Oberösterreich, 16. Jahrgang, Heft 1/2, 1966

Rudolf Walter Litschel Zwischen Rautenschild und Doppeladler Skizzen zu einer Wehrgeschichte des Innviertels Die wehrgeschichtlichen Aspekte eines Landstriches sind zu nächst nur aus seiner geographischen Lage verständlich. Schon Feldzeugmeister Franz Ritter von Ftauslab — 1798 bis 1883, Erzieher Franz Josephs und zweifellos der bedeutendste Karto graph, den die österreichisch-ungarische Armee je hervor brachte — fixierte diese Tatsache mit der Feststellung, daß der Friede nicht von den Politikern oder von einer versöhnlichen Bevölkerung ausschließlich abhängt, sondern vielmehr von den natürlichen Barrieren, die einem kriegslüsternen Nachbarn den Angriff erschweren oder überhaupt unmöglich machen. Dem Innviertel fehlen nun solche Barrieren. Es ist ein offenes Land, und mögen auch Tal und Hügel in rascher Folge wech seln und die einst dichten Grenzwälder Hindernisse dar gestellt haben — es gab keine Epoche, in der es einem Heer unmöglich gewesen wäre, auf den seit der Römerzeit verhält nismäßig guten Straßen seinen Weg zu finden. Dazu kommt, daß die natürliche Ost-West-Route, durch die Donau vor gezeichnet, nach Eferding einerseits und nach Passau ander seits zum Ausweichen zwingt: das schmale Stromtal ließ bis in unsere Gegenwart keine größeren Truppenbewegungen zu. Die Auswirkungen dieser wehrgeographischen Situation ver spürte das Innviertel seit dem frühen Mittelalter: dem Sturm aus dem Osten, der erst nach der Schlacht auf dem Lechfeld endgültig verebbte, folgten die jahrhundertelangen Käm.pfe zwischen den Wittelsbachern und den Habsburgern, dann kamen die napoleonischen Wirren und schließlich — nach einer Atempause — die Katastrophe von 1945. Wer die Geschichte des Innviertels einigermaßen kennt, wird deshalb erfahren, daß innerhalb eines Jahrtausends diesem Land zwischen Pram und Inn nur knapp ein Dutzend Jahrzehnte des Friedens vergönnt waren. Dabei zeigte sich der Innviertler — obwohl als rauflustig und draufgängerisch bekannt — stets als der passive Teil. Lediglich im großen Bauernaufstand zu Beginn des 18. Jahrhunderts griff er freiwillig zu den Waffen — bei allen übrigen Ereignis sen blieb er auf sich beschränkt und führte nur das aus, was ihm die Obrigkeit zumutete. Er war niemals — wie etwa der Tiroler oder sein Stammesgenosse jenseits des Inns — „kriege risch" in der Wortbedeutung der Romantik, und die Wittels bacher hatten zuweilen ihre ganze Autorität aufzubieten, um die Landfahnen — wie die örtlichen Aufgebote genannt wur den — an ihre Pflicht zu erinnern: da halfen auch keine adretten Uniformen, bestehend aus verbrämten Hüten, roten Halstüchern, blauen Röcken mit weißgrauen Aufschlägen, weißen Strümpfen und Patronentaschen an gelben Riemen. Der Innviertler war kein Aggressor. Doch wahrscheinlich ist das niemand, der an einer Grenze haust, und der Innviertler war immer Grenzer: bis vor hundertfünfzig Jahren erlitt er den Druck von West und Ost, unentwegt gefährdet und an Zentren gebunden, die den Angreifer mit gleichsam magischer Gewalt in ihren Bann zogen. Diese Zentren bildeten vor allem die Festungen Schärding und Braunau. Schärding, älter als Braunau, jedoch von geringerem fortifikatorischen Wert, scheint als Festung erstmals um 1430 auf: erbaut als Brückenkopf am Inn, und zwar genau an der Stelle, von wo der Weg abseits der Donau