Hans Sturmberger Das Innviertel - zweimal gewonnen Aus Anlaß seiner 150jährigen ununterbrochenen Zugehörigkeit zu Oberösterreich Napoleons Wort von der Politik als dem Schicksal, hat in weiten Bereichen der Geschichte Geltung. Denn nicht immer sind es nur wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren, welche die Geschichte gestalten, nicht immer sind allein gei stige Strömungen und Tendenzen wirksam. Oft sehen wir das starke Übergewicht rein politischer Kräfte bei der Formung des großen Geschehens. Auch im 18. Jahrhundert, als bereits die Aufklärung den Geist der Zeit prägte, war noch durchaus das reine Machtdenken des barocken Staates wirksam und ein entscheidender Faktor der geschichtlichen Entwicklung. Dem Spiel machtpolitischer Kräfte des späten 18. Jahrhunderts im deutsch-österreichischen Raum verdankt das Land Ober österreich die Erwerbung des Innviertels. Nun gehört freilich dieser letzte bleibende größere Gebietserwerb des Landes ob der Enns in die Reihe zahlreicher Ereignisse, welche sich aus der jahrhundertealten bayerisch-österreichischen Spannung er gaben. Die Geschichte des Landes ob der Enns ist weitgehend durch die Mittellage dieses Landes zwischen Bayern und Österreich bestimmt. Oberösterreich ist altbayerischer Siedel boden, nur allmählich ging die Lösung vom alten Herzogtum Bayern vor sich, und auch als Österreich — seit 1156 — eigenes Herzogtum war, strebte Bayern darnach, das Land ob der Enns wieder zu erwerben. Anderseits aber bestanden lange Zeit hindurch Bestrebungen Österreichs, Bayern an sich zu ziehen. Schon der Babenberger Herzog Friedrich II. hatte vorübergehend Schärding und Ried erworben. Aber selbst in den letzten Jahrhunderten der Neuzeit war unser Land wieder holt Exerzierfeld der habsburgisch-wittelsbachischen Gegen sätze. Gerade im 18. Jahrhundert waren die Auseinander setzungen zwischen denbeiden Dynastien, welche 100 Jahre vorher der gemeinsame konfessionelle Kampf gegen den Protestantismus zusammengeführt hatte, besonders heftig. Und wie etwa der Wittelsbacher Karl Albrecht von Bayern nach dem Tode Kaiser Karls VI. das Land ob der Enns als „Erzherzog" von Österreich in Besitz nahm, und sich in Linz von den Landständen huldigen ließ, so hatten im spanischen und österreichischen Erbfolgekrieg österreichische Truppen bayerischen Boden betreten, und das Kurfürstentum befand sich damals unter habsburgischer Verwaltung. Der Gedanke, bayerisches Gebiet, ja ganz Bayern für das Haus Österreich zu gewinnen, war gerade am Ende des spanischen Erbfolgekrieges fast vor der Realisierung gestanden, als Max Emanuel von Bayern mit Zustimmung der Franzosen große Teile des Kur fürstentums gegen die habsburgischen Niederlande abzugeben bereit war. Selbst Prinz Eugen von Savoyen hatte daran gedacht, durch eine Heirat Maria Theresias mit dem Wittels bacher, der immer weiter aus dem Reich nach östen hinaus wachsenden Großmacht Österreich eine breitere deutsche Grundfläche zu geben. Der Verlust des reichen deutschen Schlesien an Preußen wog für Österreich ungeheuer schwer, und das Streben nach einem Ersatz im süddeutschen Raum war vor allem bei Kaiser Josef II. sehr bestimmt und ziel bewußt. Nun ist das, was im Jahre 1779 durch kaiserliches Patent als „Innviertel" dem Land ob der Enns angegliedert wurde, durchaus nicht das Ziel der kaiserlichen Politik ge wesen. Josef II. hatte an die Erwerbung großer Teile