von Seiten der Bevölkerung erbracht wurden. „Ich bin ent zückt", schrieb er von Linz aus an die Kaiserin, „dieses Land gesehen zu haben und ich glaube, auch auf die Bewohner einen guten Eindruck gemacht zu haben. Alle haben den Unterschied besprochen, daß der Kurfürst während 40 Jahren nie auch nur auf einige Stunden gekommen sei, sein Land zu sehen, während hingegen ich nach erst 6 monatlichem Besitz herkam, mich persönlich um ihr Wohl und Wehe zu erkundi gen." Der „Volkskaiser", der ein Doktrinär und ein Praktiker des aufgeklärten, despotischen Fürstenabsolutismus war, hielt etwas auf Volksstimmung, Popularität und Anhänglichkeit der niederen Gesellschaftsklassen, des einfachen Volkes. Es ist ganz natürlich, daß Kaiser Josef II., dieser klassische Repräsentant rationalen Staatsdenkens, dieses Innviertel frei haben wollte von Sonderbezirken und Enklaven, in denen fremde Hoheitsrechte Geltung hatten. Nun konnte Bayern im Teschener Friedensvertrag naturgemäß nur ein Gebiet abtreten, in welchem es selbst die Souveränität besaß. Inner halb dieses neu erworbenen Gebietes gab es aber zwei Enkla ven, in welchen dem Hochstift Passau die Landeshoheit zu kam: der reichsunmittelbare Burgfried Obernberg am Inn und die reichsunmittelbare Herrschaft Viechtenstein an der Donau. Schon in sein Reisejournal hatte der Kaiser eine Ein tragung gemacht, in welcher er die Notwendigkeit des Über ganges der beiden Passauischen Herrschaften an Österreich betonte. Erst im Staatsvertrag zwischen dem Bischof Leopold Ernst von Passau und Kaiser Josef II. vom 27. Juni 1782 trat das Hochstift seine Hoheitsrechte über Obernberg und Viechtenstein an Österreich ab. Mit diesen beiden Herr schaften waren die letzten Gebietsteile des heutigen Inn viertels zu Österreich gekommen. Noch einmal hatte der Kaiser dann trotz des „ewigen Verzichts" von Teschen ver sucht, Bayern gegen die österreichischen Niederlande einzu tauschen. Auch damals ist Preußen durch die Errichtung des sogenannten Fürstenbundes im Jahre 1785dem österreichi schen Vorhaben entgegengetreten. Es sollte beim Innviertel bleiben, das ein bayerischer Landesfürst der Kaiserin Maria Theresia aus „Erkenntlichkeit" überlassen hatte. Für das neue Viertel des Landes ob der Enns begann bald nach der Besitznahme und Huldigung der Alltag. Die Liebe zum Kaiser, den man in Perwang stürmisch gefeiert hatte, wich bald einer Ernüchterung. Es war klar, daß man bestrebt war, sobald als möglich, das Land am Inn „österreichisch" zu machen. Eine Landes-Einrichtungs-Kommission unter der Leitung des Landrates Franz Xaver Pocksteiner von Woffenbach ging an die Arbeit, das Gerichtswesen und die Ver waltung des Innviertels dem System der habsburgischen Erb länder anzugleichen und das neue Landesviertel zu einem integrierenden Teil des Erzherzogtums Österreich ob der Enns zu machen. Auch ein Kreisamt wurde zunächst in Braunau errichtet, bald aber nach Ried verlegt. Für die Stimmung im neuen Landesteil war es von großer Bedeutung, daß neben diesen Bestrebungen, das bisher bayrische Land in die öster reichische Verwaltung einzugliedern, als zweites Moment noch dazukam, daß mit dem Tode der Kaiserin Maria Theresia die josefinische Verwaltungsreform freie Bahn gewonnen hatte und selbst über die alt-habsburgischen Erbländer wie ein Sturm fegte. Auch in den alten Ländern des Hauses Öster reich gab es einschneidende Änderungen, die tief in das Leben der Menschen eingriffen, auch dort gab es Mißmut und Un zufriedenheit mit den hektischen Maßnahmen eines überbürokratisierten Systems, das vor Gewohnheit und Tradition, vor manchem Liebgewordenen nicht haltmachte, und den Untertanen in doktrinärem Zwang das allgemeine Wohl förm lich aufzwingen wollte. So ist es nicht zu verwundern, daß dieser zweifache Ansturm auf das Innviertel dort noch mehr als in den alten Erbländem Mißstimmung hervorrief, daß nicht nur der Abschied vom „guten alten Bayern" schwer war, sondern daß die josefinischen