Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 3/4, 1965

Die Kirche auf dem Land Wird das Landvolk den Glauben verlieren, wenn Industrie betriebe auf das Land verlegt, wenn große moderne Straßen tief in das Land hineinführen und letzte Winkel des Landes rasch und gut für den Städter erreichbar werden? Diese Frage müssen wir gar nicht mit Vermutungen beantwor ten. Es ist wahr, daß weite Kreise der Arbeiter der Kirche entfremdet worden sind. Aber diese Entfremdung, der Abfall eines großen Teiles der Arbeiter von der Kirche, ist nicht ein fach eine Folge der Industrialisierung. Man kann heute durch Statistiken beweisen, daß die Pendler in keinem grö ßeren Prozentsatz der Kirche fernstehen, als jene Dorfarbei ter, die ihren Arbeitsplatz in der eigenen Gemeinde haben. Vorarlberg, das viele kleine Industrien mitten in den Dörfern aufgebaut hat, beweist, daß diese dem Glauben in keiner Weise geschadet haben. Wie sollen sie es auch? Die Arbeit an der Werkbank, am Fließband ist ebenso wie landwirtschaft liche Arbeit Weiterführung der Schöpfung Gottes, Mitarbeit am Werk Gottes. Der Abfall weiter Teile der Arbeiterschaft hat ganz andere Gründe. Eben in diesem Sommer hat ein sehr aktiver Mann Vorarlbergs erklärt: „Der Industriebetrieb in der Landpfarre ist uns vom Standpunkt des gläubigen Menschen sogar lieber als der Fremdenverkehr." Werm wir aber zum Fremdenverkehr selbstverständlich ja sagen, dann erst recht zum Industriebetrieb im Dorf. Wenn es uns klargemacht worden ist, daß das Land ein ganz eigener Siedlungsraum, ein neues Siedlungsgebiet ist, in dem Bauern, Arbeiter, Beamte, Handelstreibende wohnen, in dem Menschen Erholung suchen, wenn uns klar ist, daß das Land nicht ein Museum, sondern Raum frischen Lebens ist, dann werden wir wohl nicht vergessen, daß bei der Planung des Landes von morgen der Mensch in den Mittelpunkt ge stellt werden muß. Richard Winkler Linz und sein Umland Seit fast 30 Jahren befindet sich das Land um Linz in einem Umwandlungs prozeß, dessen wichtigstes äußeres Merkmal wir auf jeder Fahrt durch diesen Raum wahrnehmen können: nämlich das Hinauswachsen der städti schen Siedlung über die Grenzen der Stadt in die ursprünglich rein bäuer liche Landschaft. Diese Erscheinung ist in neuerer Zeit überall aufgetreten, wo aus alten Klein- oder Mittelstädten moderne Großstädte entstanden sind und hat fast immer zu Folgen geführt, die viel fach bedauert werden: die Natur schützer bedauern den Verlust an ur sprünglicher Landschaft; die Städte bauer das Fehlen einer „Ordnung" so wie den Mangel an „Atmosphäre" und „Baukultur" in den neuen Vorstädten; den Kommunalpolitiker schließlich schrecken die hohen Kosten, welche die neuen Versorgungsleitungen und Straßen verursachen. Bei allen Klagen vergißt man aber gerne, daß diese Dinge Folgen des Zu sammenwirkens ganz bestinunter wirt schaftlicher, sozialer oder politischer Kräfte sind und daß Fehlentwicklun gen nur zu vermeiden sind, wenn un sere Maßnahmen nicht erst die Folgen, sondern schon die Ursachen zu beein flussen vermögen. Wollen wir uns nun mit dem Umwand lungsprozeß beschäftigen, den die Stadt Linz und ihr Umland durch machen, wird es also notwendig sein, nicht nur die Erscheinungen — das Bild der Entwicklung und deren Pro bleme — zu untersuchen, sondern auch die Kräfte, die sie geformt haben. Vorerst ist es notwendig, auch einen Blick auf die Vergangenheit, auf die Geschichte des Raumes zu werfen. Un sere Zeit mag historische Gesichts punkte geringschätzen — wollen wir uns aber des Ausmaßes und vor allem der Konsequenzen des gegenwärtigen Geschehens bewußt werden, so müssen wir die Gegenwart im Ablauf der Ge schichte sehen. Die deutsche Kolonisation des frühen Mittelalters war eine bäuerliche Ko lonisation, nicht zuletzt getragen von den Stiften Kremsmünster, St. Florian, Lambach, Wilhering und Baumgarten berg. Frühzeitig bildeten sich Schwer punkte auf oder neben den Trümmern der Römerstädte (Ovilava — Wels, Lentia — Linz und Lauriacum — Enns). Schon im späten Mittelalter hatte sich eine räumliche Grundstruktur ausge bildet (die Verteilung und Art der Siedlungen, die Verkehrswege), die noch bis ins 19. Jahrhundert erhalten blieb. Die Jahrhunderte zwischen der Grün dung der Städte und der jüngsten Ver gangenheit brachten zwar manche Ver schiebungen auf politischem und wirt schaftlichem Gebiet, aber keine grund sätzlichen Veränderungen mehr. Die industrielle Revolution des 19. Jahr hunderts schuf zwar — vor allem durch den Bau der Eisenbahnen — neue Schwerlinien, aber die nachteili gen Folgen der Industrialisierung, wie sie das Ruhrgebiet oder Wien schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufwiesen, waren dem Linzer Raum erspart ge blieben. Noch im Jahre 1939 konnte Alwin Seifert, der große Landschaftsarchitekt, schreiben: „Das schönste deutsche Land liegt am Nordfuß der Alpen in Oberund Niederösterreich. Es ist kein wald reiches Land; aber der Wald mit seinem Segen ist überall da. Jeder Feldweg, jeder Bach, jede Flurgrenze ist be wachsen mit Baum und Busch in dich ter Reihe. Alles Land zwischen diesen Feldhecken ist bestens bestellt; daß sich größte Schönheit mit höchstem Er trag vereint, beweisen die Bauernhöfe dort, die wie Festungen über das Land verstreut sind; unter diesen Vierkant höfen sind manche, die haben einen Hektar überbaute Fläche, österreichi sche ,Rückständigkeit' hat den Ein bruch der Segnungen der Landwirt schaftswissenschaft des 19. Jahr hunderts verhindert. Darum sitzen die Bauern heute noch in berechtigtem Stolz auf ihren Höfen und schauen auf ein Land, das die schönste Heimat ist." Im Jahre 1938 begann eine Entwick lung, die heute noch nicht abgeschlos sen ist; im Gegenteil, verschiedene Er scheinungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet legen die Annahme nahe, daß die räumliche Expansion, die sich vor allem in einer immer stärke ren Inanspruchnahme landwirtschaft licher Flächen für die bauliche Nut zung äußert, andauern wird, wenn sie auch heute zum Teil aus anderen Quellen genährt wird als zur Zeit, da die Stahlwerke in Linz gegründet wur den. Die Umwälzungen, die Linz und seine Umlandgemeinden durchzumachen hatten, werden besonders deutlich beim Vergleich einiger Zahlen aus dem Jahr 1939 mit denen der letzten Volks zählung:

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