Oberösterreich, 17. Jahrgang, Heft 1/2, 1967

falls notwendig — nicht einmal in irgendeiner Weise auf einander angewiesen. Nicht seine menschliche Integrität, allein Rang und Kraft seiner Kunst machen den Künstler aus. Der ein Gestalter sein soll, würde anders einfach zum Prediger. Ein schwacher Künstler mit einem hohen ethischen Anlie gen ... es zu denken ist hundertmal peinlicher als das Umge kehrte. (Wiewohl es natürlich gerade in seinem Falle einer andächtigen Gemeinde nie ermangelt, die eben genau diese spezielle Dosierung erquickt.) Nun gibt es aber so etwas wie eine Osmose zwischen persön lichem Charakter und künstlerischem Rang, eine vorerst be hutsam tastende gleichsam, alsbald stürmisch emportragende, und in dieser erst erreichen Mensch und Künstler als Einheit die Schwelle zum Gültigen. Früh hat Fanny Newald diesen Prozeß durchgemacht und sich angesichts unserer immer rascher entschwindenden sicht baren Welt (als Verkörperung einer ganz bestimmten eigent lichen) damit beschieden, ihre so kostbaren künstlerischen Mittel so gut wie ausschließlich als — ehrfurchtsvollste und getreueste — Chronistin einzusetzen. Wir bewundern die gewaltigen Stile gerade der Frühen, ver gessen aber darüber der Position des schaffenden Künstlers, der sich durch all jene Epochen bis herauf in unsere Romanik, Gotik der jeweiligen stilistischen Gebundenheit seiner Aus sage in keiner Weise bewußt war, noch gar Einfluß auf sie hatte. Er war allein seinem Gegenstand verpflichtet und dem Spannungsfeld, in dem dieser für ihn stand. Im Mittelalter war nicht nur das Ding, sondern noch die Pflanze, das Tier, als Detail der äußeren Welt nur Täuschung und letztliche Unwirklichkeit und als solche sicherer Auflösung bestimmt, während der es betrachtende Künstler sich im ebenso sicheren, unverlierbaren ewigen Heile innerhalb seiner Kirche wissen durfte. Welch ein Abgrund zwischen beiden! Welch erschüt ternde Beziehung! In der Renaissance wird Zeichnen auf völlig neue Weise abermals zum erregenden Abenteuer. Zur Entdeckung einer neuen Bedeutung der sichtbaren Dinge, die nun eine erhöhte Selbständigkeit, ja zum ersten Male in christlicher Ära eine eigene Wirklichkeit erhalten, nicht mehr bloß Schriftzeichen für religiöse Begriffe sind. Dies nur als zwei besonders drastische Beispiele! Es liegt auf der Hand, daß beide Einstellungen dabei immer noch die größten Verschiedenheiten in der jeweiligen Reaktionsweise des Künstlers zuließen. Denn weder sind diese Spannungen von jedem von ihnen ähnlich intensiv erlebt noch gleich si cher interpretiert worden, von den Unterschieden in der rein künstlerischen Bewältigung ganz zu schweigen. (Diese spran gen nur durch die überaus und fast gleichmäßig gründliche Ausbildung, die sie alle genossen hatten, weniger ins Auge.) Die Situation ist eine elementare. Wie der Mensch jahrzehntausendelange auf seiner Erde ging, zu Fuß ging, ritt, fuhr und eines Tages selbst auch noch flog, um wenig später selbst darin nicht mehr sein Genügen zu finden, so bedeuten schon der bereits das „Wie" über das „Was" stellende Im pressionismus und der, nach seiner Absicht, völlig mit allem Alten brechende Expressionismus erste Loslösungsversuche auf dem Gebiete der Kunst, auf welchem sich ja die Zeiten immer schon voraustasteten, vorausfühlten. Stile macht man weder, noch entrinnt man ihnen, weil man sie — was wohl die unerläßlichste Voraussetzung wenigstens für letzteres wäre — erst gar nicht erkennt. Oft erst nach Jahrhunderten werden sie richtig benannt. All die Kunstrich tungen, die der Mensch sich willentlich zu schaffen meint, sind nur fluktuierende, oft genug äffende Spiegelungen jener so machtvollen Geistes- und Lebensströme. Wer keine jener bewußt proklamierten augenfälligen Rich tungen der vergangenen hundert Jahre mitgemacht hat, hat, von den schon erwähnten