Oberösterreich, 16. Jahrgang, Heft 1/2, 1966

Benno Ulm Die Innviertier Plastik im 17.Jahrhundert Nach dem Untergang des mittelalterlichen Weltgefüges gibt es im 16. Jahrhundert keine Kontinuität der Kunstgattungen mehr, und erst im 17. Jahrhundert zeichnen sich in einzelnen Landschaften wieder tiefere Zusammenhänge — zuerst ein deutig in der Plastik — ab. Diese Krisensituation der Künste bezeichnet genau das Hin- und Herwogen der politisch religiösen Machtkämpfe und später die Erstarrung der Fron ten, an welcher auch der Ausgang des Dreißigjährigen Krieges wenig geändert hat. Der protestantische Norden geht seitdem in der Kunst einen anderen Weg als der katholische Süden. Er schafft eine bürgerliche Kultur, die manieristische Skulptur dient einer manieristischen Architektur; ihr Dasein ist in das Ornament verwoben, wieder den horror vacui germanischen Kunstwollens betonend. Deshalb besitzt diese bürgerliche Plastik keinen selbständigen statuarischen Wert, die Form tritt in den Hintergrund, Interesse wird nur am Gegenstand gezeigt. Im katholischen Süden geben seit dem Ende des 16. Jahrhunderts die fürstlichen Hofhaltungen und die Klöster und Stifte den Ton an. Architektur und Malerei wird von Italienern produziert, während die Skulptur von in Italien geschulten Niederländern geschaffen wird. Ihre plastische Idee beruht auf dem Vorbild Raffaels, wie sie in Florenz Giovanni da Bologna manifestiert. In den süddeutschen Zentren, am Hofe Rudolfs II. und in München, aber auch im bürgerlichen Augsburg zeigt sich bis zum Anfang des Dreißigjährigen Krieges ein hochgesteigerter Unternehmungsgeist, der manche ungewöhnliche Leistungen zustande kommen läßt. Adriaen de Vries aus Den Haag arbeitet für Rudolf in Prag und für das bürgerliche Augsburg, Hubert Gerhard aus Hertogenbosch war in München Gießer für Großplastiken in Bronze. Ihre Werke — Gerhards Marien säule von 1638 in München wurde ein ikonographisches Vor bild — weisen über die Spätrenaissance hinaus, in ihnen schlummern bereits Werte des Frühbarocks. Die Mariensäule zeigt geistesgeschichtlich diesen Schritt in die Zukunft: Als Symbol der Gegenreformation gehört sie eigentlich schon dem Barock an. In diesen Zentren werden aber auch um 1620 die großen niederländischen Manieristen nur noch formelhaft nachgeahmt. Aus kleinen Werkstätten auf dem flachen Lande bricht damals eine neue Welle des Manierismus los. Im Gefolge der Gegenreformation erlebt hier der gotische Flügel altar eine Renaissance; seine Architekturformen beruhen auf dem Formengut des Manierismus vom Ende des 16. Jahr hunderts und den Ideen des Manierismus entspricht es, daß die Statue dem Gesamtkomplex untergeordnet ist. Die Figur wirkt zuerst noch streng geschlossen, die Tradition der Schnitzer reicht noch in die spätmittelalterliche Werkstätte hinein. Die Tradition reißt auch im 17. Jahrhundert nicht ganz ab, Reminiszenzen, besonders auf das spätgotische Kunst wollen hin, lassen sich immer wieder aufzeigen. Der moderne Habitus wird allerdings von den Niederländern entlehnt, die hauptsächlich in Bronze gearbeitet hatten. Deshalb wirkt die Faltengebung der Schnitzer auch so metallisch scharf, während der Aufbau der Figur strenger anmutet als bei den nieder ländischen Romanisten. Die traditionellen, stark volkstüm lichen Züge kommen den Anliegen der Kirche weit entgegen, die Schmuckfreude entspricht dem Prunk des Jesuitentheaters, auf welches auch die Dramatik bühnenhafter Erzählungen im Altarschrein hinweist. Das Spektakel kam ja dem Volks empfinden entgegen. Sämtliche Aufnahmen: M. Eiersebner. Die Weiterentwicklung dieser Kunst zum Barock hin erfolgte im Innviertel, also im damaligen Osten Bayerns. Es waren aber kunstjenseitige Kräfte, die zu dieser Blüte führten. Aus den heimischen Potenzen und Traditionen dieses Landstriches ist nämlich diese reiche Entfaltung der plastischen Kunst im 17. Jahrhundert nicht vorstellbar und nicht zu erwarten. Die Träger dieses Aufbruches kamen aus Schwaben, getrieben von den kriegerischen Ereignissen des großen Krieges. 