nach Inner österreich, beziehungsweise nach Bayern führt. Die vorwie gend in München erhaltenen Pläne und Skizzen weisen Schär ding als sogenanntes „Isolationswerk" aus, das heißt, es hatte keine dauerhaften Verbindungen nach Nord und Süd, und wer Schärding berannte, brauchte kaum um seine Flanken zu fürchten. Das mag auch der Grund gewesen sein, weshalb die Frontal angriffe fast immer erfolgreich verliefen. Schärding wider stand weder Przemysl Ottokar noch der Trikolore oder den Bauernhaufen unter Rainer von Hackenberg und Christian Zwingler — lediglich die Österreicher ließen die Festung im Spanischen Erbfolgekrieg ohne Gewinn bombardieren. In diesem Feldzug kam es nun am 11. März 1703 zu einem Treffen, das mit seinen Begleiterscheinungen vielleicht besser als ähnliche Ereignisse die wehrgeschichtliche und wehr geographische Situation des Innviertels konturiert. Den Ausgangspunkt dazu bildete der Einfall eines öster reichischen Korps unter der Führung von Feldmarschalleutnant Graf Schlick, der am 15. Februar 1703 von Linz aus folgendes Schreiben an den Markgrafen von Baden richtete: „Ich ge denke bei Ried und bei Schärding hervorzubrechen. Ich werde mich hierauf mit den gedachten Sachsen verbinden, das bayerische Land diesseits des Inn überfallen. Reichen hall im Rücken nehmen und mich bemühen, Burghausen zu gewinnen, um mir daselbst einen Waffenplatz einzurichten. Gleichzeitig werde ich alles Mögliche aufbieten, um mich in den Besitz eines Inn-Überganges zu setzen und in dessen Umgebung derart gegen München Stellung zu nehmen, daß ich, hinter mir den Raum für meinen Unterhalt, vor mir je nen für Kontributionen, daselbst die Bewegungen des Feindes abwarten könne. Wenn dieser einzelne Abteilungen gegen mich entsendet, so werfe ich mich ihnen, wenn möglich, ent gegen; rückt er aber mit der ganzen Macht an, dann werde ich mich in der möglichst vorteilhaften Stellung zu halten suchen, und wenn es die Umstände erheischen oder die Verhältnisse danach angetan sind, werde ich ein Gefecht liefern mit aller Umsicht und Entschlossenheit." Gelegenheit dazu fand Feldmarschalleutnant Graf Schlick verhältnismäßig bald. Anfang März 1703 besetzte sein Korps — bestehend aus 15.000 Mann Infanterie, 4500 Reitern und etlichen Geschützen — kampflos die Orte Zell an der Pram, Raab, Aurolzmünster und St. Martin. Am 7. März verlegte Schlick sein Hauptquartier nach Eggerding, gleichzeitig schloß er Schärding ein: nach seiner Meinung — Schlick war weder ein Draufgänger, noch besaß er die militärische „Tugend des Glücks" — war damit der erste Abschnitt des Feldzuges bereits erreicht. Die Bayern unter der Führung ihres Kurfürsten Max Emanuel dachten und handelten hingegen offensiver. Obwohl das Wetter — es schneite und regnete fast ununterbrochen — die Truppenbewegungen sehr behinderte, marschierte Max Emanuel mit rund 12.000 Mann, wozu noch etliche tausend Mann „Landfahnen" kamen, nach Schärding, überschritt in der Nacht zum 11. März mit seiner Armee den Inn und die Pram und drang in zwei Kolonnen gegen Sigharting und Schardenberg vor. Die Schardenberger Kolonne — vom Kurfürsten kommandiert — stieß auf einen völlig überraschten Feind: die Österreicher und Sachsen fühlten sich in ihren Innviertler Quartieren so wohl und sicher, daß sie nicht einmal Feldwachen aufstellten.

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