Oberösterreich, 16. Jahrgang, Heft 1/2, 1966

1 Steyr um 1650 (Kupferstich von Merlan) r"'' ^»-1 yJi»s Die Eisenstadt Steyr Die Verbindung des Namens Steyr mit Industrie und Eisenver arbeitung ließ vielfach ein Bild der Stadt entstehen, das der Wirk lichkeit bei weitem nicht entspricht. Man muß bei Betrachtung der Stadt Steyr alle Voreingenommenheit, die man mit dem Begriff Industriestadt verbindet, ablegen. Eine fast tausendjährige Entwicklung liegt heute hinter ihr, und sie hat es wie kaum eine andere Stadt verstanden, ihren mittel alterlichen Charakter in unsere von Hast und Unruhe erfüllte Zeit herüberzuretten. Die Lage an den steil aufsteigenden Terrassen, von Enns und Steyr im Laufe von Jahrtausenden in die Erde gegraben, hat ihre heutige Form weitgehend vorausbestimmt und mag für ihre Entwicklung von großer Bedeutung gewesen sein. Vom Tempo unserer Zeit etwas überrollt, liegt die Stadt abseits der großen Verkehrsströme, aber vielleicht hat ihr gerade dieser Umstand geholfen, ihren Charakter und ihre Eigenart zu bewah ren. Als Juwel mittelalterlicher Städtebaukunst ist sie es wert, um ihrer selbst willen nicht vergessen zu werden. Auf steilem Felsen über dem Zusammenfluß der Enns und Steyr entstand — das Jahr der Erbauung ist uns nicht überliefert — die mächtige „Styrapurhc", der Sitz der Steirischen Otakare. In ihrem Schutz war bereits im 12. Jahrhundert eine ansehnliche Siedlung herangewachsen. Erst das Jahr 1287 hinterläßt uns die heute älteste Urkunde der Stadt, ein Privileg Herzog Albrechts L, welches alte Handelsrechte der Steyrer Bürger bestätigte. Bereits im Mittel alter wurde Steyr ein wohlhabender Handelsplatz, dessen Ver bindungen nach allen Ländern Europas reichten. Jedoch blieb die Stadt auch nicht vor schweren Rückschlägen verschont. Kriege, Glaubenskämpfe, Besetzungen, Naturkatastrophen, Seuchen und Brände brachten Not und Elend über die Stadt und ihre Bewohner. Manchmal schien es bereits, als würde sie zu vollständiger Bedeu tungslosigkeit absinken. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahr hunderts brachte Josef Werndl, der Gründer der österreichischen Waffenfabriks-AG, der Vorläuferin der heutigen Steyr-DaimlerPuch-AG, die entscheidende Wendung. Seit dieser Zeit setzte eine steile Aufwärtsentwicklung ein, die in der heutigen wirtschaft lichen Bedeutung der Stadt ihren Niederschlag findet. Förmlich als Stadt in der Stadt liegt heute der mittelalterliche Stadtkern, überragt von der gotischen Stadtpfarrkirche und dem Schloß Lamberg, dem barocken Nachfahren der alten „Styrapurhc". Stille, verträumte Gassen laden zu gemütlichem Spaziergang, malerische Höfe zum beschaulichen Verweilen ein. Bereits der Stadtplatz, heute wie früher Mittelpunkt des städtischen Lebens, atmet in seiner Vereinigung der verschiedensten Baustile eine ganz besondere Atmosphäre. Das Rathaus mit seinem schlanken Turm, ein Meisterwerk des österreichischen Rokoko, steht beherrschend in der Mitte des Platzes, und im wirkungsvollen Kontrast dazu steht gegenüber das Bummerlhaus als besonderes, weit bekanntes Kleinod spätgotischer Baukunst. Undenkbar ist es, nur annähernd alle Kostbarkeiten der Stadt zu nennen. Gleich, ob man durch die Straßen und Gassen der Altstadt wandert, ob man etwa von der Anhöhe des Tabors auf das Gewirr der Dächer herabblickt oder den Blick über die Stadt zu den Bergen des Ennstales wandern läßt, immer nimmt einen der Reiz der Stadt gefangen. Das Eisen gab der Stadt ihren Beinamen. Nicht nur als Produkt der Industrie und des Gewerbes trug es den Namen Steyr in alle Welt. Allenthalben begegnen wir ihm in der Stadt in kunstvoller Verarbeitung in Form von Wirtshausschildern, Fensterkörben, Gittern und Beschlägen. Meister Michael Blümelhuber hat in unserem Jahrhundert die Bearbeitung des Eisens in der Wieder erweckung des Stahlschnittes zur Kunst erhoben und seine und seiner Schüler Werke sind weithin bekannt und geschätzt. Auch den Künsten war Steyr immer sehr zugetan, und im beson deren die Musik fand hier eine Heimstätte. Von einer bedeuten den mittelalterlichen Meistersingerschule bis Franz Schubert und Anton Bruckner, die beide gern in Steyr bei Freunden weilten, spannt sich ein weiter Bogen. Heute ist Steyr eine blühende, von reger Betriebsamkeit erfüllte Stadt, die mit großer Tatkraft an die Bewältigung immer neuer, großer Aufgaben geht, jedoch eingedenk ihrer Geschichte und Tradition darüber wacht, ihr ererbtes Kulturgut zu wahren und zu erhalten. So legt heute nicht das Wort, sondern die Stadt selbst über sich Zeugnis ab, und sicherlich wird auch in Zukunft jeder Besucher der sie gesehen hat, von ihr begeistert sein.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2