur gewartet auf den Tod des großen Prälaten, um auch in Engelszell zuzugreifen. Allen voran der berüchtigte Gubernialrat Josef Valentin Eybel. Die Bibliothek ist zerrissen worden, das Archiv vernichtet, das Mobiliar zerstreut. Die berühmte Chrisman-Orgel kam in den alten Linzer Dom. Von 1798 bis 1810 war dann die Filiale der kaiserlichen Porzellanfabrik in den Gebäudeflügeln, darum gibt es klassizistische Wiener Schalen mit dem Bild von Engelszell. Es folgte, von Napoleons Gnaden eingesetzt, der bayerische Feldmarschall Karl Philipp von Wrede, und darum hängen köstliche alte Veduten von Kloster und Donauschlucht heute noch im Wrede-Schloß zu Ellingen in Mittelfranken. 1868 zogen die Grafen Pachta auf, 1925 die Trappisten von ölenberg im Elsaß, die nun ihrer seits wieder zur alten benediktinisch-zisterziensischen Familie gehören. Die Trappisten erst haben in unseren Tagen ihre Abteikirche glänzend restauriert und dabei das zerstörte Altomonte-Bild der Hauptkuppel durch ein neues Fresko von Fritz Fröhlich ersetzt. * Natürlich gibt es auch in Wilhering und Engelszell, was sonst zu einem alten Stift gehört. Kreuzgang und Stiftsgalerie hier, Bibliothekssaal und Fürstenzimmer dort; dazu barockes Kirchengerät oder in Wilhering ein Missale von 1320. Der eigentliche Ruhm von Wilhering und Engelszell beruht jedoch auf ihren Stiftskirchen, die beide spät sind, beide auf der Schneide zweier eng verwandter und doch deutlich geschie dener Kulturlandschaften stehen. In Wilhering und dann in Engelszell leuchtet der bayerisch-österreichische Spätbarock noch einmal ganz unvergleichlich nach.
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