Karl Holding Oberösterreich — Land der Märchen und Schwönke Wer den Reichtum von Oberösterreichs Volkskultur in seiner Vielfalt kennt, wie sie dem aufmerksamen Wanderer im Bauen und Wohnen, in Tracht und Gerät, Brauch und Spiel, Lied und Tanz auch heute noch an so manchen Orten des Landes entgegentritt oder eindrucksvoll in der Volkskund lichen Abteilung des oö. Landesmuseums, in prachtvollen Publikationen und wissenschaftlichen Abhandlungen zusam mengefaßt ist, wird davon überzeugt sein, daß es ursprüng lich um das Erzählgut nicht schlechter bestellt sein konnte. Ebenso eifrig wie etwa Lied und Musik hat man indes nur die leicht zugängliche Volkssage aufgezeichnet, selbst Schwänke sind nie planmäßig gesammelt worden. Und man nahm es als Gegebenheit hin, daß Oberösterreich zu den märchenärmsten Gebieten Österreichs zählte. Nach meinen Märchenfunden im Burgenlande und in der Steiermark und nach Stichproben im oberösterreichischen Salzkammergut hatte ich die Überzeugung gewonnen, daß dieser ungünstige Eindruck nicht im tatsächlichen Überlie ferungsbestand, sondern in Forschungslücken begründet sei, die noch in letzter Stunde wenigstens teilweise geschlossen werden könnten. Oberrat Dr. Franz Lipp kommt das Ver dienst zu, in der Notzeit des Jahres 1954 für seine Abteilung des Landesmuseums den Kauf eines Magnetophons und Mittel zu Sammelreisen erwirkt zu haben. Dadurch war es mir möglich, nach Märchen zu suchen und diese auf Tonbän dern festzuhalten. Von vornherein bezog ich auch die zumeist vernachlässigten Schwänke mit ein. Einige Aufzeichnungstage im Jahre 1956 und eine kurze Urlaubsreise 1965, die den weiteren Rückgang des Erzählens aus mündlichem Herkom men erkennen ließen, erweiterten den Überblick. Obwohl mit dem gewichtigen Tonbandgerät auf dem Rücken und in einer beschränkten Zeit nur begrenzte Ergebnisse zu erhoffen waren, entsprachen diese den Erwartungen. Hätte die Mär chensuche fünf Jahrzehnte früher eingesetzt, so würde Ober österreich neben Schleswig-Holstein und Tirol zu den reich sten deutschen Märchenlandschaften zählen. Unser Bild von dem einstigen Märchenbestande beruht hier wie in anderen Gegenden auf dem Fehlen einer planmäßigen Forschungstä tigkeit. Wo eifrige Sammler zielbewußt am Werke waren, wie FV. PVisser und G. Fr. Meyer in Holstein, die Brüder Ignaz und Joseph Zingerle mit ihren Helfern in Nord- und Südtirol, konnten rechtzeitig so viele Märchen aufgezeichnet werden, daß wir wenigstens einen Begriff von dem einstigen Reichtum haben. Wo man sich indes nur gelegentlich dieser Mühe unterzog, liegen im Vergleich zum ursprünglichen Be stände bloß spärliche Zufallsfunde vor. Wie sich innerhalb einer Ortschaft die Märchen- und Schwank träger von den Sagenerzählern abheben, so mag auch der für eine Gegend kennzeichnende Menschenschlag nicht ohne Ein fluß auf die Vorliebe für bestimmtes Erzählgut sein. Das von F. Lipp entworfene eindrucksvolle Bild des „Salzkammerers" (Die aus dem Salzkanunergut, Heft 2/3 v. 1962/63 unserer Zschr.) läßt für diese schöne Landschaft wenig Neigung zu beschaulichen Erzählstunden erwarten, und tatsächlich dürfte zum Beispiel das Mühlviertel seit eh und je mehr Sinn dafür gehabt haben. Allein schon die aus dem Salz kammergut bekannt gewordenen Sagen zeigen auch die Emp fänglichkeit für jenen Bereich der Volkskultur, der heute Hauptanliegen eines weltweiten Forscherkreises geworden ist (A. Depiny, Oberösterreichisches Sagenbuch, Linz 