Oberösterreich, 16. Jahrgang, Heft 3/4, 1966

Franz Lipp Von Gimpelbetten, Meisentruhen und Nußhäherkästen „Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle.. ,so singen die Kinder allerorten, um den holden Frühling zu begrüßen. Auch wenn wir oberösterreichische Bauernstuben oder, genauer gesagt, die „schönen", „hohen", „gfeiraten" oder ,obenauftigen" Stuben oberösterreichischer Bauernhäuser betreten, wo man — mit einigem Glück — bisweilen sogar auch heute noch die Pracht bemalter Möbel bestaunen kann, scheint uns bisweilen vielstimmiger Vogelgesang entgegenzuschallen, wenn wir vor einer der häufigen Truhen mit aufgemalten Meisen, vor Betten, Kästen, ja Stühlen mit roten Gimpeln oder blauweißschwarz gefiederten Nußhähern stehen, die, je nach Landschaft, zur Ausstattung der besseren Zimmer gehörten. Wie kommen die Vögel auf die Möbel, und was haben sie mit der Bauernmalerei zu tun? Zur ersten Frage einmal die grundsätzliche Feststellung, daß die farbigen Möbel — und ihre Bemalung ist eine zeitliche Frage, es gibt sie im entscheidenden Ausmaß praktisch erst seit dem 18. Jahrhundert — Teil der Hochzeitsausstattung gewesen waren. Als solche, als „Kammergut" oder, im Inn viertel, als „Primöß"(von lat. primitia, das Erstlingsopfer oder auch die Morgengabe, das Brautgeschenk), wurden die Möbel auf dem bekränzten Kammerwagen unter Einhaltung eines bestimmten Rituals, das der Tischler auszurichten hatte (dem übrigens auch als Sargmacher und damit als Leichenbestatter eine ähnliche Rolle zukam), in feierlichem Aufzuge durch das Dorf geführt und schließlich im Hause seiner künftigen Bestimmung, in das die Braut einheiratete, abgeladen. Alles dies, Aufladen und Abladen, geschah mit großer Komik und dramatischen Verzögerungen, die der ungeduldige Bräutigam jeweils mit entsprechenden Litern Bier oder Wein wieder einzubringen hatte. Auch die Bemalung der solchermaßen dem ganzen Dorf zur Bestaunung und „Bschau" gestellten Möbel nahm naturgemäß auf die Hochzeit Bezug. Da gab es (und gibt es jetzt in ver schiedenen Museen) Truhen oder Betten mit aufgemalten Hochzeitsszenen, wie dem Brautpaar oder dem Zug zum Gast haus oder dem Hochzeitsmahl — und was nicht auf der Truhe oder dem Bett Platz hatte, wurde auf die Stühle oder den zu gehörigen Kasten gemalt. Die Ausstattung wurde ja als Ganzes geliefert und ist als Ganzes aufzufassen, weshalb auch heute auf die „Zsammgstandigkeit" (Zusammengehörig keit) ihrer einzelnen Teile von Sammlern und Museen so großer Wert gelegt wird. Diese szenischen Schilderungen sind jedoch die große Ausnahme. Fast von einer Regel kann man sprechen, wenn, namentlich auf den Kästen, paarige Vögel auftreten. Zunächst irgendwelche Vögel, die, streng stilisiert, einfach das Vogelprinzip verkörpern und als reines Symbol der bräutlichen Liebe zu nehmen sind. Nicht selten sind daher auch diese Vögel „schnabelziehend", schnäbelnd, aufgemalt, um damit den Sinn der Darstellung noch deutlicher zu unter streichen. Es gibt eine ganze Möbellandschaft — am Nord fluß der Alpen zwischen Attersee und Traunsee mit Gmunden als Mittelpunkt und darüber hinaus bis zur Alm und Krems vordringend —, deren kennzeichnendes Motiv diese paarigen Vögel sind. Die Schränke dieser Gegend werden im Volks mund ganz einfach als „Vogerlkasten" bezeichnet. Dieses Vogelmotiv, das in der Möbelmalerei bis gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgt werden kann und bis zum Erlöschen der