Oberösterreich, 17. Jahrgang, Heft 3/4, 1967

Floridus Röhrig Barockstift St. Florian Fast jede Kunstepoche hatte den Wunsch, „Gesamtkunst werke" zu schaffen —, das heißt solche Werke, in denen sich alle Kunstgattungen zu einem Ganzen vereinen und die zugleich eine möglichst vollkommene Aussage über das Kunstwollen einer Epoche geben. Freilich sind es immer nur wenige Leistungen, die dieses Ideal verwirklichen können. Dem romanischen Schrein gelang dies in gewissem Sinne. Seine Kleinheit darf nicht irreführen, denn da im Früh- und Hochmittelalter der Goldschmied die erste Stelle unter den Künstlern einnahm, kam es ihm zu, im Zusammenklang mehrerer Kunstgattungen ein kleines, kostbares Weltgebäude zu errichten. Noch deutlicher wird diese Tendenz zum Ge samtkunstwerk bei der gotischen Kathedrale. Hier vereinigen sich Baukunst, Plastik, Malerei und Kunsthandwerk nach einem einheitlichen Programm zu einem Werk von kosmi scher Aussage. Andere Wege geht die Renaissance. Sie schafft den einzelnen Künsten größere Autonomie, ist aber doch stets um ihren harmonischen Zusammenklang bemüht. Die große Zeit des Gesamtkunstwerkes zieht mit dem Barock herauf. Er greift zum erstenmal über das eigentliche Gebiet der Kunst hinaus, indem er Natur und Landschaft — die frei lich auch schon früher als willkommene Gegebenheiten ge nutzt worden waren — bewußt planend in die Gestaltung einbezieht. Auf zwei Gebieten konnte die Barockzeit das Programm des Gesamtkunstwerkes verwirklichen: im Schloßund im Klosterbau. Das barocke Schloß, als dessen Typus etwa Versailles gelten kann, erhebt die Repräsentation der irdischen Macht in eine höhere, sakrale Ordnung, und alle Künste müssen das Ihrige dazu beitragen. Es tut dieser Idee keinen Abbruch, daß sie nur selten im vollen Umfang verwirklicht werden konnte. Man denke an Fischer von Erlachs grandioses Projekt für Schön brunn, das nur in sehr bescheidenem Maße, weit entfernt von der Idee des Gesamtkunstwerkes, ausgeführt wurde. Dem Schloßbau verwandt ist der Klosterbau. Er geht allerdings von den umgekehrten Voraussetzungen aus. Er dient in erster Linie einem sakralen Zweck. Aber das klösterliche Gotteshaus ist auch irdische Ordnungsmacht, es hat politische und soziale Aufgaben in dieser Welt und für diese Welt zu erfüllen. Da her findet es die Barockzeit ganz in der Ordnung,im Kloster bau ebenso der weltlichen Repräsentation Raum zu geben. Aber auch in anderer Hinsicht unterscheiden sich die Stifts bauten von den Schlössern. Der Schloßbaumeister schafft auf Neuland, seine Schöpfung ist ein Neubeginn. Anders die Klöster: Sie haben schon eine vielhundertjährige Geschichte hinter sich, sind längst bestehende, lebendige Organismen von ganz bestimmter Lebensform. Es gibt Traditionen, auf denen weitergebaut werden muß. Die örtliche Lage vor allem ist schon fixiert. Die alte Kirche muß in der Regel — zumindest der Anlage nach — übernommen werden. All dies mag gegen über dem Schloßbau eine Erschwerung bedeuten. Andererseits können gerade diese Gegebenheiten, wenn sie richtig ver standen und genützt werden, das Programm des Gesamt kunstwerkes gewaltig bereichern. Und so hat sich die Barockkunst in den großen Klosteranlagen ihre schönsten und kenn zeichnendsten Denkmäler gesetzt. Nicht jedem Barockstift kommt freilich der Charakter eines Gesamtkunstwerkes zu. Die einen sind — wie die meisten oberösterreichischen Stifte — zu einer Zeit erbaut worden, als die Idee des Gesamtkunst werkes noch nicht ausgereift war. Andere