1932, Orts register; K. Haiding, Österreichs Sagenschatz = ÖS, Wien 1965, Nr. 4, 39, 223, 261). Außerdem können sich manche der hervorgehobenen Eigenschaften der „Salzkammerer", wie Mutterwitz und Schlagfertigkeit mit einem Untertone von Frotzelei, nicht nur in Trutzgesängen und Stichelreden be kunden. Auch der Schwank erschließt hier Formen und Mög lichkeiten, besonders wenn es gilt, Bewohner bestimmter örte — wie die der Gösau oder von Lauffen — zu ver spotten. Freilich wäre es nicht ratsam, diese Geschichten in der besagten Gemeinde zum besten zu geben. Eher eignet sich dazu die heimische Wirtsstube, wenn ein Gast aus einem der „bevorzugten" örte eingekehrt ist und die Stimmung solche an sich harmlose Sticheleien verträgt. Derartige Schild bürgerstreiche sind bis zu geläufigen Übernamen, etwa der Salzburger „Stierwascher" und der Wiener „Flaschltrager" (ÖS Nr. 99), immer wieder örtliche Bindungen eingegangen, so am nahen Grundlsee mit seinem ähnlichen Menschen schlag. Aber auch andere, oft recht derbe Schwänke kann man noch hören, und selbst die beliebten Anekdoten um den jagdfreudigen Kaiser Franz Josef gehen in teilweise seltene Varianten von Volksschwänken über (vgl. das in Vorbereitung befindliche Werk K. Haiding, Märchen und Schwänke aus Oberösterreich = Oö,Nr.45). Wenn der Erzähler dieses Schwankes, ein ehemaliger Berg mann, der mir wegen seines Wissens von anderen alten Knappen genannt worden war, denen er einst die Muße stunden verkürzt hatte, auch ein Märchen zum besten gab [K. Haiding, Österreichs Märchenschatz = ÖM, Nr. 25, Der Wagen „Pick an"), so kann bei aller Vorsicht auch dieser Einzelfall einiges aussagen. Denn das Volksmärchen stellt viel größere Ansprüche an das Können seiner Träger und erlischt, während andere Erzählgattungen noch in der münd lichen Tradition fortbestehen, z. B. die dank ihrer örtlichen Bindungen häufigere und beständigere Volkssage, die auch wegen ihrer Kürze leichter im Gedächtnis haftet. Ein Bericht aus dem nahen Mondseeland beweist uns, daß dort bis 1930 ein Bauer Volksmärchen erzählte, die nach den bruch stückhaften Erinnerungen eines einstigen Zuhörers auf keine Buchvarianten zurückzuführen sind. Seltsam gewandelte Bruchstücke von Märchen und anderen Geschichten fanden sich kürzlich auch noch in der Nähe des Attersees. So dür fen wir angesichts der stichprobenartigen, späten Suche und der ein halbes Jahrhundert zurückreichenden Sammeltätigkeit S. Trolls diese Beispiele doch als Anzeichen einstiger Mär chentradition in den Seengebieten werten, in denen heute der Fremdenverkehr alles überflutet und nur jene Zweige der Volkskultur (teilweise bis zur Gefährdung) gefördert werden, die dieser Einnahmsquelle dienen. Wenn aber ein in öbertraun aufgezeichneter Schwank im Innviertel spielt (Oö. Nr. 29) und ein im Mühlviertel auf gefundenes Märchen von seinem Gewährsmanne aus dem Innviertel übertragen worden ist (öö. Nr. 1), so erinnert uns dies an die Tatsache, daß Volksmärchen und Schwank zum leichtfüßigen Überlieferungsgut gehören. Denn ihre Trä ger sind oftmals „außerdörfliche" Erzähler, nicht zuletzt die wandernden Handwerksburschen gewesen, auch die „Pinklkramer" und andere „Roasade", die auf der Rückentrage, der Krachsn, ihre Ware mitbrachten, zugleich aber für die abend liche Unterhaltung im gastfreundlichen Hause sorgten. So mancher ehemalige Handwerksgeselle ließ sich später als
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