zwei Ausnahmen abgesehen, also nur relativ oberflächliche Sensationen versäumt. W.enn auch zugegeben werden soll, daß diese dem, der sie überstand, gewiß seinen Standpunkt deutlicher umrissen und ihm zudem eine Anreicherung seiner künstlerischen Mittel eingetragen haben können. Aber selbst in diesem Falle bleibt die Frage, wieweit das tatsächlich noch von Bedeutung zu sein vermag für eine Kunst, der inzwischen erneut Grundsätzlicheres abverlangt wird. Noch einmal muß der Künstler, muß der Mensch von heute seine Welt ausgesetzt sehen wie zuletzt im Mittel alter. Nur: Er braucht an ihren Untergang nicht mehr zu glauben wie um 1500, er ist, zu jenem Glauben, der ein „Sehen" war, seit Menschenaitern längst außerstande, ganz einfach und schlicht dessen Zeuge. Sie sinkt Stück um Stück. Sie wird eingeholt wie eine Fahne. Stille, die unabdingharste Voraussetzung dafür, daß er sich über sich und die Schöpfung noch Rechenschaft abzulegen vermag, gibt es auf keinem für menschliche Besiedlung noch irgend in Frage kommenden Punkte der Erde mehr. Die Landschaft — seine Heimat schließlich! — erblindet, Städte und Dörfer verlieren ihre vertrauten Konturen und zerrin nen in Vororten und Siedlungen, die, ein schmutziger Schleier, das grüne Land überziehen. Sonne und Blau des Himmels sind Seltenheiten geworden über weiten Landstrichen — Linz, vierzig sonnige Tage im Jahr, laut jüngster amtlicher Statistik! — Luft, Wasser, sämtliche Lebensmittel sind vergif tet, aber nicht ihre erwiesene Schädlichkeit für die Organe des Körpers ist daran das eigentlich Bestürzende, das ist nur die, in den besonderen Stil unserer Tage übersetzte normale Bedrohung allen Lehens, sondern die Verfälschung ihrer ur sprünglichen Eigenschaften, ihres Duftes und Geschmackes, ihrer Wesenheit. Sie sind nicht mehr, sie sind bereits ver schwunden hinter den Wechselbälgern, die nun ihre Namen tragen. Namen? — Was ist selbst die Sprache noch? All dies widerfährt aber diesmal einem Menschen, der sich längst keine andere Heilsbotschaft mehr weiß, als eben eine seiner,sich ihm nun für immer entziehenden,Erde. Was gibt es da für einen Künstler noch zu tun? Einzufangen, festzuhalten, was noch von der Schöpfung übrig ist, wenn wir unter letzterem nicht nur ihre unmittelbar sichtbare Ober fläche, sondern und vor allem auch noch all die unendliche Vielfalt von Kräften verstehen, die am Werke sein mußte, sie zustande zu bringen. Wir sprechen damit nun schon wieder lange von Fanny Ne wald und ihrer Kunst. Welches Sausen und Brausen allen Grünens, Blühens, Wachsens und Reifens in jeder ihrer Zeichnungen! Und aus all jenen sich erhebend zu könig lichem Ragen... welche Stille! Alles Rasen und sonnenwärts Lärmen, ja, es ist ein einziges besessenes Schaffen an eben dieser überwältigenden, fast körperhaften, sommerhei ßen Stille! Nicht ein einziges Winterbild gibt es von ihr. Als schreckten sie in gleichem Maße die Starre des Leblosen wie die sich gerade einer Graphikerin allzu wohlfeil anbietenden SchwarzweißMöglichkeiten.(Etwas,das für sie überaus bezeichnend ist.) Als aller Routine aus dem Urgründe des Wesens der Künst lerin fremd, mag deren Handschrift dem des Lesens Unkun digen vielleicht gelegentlich, oder überhaupt, wie nicht völlig „sicher" erscheinen. Es flimmert, vibriert etwas daran. Alle biedermeierliche Zeichenübung, allzulange gedankenlos dem Bleistift fast als einzig adäquat zugebilligt, ist hier in der Tat gründlichst aus dem Felde geschlagen durch eine mit reißende — wesentlich poetische — Erhebung, die unverkenn bar schon jene des Expressionismus ist. Wir müssen hier vielleicht Fanny Newald und ihr Schaffen vor dem Hintergrund der künstlerischen Entwicklungen be trachten, die ihr wie unser aller Dasein als Künstler ebenso belebten wie gefährdeten.

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