1631 hatte Tilly Magdeburg erobert, wurde aber dann bei Breiten feld geschlagen, und die Schweden stießen gegen Bayern vor. Tilly fällt 1632 in der unglücklichen Schlacht bei Rain am Lech, Gustav Adolf erobert München und besetzt große Teile Bayerns. Die kurfürstliche Familie floh und fand bis 1633 Zuflucht in der starken Festung Braunau. Auch eine große Zahl von Künstlern wich den schwedischen Truppen aus und ließ sich im Innviertel nieder oder zog nach Österreich weiter. Zwischen Inn und Österreich gab es damals eine Insel der Ruhe, umgeben vom Kriegsgeschrei; dorthin hatte auch der oberösterreichische Bauernkrieg von 1626 außer Durch märschen und Einquartierungen kaum eine Unruhe gebracht, und dort war gegenüber öberösterreich auch keine nennens werte Gegenreformation notwendig geworden. Im Land ob der Enns hatte bis 1624 der Adel die Macht behauptet, der Herrenstand, geführt von den Jörgern und Polheimern, hatte die Reformation vorangetrieben. Die Patronats- und Vogteiverhältnisse hatten die Verbreitung der neuen Lehre begün stigt, denn mehr als die Hälfte aller Pfarreien war von prote stantischen Adeligen bevogtet. Überdies hatte die Vogteirechte in den elf vom Landesfürsten bevogteten Pfarren der Landes hauptmann auszuüben, der offener Anhänger Luthers war, ebenso wie die Verweser der kaiserlichen Herrschaften, die dreizehn und eine halbe Pfarre bevogteten, oft die Refor mation förderten. Im Innviertel aber stand der kleine Landadel, die Beamten schaft des Herzogs, durchaus treu zu diesem und blieb damit auf dem Boden der Kirche. Ein straffer Zentralismus hielt reformatorische Bestrebungen hintan. Dazu kam die Strah lungskraft der vier Augustiner-Chorherrenstifte Ranshofen, Reichersberg, Suben und St. Nikola in Passau, deren Welt aufgeschlossenheit die religiösen Spannungen leichter mei sterte. Trotzdem hatten sich Sprünge im Gefüge der Kirche gezeigt, die durch eine Neuorganisation des Pfarrnetzes be seitigt wurden. Das Wallfahrtswesen erlebte eine neue Blüte, die auflebende Bautätigkeit bot überdies vielen Künstlern Beschäftigung. Vorerst waren die Baumeister noch Italiener, so in Reichersberg nach dem vernichtenden Brand von 1624, dann beim Bau der Sebastianskirchen nach den Pest jahren um 1634, in Altheim, Aurolzmünster und MünzIdrchen schon seit 1635, in Schärding seit 1638. Andernorts wurden Altäre zu Ehren der Pestpatrone Sebastian und Rochus gelobt. Ihre Darstellung verdrängt nun die mittel alterlichen Schreinwächter Georg und Florian oder auch die Erzmärtyrer Stephan und Laurentius; im Sinne der Gegen reformation bleiben noch die Apostelfürsten als die Schutz herren der römischen Kirche. Im Innviertel wurde der Gegenschlag von den Kapuzinern getragen, die in den Hauptorten Klöster und Kirchen er richteten, in Braunau seit 1621, in Schärding seit 1635 und in Ried seit 1641. Hier gab es also genug Arbeit und Brot für gute Künstler. Wie aus Urkunden und Kirchenrechnungen zu

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