wiederum begann man so spät, wie Göttweig und Klosterneuburg, daß sie nicht mehr vollendet werden konnten und nur vom Projekt her das große Bauideal offenbaren. Nur drei große Kloster anlagen besitzen wir in Österreich, welche die Idee des barocken Gesamtkunstwerkes voll verwirklicht zeigen: Sankt Florian, Melk und Altenburg. Unter diesen nimmt Sankt Florian eine Sonderstellung ein, denn es ist in fast siebzig jähriger Bauzeit unter mehreren Prälaten und unter der Lei tung dreier ganz verschiedener Baumeister entstanden und dennoch ein Kunstwerk aus einem Guß geworden. Die ehrwürdige Geschichte des Stiftes St. Florian ist hier nicht unser Thema. An der Grabstätte des römischen Märtyrers Florian muß schon früh ein Kloster entstanden sein. Im 8. und 9. Jahrhundert ist es bereits urkundlich nachweisbar. 1071 führte Bischof Altmann von Passau in St. Florian die Augustinus-Regel ein, und seitdem ist es bis zum heutigen Tage ein Augustiner-Chorherrenstift. Es leistete wertvolle Rodungsarbeit im Mühlviertel und war während des ganzen Mittelalters ein Zentrum der Seelsorge, der Wissenschaft und der Kunst. Die Malerschule, die hier am Anfang des 14. Jahr hunderts bestand, hatte europäische Bedeutung, und um 1518 schuf Albrecht Altdorfer für das Stift das großartigste Werk der Donauschule,den weltberühmten Sebastiansaltar. Als die barocke Baulust St. Florian erfaßte, war von den älte sten Stiftsgebäuden kaum mehr etwas vorhanden. Die karolingische Basilika fiel wohl schon den Ungarnstürmen des 9. und 10. Jahrhunderts zum Opfer, der romanische Bau des Bischofs Altmann wurde nach einem Brande im 13. Jahr hundert durch eine gotische Kirche ersetzt. Die Stiftsgebäude schlössen sich gegen Süden an. Die Passauer Bischöfe rühm ten im 14. Jahrhundert ihre Pracht, aber dem Geschmack des beginnenden Barocks sagten sie nicht mehr zu, ebenso wie ihm die große Kirche als „finsteres und ungestaltes Steinwerk" erschien. Propst Leopold Zehetner ließ daher 1629 bis 1630 das Innere der Kirche umgestalten und ersetzte die unregel mäßigen, mittelalterlichen Konventtrakte durch einen mächti gen, ungegliederten Bau. Ein Teil davon blieb im Nordflügel des großen Stiftshofes erhalten. Für das Stift St. Florian muß es als Glücksfall gelten, daß dieser Neubau schon so früh erfolgte. Als die übrigen Stifte Oberösterreichs an die Neugestaltung ihrer Baulichkeiten schritten, bestand nämlich zunächst in St. Florian, wo ohne dies erst erneuert worden war, kein Bedürfnis nach Ver änderung. Als aber gegen Ende des 17. Jahrhunderts der Barock in Osterreich seinem Höhepunkt zustrebte und das Stift sich nun überdies in sehr günstiger finanzieller Lage befand, konnten die schlichten Umbauten vom Anfang des Jahrhunderts den gesteigerten Ansprüchen nicht mehr ge nügen. So kam es, daß man in St. Florian genau im rechten Augenblick begann, einen der schönsten Gebäudekomplexe der Welt zu schaffen. Eine kleine Voi'übung, gleichsam eine anmutige General probe für den Stiftsbau, bedeutete der 1681 errichtete Garten pavillon. Wir kennen den entwerfenden Architekten nicht mit Namen, doch wird man nicht fehl gehen, auch hier schon Carlo Antonio Carlone in Tätigkeit zu vermuten. Die groß zügig angelegte Freitreppe, die köstlichen Stukkaturen und die heute verschwundene, ursprünglich sehr reiche malerische Ausstattung geben diesem Bau eine Bedeutung, die über den Zweck einer gelegentlichen Gartenlustbarkeit hinauszureichen

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