Bayerns gedacht. Der verhältnismäßig schmale Streifen Landes, das heutige Innviertel, kam nur als spärlicher Rest eines begehrten größeren Gebietskomplexes zu Österreich. Die Erwerbung des kleineren Innviertels ist eine Folge einer großen diplomati schen Niederlage der Außenpolitik Kaiser Josefs II. Wenn der Kaiser nach seinem ersten Besuch in dem neuen Landesteil an seine Mutter, die Kaiserin Maria Theresia, schrieb: „Es ist ein winziger Gegenstand, wenn man denkt, was vielleicht hätte gelingen können", so spricht aus diesen Worten die un geheure Enttäuschung über das Mißlingen eines großen Projektes. Dieses große habsburgische Projekt stand knapp vor seiner Verwirklichung. Der Anlaß war das Aussterben der in Bayern regierenden Wittelsbacher durch den Tod des Kurfürsten Maximilian Josef am 30. Dezember 1777. Josef II. wollte ursprünglich im Falle des Aussterbens der Münchner Wittels bacher die Herzogtümer Ober- und Niederbayern, die Land grafschaft Leuchtenberg und die Herrschaft Mindelheim als Reichslehen, Teile der öberpfalz jedoch als Lehen der Krone Böhmens an sich nehmen. Schon vor dem Tode des bayeri schen Kurfürsten hatte Josef II. Verhandlungen mit dem Erben Bayerns, dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, angeknüpft. Der Kaiser reduzierte nun seine Ansprüche. Er begnügte sich mit einem großen Teil Niederbayerns, wobei er seine Rechtsansprüche auf eine Belehnungsurkunde Kaiser Sigismunds für Herzog Albrecht von Österreich vom Jahre 1426 mit dem Straubinger Ländchen stützte. Weitere Teile Bayerns wollte er gegen zerstreute Besitzungen des Hauses Österreich in Schwaben eintauschen. Selbst Kaiserin Maria Theresia hielt den Rechtsanspruch auf Niederbayern für „ver altet und wenig begründet". Doch Katharina von Rußland meinte hiezu etwas ironisch in einem Brief: „Die Frau Mama hat nicht schlucken wollen, der Herr Sohn hat allein großen Appetit gehabt." Der Pfälzer Karl Theodor, dem das baye rische Erbe eher eine Last denn eine Freude war, war bereit, mit dem Hause Österreich eine Konvention über die Auf teilung Bayerns abzuschließen. Knapp vier Tage nach dem Tode desbayerischen Kurfürsten Max Josef wurde in Wien ein Vertrag unterzeichnet (3. Jänner 1778), in welchem der Kurfürst Österreichs Ansprüche anerkannte. Dagegen garan tierte Österreich dem Kurfürsten öber- und Niederbayern mit Ausnahme jenes Gebietes, das es für sich selbst erwerben wollte. Unmittelbar nach der Ratifizierung dieser Konvention setzten sich die bereitgestellten österreichischen Truppen nach Bayern in Marsch und besetzten im Namen Maria Theresias und Josefs II. die im Vertrag Österreich zugesprochenen Landesteile in Niederbayern. Von Böhmen und vom Land ob der Enns aus erfolgte der militärische Einmarsch der Öster reicher. Schärding wurde am 14. Jänner 1778 besetzt, am 21. Jänner desselben Jahres erfolgte in Straubing die feier liche Besitzergreifung des Landes durch Österreich. Das bay rische Wappen wichüberall dem kaiserlichen Adler. Zu dem von Österreich in Besitz genommenen Gebiet gehörte auch bereits jener Teil des späteren Innviertels, der rechts der festgelegten Demarkationslinie lag, welche von Geiersberg über St. Ulrich bei St. Martin und zwischen öbernberg und Katzenberg an den Inn führte. Dieser Teil des Innviertels gehört also bereits seit Jänner 1778 de facto zu Österreich.
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