Farbigkeit des Volksmöbels um 1865 beibehalten ist, wurde irgendwann, jedenfalls ziemlich früh, d. h. noch im 18. Jahrhundert, und irgendwo, vielleicht sogar zugleich auf verschiedenen Plätzen gewissermaßen freigesetzt, d. h. es wurden nicht mehr irgendwelche Vögel, die nur das Motiv als solches verkörpern sollten, sondern ganz bestimmte Vögel gemalt: Meisen, Gimpel, Kreuzschnäbel, Papageien, Distelfinken, eine buntgefiederte Schar, an der selbst unsere heutigen Ornithologen ihre wahre Freude hätten. Zwei Vögel allerdings scheinen mit dem Hochzeitsbrauch primär nicht in Verbindung zu stehen, zumindest sich nicht von den Hochzeitsvögeln ableiten zu lassen. Einer ist jener Specht, der bei den Truhen der „Eferdinger" Volksgotik, den „Eferdinger Spreißeltruhen", über dem dreieckigen Schlüsselschild angebracht zu werden pflegte und in weiterer Folge auch auf Schränke dieses Typs übertragen wurde. Es scheint, daß dem Specht, der sonst mit dem Feuer in Verbindung gebracht wird, die Funktion eines Schloßhüters zugedacht war, der dem auf die Finger zu klopfen hatte, der das Schloß unbefugt aufsperrte. Der andere „einsame" Vogel, der höch stens, weil es die Symmetrie verlangt, paarig auftritt, ist der Adler. Er kommt in der Renaissancezeit als heraldisches Motiv in Mode und wird, oft bis zur Unkenntlichkeit stilisiert, bis zum Ausklingen der Möbelmalerei bei einem bestimmten Möbeltyp als Motiv beibehalten. Unsere vorhin genannte Vogelschar jedoch verkörpert auch in ihrem in ein Dutzend Arten gegliederten Auftreten noch immer Werbung, Hochzeit, Nestchen und junge Brut, selbst verständlich gemünzt auf das Brautpaar, von dem die Aus stattung bestellt wurde. Da gibt es z. B. im Räume des unteren Kremstales zwischen Ansfelden und Kremsmünster und von dieser Linie nach beiden Seiten hin ausstrahlend eine farbenfrohe, auf Rot abgestimmte Möbelgruppe, die sich nicht zuletzt auch dadurch auszeichnet, daß sie es zu dem vollständigsten Ensemble gebracht hat, das je eine oberösterreichische Werkstätte her gestellt hat. Diese „zsammgstandigen" Möbel mit Tisch, Stühlen, Bänken, Betten, Truhen, Kästen, Kommoden, Wiegen, Uhrkästen, ja sogar Türen, Fenstern und dazupassender Wandverkleidung (Lamperie) sind in jenen von Rotbraun zu Weiß verlaufenden Schraffen gehalten, in die dann die dicht und streng stilisiert gemalten rotweißen Tulpenbuketts gesetzt sind, die das Möbel so überaus farbig erscheinen lassen. Besonders auf den Betten und Schränken pflegen hier jene überdeutlich gemalten Vögel mit leuchtend roter Brust aufzutreten, die dem Möbel die Bezeichnung „Gimpelbett" oder „Gimpel kasten" eingetragen haben. Daß es sich um ein „Hochzeitsvogel-Möbel" handelte, beweist eindeutig das Auftreten des mit seiner schlichten grauen Brust im Vergleich zum rotbewamsten Männchen so unscheinbaren Gimpelweibchens. Es sind also meist beide da, Männchen und Weibchen, nicht selten auch in Gefolgschaft anderer rotgefärbter Vögel, wofür bei der nicht übermäßig großen Auswahl fast ausschließlich Papageien in Frage kommen. Eine große Vorliebe scheinen die oberösterreichischen Möbel maler auch für die Meisen gehabt zu haben. Besonders im Räume des nördlichen Hausruckviertels zwitschern die Kohl meisen und Blaumeisen nur so von den Truhen herunter, die sie gerne bevölkern. Diese Gruppe beschränkt sich in der Regel auf das älteste Hausmöbel und meidet eher Kästen und

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