Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 3/4, 1965

Msgr. Karl Wild Es geht um den Menschen Kulturfragen im Land von morgen Es geht um den Menschen. Alle Planungen, alle Politik, alle Kulturarbeit muß dem Menschen dienen. Der Pendler Wir haben uns an diesen Namen gewöhnt. Er ist nicht schön und gefällt besonders den Arbeitern nicht. Das Wort Pendler verwenden wir für Menschen, die Arbeits- und Wohnstätte in verschiedenen Gemeinden haben. Es gibt Tagespendler (Arbeiter, die jeden Abend heimkommen) und Wochenpend ler (Arbeiter, die nur zum Wochenende nach Hause kommen). Manche Arbeiter, z. B. Arbeiter beim Bau von Autobahnen, E-Werken, Montagearbeiter, sind gelegentlich viele Wochen von zu Hause fern. Es springt in die Augen,daß das Fernsein des Mannes von der Frau und den Kindern ganz große Sorgen mit sich bringt. Wenn der Mensch durch das Zusammensein mit einem gelieb ten Du, der Mann also durch das Zusammensein mit seiner Frau, die Frau durch das Zusammensein mit dem Mann, in der gesamten Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ge fördert wird, dann ist das Fernsein auf längere Zeit ein durch nichts zu ersetzender Nachteil. Vieles andere ergibt sich noch: Pendler wohnen fast durchwegs im Industrieort in Baracken, in Massenquartieren und finden vielfach keine gute passende Umgebung. In-vielen Fällen ergeben sich für die Ehe große Schwierigkeiten. Die Frau daheim muß den Mann entbehren. Sie ist viele Abende allein. Hat sie Kinder, dann liegt die ganze Last der Erziehung auf ihr. Wir wissen, daß die Erzie hung natürlicherweise die besten Voraussetzungen dann hat, wenn Vater und Mutter in gutem Zusammenwirken durch Beispiel und Wort ihre Kinder heranbilden. Wenn der Vater viele Tage oder Wochen nicht daheim ist, fehlt sein so wesentlicher Einfluß. Besitzen die beiden Eheleute, was vielfach der Fall ist, eine kleine Landwirtschaft, dann lastet auf der Frau außerdem ein Übermaß an körperlicher Arbeit, weil sie den größeren Teil der landwirtschaftlichen Arbeit allein verrichten muß. Der Mann hat in vielen dieser Fälle keinen freien Samstag, weil die landwirtschaftliche Arbeit, die auf ihn fällt, am Samstag oder gar am Sonntag getan werden muß. Die Arbeitsüberla stung ist für ihn also eine weitere große Gefahr. Die Kultur und die Entfaltung der Menschen in diesen Familien ist ge fährdet. Das Pendlertum ist weithin eine Folge der industrialisierten Arbeit. Es wird sich natürlich nicht mehr ganz umgehen las sen. Wenn die Pendlerwege nicht zu weit sind, wenn der Vater also täglich nach einem nicht zu langen Weg heim kommt, dann kann von einem ernsten Schaden wohl noch nicht gesprochen werden. Es muß das Bestreben aller Beteilig ten sein, das Wochenpendlertum möglichst unnötig zu ma chen. Was getan werden soll, ist Angelegenheit der Wirt schaftsplanung. Wahrscheinlich ist notwendig, daß immer mehr Industriebetriebe auf das Land verlagert werden, weg von den großen Industriezentren. Vieles könnte schon dadurch geschehen, daß Straßen so gebaut und Verkehrsmittel so eingesetzt würden, daß der Arbeiter auch weite Wege rasch überwinden kann. Es kommt ja für den Pendler nicht auf die Anzahl der Kilometer, sondern auf die Zeit an, die er braucht, um den Weg von und zur Arbeitsstätte zu bewältigen. Wir wissen, daß die Dezentralisierung der Industrie und der Bau der notwendigen Straßen mannigfache Schwierigkeiten mit sich bringen. Aber es geht eben um den Menschen,um die Familie, um die Kinder! Es muß daher alle Energie aufge wendet werden, um eine zu lange Trennung des Mannes von der Familie zu vermeiden. Das Problem ist deshalb sehr groß und wichtig, weil sehr viele Menschen davon betroffen sind. Allein in Oberösterreich gab es laut Volkszählung 1961 schon 123.000 Pendler. Wenn man rechnet, daß etwa zwei Drittel der Pendler verheiratet sind, dann sind von diesem Problem ca. 90.000 Ehefrauen betroffen. Rechnet man drei Kinder pro Familie, dann trifft es 270.000 Kinder. Es sind also von dem Problem Pendler in Oberösterreich gegen 500.000 Menschen betroffen. Ein Drittel dieser Pendler sind Wochenpendler. Videant consules I Das Bauernttun Das leise Abwandern von Menschen aus den Dörfern ist eine unheimliche Erscheinung. Ohne viel Lärm und Aufhebens wandern Tausende in die Ballungszentren in Oberösterreich, in den Raum Linz, Wels, Steyr und in den Raum BraunauRanshofen ab. Es gibt Orte, die von 1951 bis 1961 25 Prozent der Bevölkerung verloren haben. Es wird einsamer auf den Dörfern. Es wandern erst Arbeiter ab, dann Beamte, die Gendarmerie; Schüler werden weniger, Klassen werden ge schlossen. Lehrer wandern ab. Dort und da schließt ein Kaufmann sein Geschäft. Bauern allein bleiben dann natür lich auch nicht mehr im Dorf. Es gibt verlassene und ver fallene Höfe. Wenn aber Bauern abwandern, wer wird dann in Zukunft die Landschaft pflegen? Wer sorgt sich um die notwendigen Erho lungsräume? Um den Wald, die Wiesen, die kleinen Wege, den Bach? Erholungsräume sind für die Bewohner der Städte und der Industriezentren heute Notwendigkeiten. Vor einigen Jahren hat ein Vertreter der Landwirtschaft in den USA bei einem Besuch in Tirol erstaunt die Frage gestellt, wer denn auf den Bergen und Berghängen die „Parks" pflege. Was er sah, waren nicht „Parks",sondern Felder, Wälder und Wiesen der Bergbauern. Die Bauern pflegen wahrhaftig gewaltige Flächen unserer Heimat neben der Produktion unserer Nah rung. Wenn sie abwandern, wer wird dann diese „Parks" pflegen? Was wird das kosten? Denkt man daran, Land schaftspfleger anzustellen? Wie viele Hektar wird voraussicht lich jeder von ihnen pflegen? Sollten wir nicht auch aus diesem Grund rechtzeitig — bevor noch mehr Bauern abwandern — um die Sorgen der Bauern fragen und uns mühen,ihre Arbeit gerecht zu bezahlen, ihnen Preise zu sichern, die ihre Arbeit und ihren Kapitaleinsatz entlohnen und doch eine kleine Grundrente sicherstellen. Wenn vom Land von morgen gespro chen wird, muß das Bauerntum mit größter Sorgfalt behan delt werden. Die Schule Wenn die Elementarschulen nicht die notwendige Leistungs fähigkeit besitzen oder wenn höhere Schulen für ein be gabtes Kind nicht erreichbar sind, dann ist das für die Schüler und für das Volk ein großer Schaden. Für das Kind, aber auch für das Volk! In den kommenden Jahren, in der Zeit der

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