Reformen die Unzufrieden heit im neuen Landesteil zusätzlich steigern mußten. Ver ständlicherweise gingen daher die Blicke der Innviertier noch oft über den Inn, alte Bindungen waren über die neuen Grenzen hinweg bestehen geblieben, und gelegentlich mag die Sehnsucht durchgebrochen sein, wieder zurückkehren zu können zum alten Bayern, zu welchem Erinnerung, Gewohn heit, Verwandtschaft und auch starke wirtschaftliche Kontakte hinzogen. Es würde nun ganz gewiß nicht richtig sein, wenn man sozusagen von einer bayrischen Irredenta im Innviertel spräche. Aber so etwas Ähnliches gibt es gelegentlich, wenn alte Sehnsüchte und Wünsche nach Verwirklichung trachteten, obschon es eine größere politische Bewegung zugunsten einer Wiederangliederung an Bayern nicht gegeben hat. Doch hielt man österreichischerseits ein wachsames Auge auf das neu zu Österreich gekommene Innviertel, und man registrierte mit Sorgfalt und gelegentlichem Mißtrauen alle bayernfreund lichen Äußerungen aus dem Innkreis. Manche Schwierigkeiten traten schon in der josefinischen Ära zutage, als die einschneidenden Maßnahmen der österreichi schen Bürokratie Unruhe und Widerstand hervorriefen. So haben die Innviertier Landstände sich offen gegen die neue josefinische Steuergesetzgebung gewandt und Kaiser Leo pold II. darauf hingewiesen, daß sie im Jahre 1779 der Kaiserin nur auf deren Versicherung, sie bei ihren alten Rechten zu belassen, gehuldigt hatten. Doch das war nur eine offizielle ständische Stellungnahme. Viel tiefer in die Schichten des Volkes mag die Bewegung gegangen sein, die an die französische Revolution anknüpfte. Der Geist, welcher von Frankreich aus über Deutschland sich zu verbreiten begann, nährte die Hoffnungen manches Innviertiers, daß durch kommende Umwälzungen das Land am Inn allenfalls wieder zu Bayern zurückkehren könne. Bei der Regierung in Linz herrschte Unmut über Berichte aus dem Innviertel, welche besagten, daß dort die Bauern vor allem an der Grenze „sehn lichst wünschen, daß die Neufranken nach Baiern kommen , weil sie sich hiedurch eine Wiedervereinigung mit Bayern erhofften. Der Linzer Polizeidirektor Schoppine berichtete von einer Reise ins Innviertel, daß sogar der Kreishauptmann des Innkreises franzosenfreundlich gesinnt sei. Nun, die Neufranken kamen, und der Wunsch mancher Innviertier erfüllte sich für ein halbes Jahrzehnt. Denn durch den Wiener Frieden von 1809 wurde Österreich gezwungen, das Innviertel und einen großen Teil des Hausruckviertels an Kaiser Napo leon abzutreten, „damit dieses Territorium künftig einen Teil des Rheinischen Bundes ausmache und zugunsten der Fürsten dieses Bundes darüber disponiert werden könne". Das Inn viertel kam also nach dem Pariser Vertrag vom 7. März 1810 wieder zu Bayern. Mit einer gewissen Genugtuung berichtet die Linzer Polizei im Jahre 1811 an die oberösterreichische Landesregierung, daß die Innviertier, welche sich von einer Rückkehr zu Bayern „Wunderdinge" versprochen hätten, nun mehr enttäuscht seien über die Wirklichkeit im neuen Bayern des Rheinbundes. Beim Zusammenbruch des napoleonischen Empire mußte sich naturgemäß auch für das Innviertel wieder eine Änderung ergeben. Denn das Schicksal des zum König reich erhobenen bayrischen Staates war an Gedeihen und Verderben seines Protektors, des Kaisers der Franzosen, ge bunden. Daran konnte auch eine im Innviertel vorhandene pro-bayrische Propaganda kaum etwas ändern. Es sei in die sem Zusammenhang hingewiesen auf die Flugschrift „Der Inn, Baierns Strom, aber nicht Baierns Grenze", welche um das Jahr 1815 in Braunau aus der Feder eines unbekannten Autors erschien. Die Parallele zu Ernst Moritz Arndts Schrift „Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze" ist offenkundig. Die Braunauer Flugschrift wirbt für den Verbleib des Innviertels und auch der an Napoleon abgetretenen Teile des Hausruck-Kreises bei Bayern. Sie
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