Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 3/4, 1965

die den Einsatz der Landesplanung bisher besonders not wendig machten. Wir haben dabei allen Grund zur An nahme, daß sich die Landesplanung nicht rein zufällig ent wickelte, sondern daß sie eine zwingende Folgeerscheinung der großen Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft ist, hervorgerufen durch den Übergang in unsere gegenwärtige industriell-städtische Gesellschaft. Eine solche Auffassung führt auch gleichzeitig zum besseren Verständnis der vielen Schwierigkeiten, die bisher bei ihrer Verwirklichung im Zuge der Raumordnungspolitik auftraten. Sozial- und wirtsdiaftsräumlidie Wandlungen Auf die Frage, welche Faktoren den Einsatz der Landespla nung besonders dringlich machten, sind die sozial- und wirtschaftsräumlichen Wandlungen der letzten Jahrzehnte an die Spitze zu stellen. Die umfangreichen Bevölkerungsverlage rungen im Verein mit dem raschen Anwachsen der Städte und die Zunahme der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung, die nun auch in den meisten ländlichen Gebieten bereits über wiegt, sind durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen allgemein bekannt und brauchen deshalb hier nicht näher beschrieben zu werden. Mit der anhaltenden Bevölkerungs und Wirtschaftsagglomeration, teils in Form nachteiliger Ballung, entstanden immer neue Aufgaben für die Gemeindeund die Landesplanung. Eine der Haupttriebfedern für den Einsatz der Landesplanung waren schon seit langem die rela tive Knappheit an Grund und Boden, das Versorgenmüssen für eine geordnete Siedlungsentwicklung, das Freihalten von Naherholungsarealen und Wasserschutzzonen sowie der Aus bau der Verkehrsnetze in den Agglomerationsgebieten. Dazu kommen die ansteigenden Bedürfnisse einer zahlenmäßig zu nehmenden Bevölkerung (z. B. im Wasserverbrauch). Übrigens zeigen sich auch im Erholungs- und Fremdenverkehr in be stimmten ländlichen Gebieten schon saisonale Ballungen. Im Hinblick auf diese Vorgänge, die in Zukunft noch an Intensi tät zunehmen werden, ist eine vorsorgliche und nachhaltige Nutzung des vorgegebenen und praktisch nicht vergrößer baren Lebensraumes innerhalb unseres Staatsgebietes erfor derlich. Je mehr der Lebensstandard zunimmt, desto größer werden die Ansprüche, die an den Raum und an die Nutzung der natürlichen Hilfsstoffe gestellt werden müssen. Die Vor sorge für eine möglichst optimale räumliche Struktur und Raumnutzung ist daher nicht nur ein Anliegen der Gemeinde planung,sondern auch eines der Landesplanung. Neben den großen Strukturwandlungen im Zuge der Ver städterung spielte weiters die Ausdehnung und Intensivierung der Verkehrshereiche eine besondere Rolle. Die holländischen Soziologen verwenden zur Verdeutlichung dieser Vorgänge gerne den Ausdruck der „Maßstabsvergrößerung". Dieser Ausdruck besagt: Der Bereich, in dem sich Arbeiten, Wohnen, Einkaufen, Erholen und kulturelles Leben abwickeln, hat sich gegenüber früheren Zeiten räumlich weit ausgedehnt. Der Raum einer Gemeinde ist daher zumeist nicht mehr der Mit telpunkt aller Lebensbeziehungen. Wie Paul Lücke (ehemals deutscher Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung) ausführte, vergrößerten die Motorisierung, die Nahverkehrsmittel und die verkürzte Arbeitszeit den räumlichen Lebensbereich des Menschen. „Der Mensch von heute ist daher entgegen allen Vorstellungen durchaus in der Lage, sich sowohl in der Gemeinde, in der er wohnt, als auch in derjenigen, in der er arbeitet, einkauft oder Zerstreuung sucht, zu Hause zu fühlen^)." Für viele Gemeinden ent standen dadurch neue Situationen. Sie wurden Teile, ja sogar nur Ausschnitte regionaler Wirkungsfelder und häufig durch von auswärts kommende Entwicklungskräfte umgestaltet und umgeformt, wie dies im Nahbereich der Großstädte be sonders deutlich zu beobachten ist. Die sozialökologische und die sozialgeographische Forschung deckten viele Fälle solcher räumlicher Funktionsteilung auf. So haben sich z. B. Gemein den zu Wohnvororten („Schlafstädten", Satelliten), zu vor wiegenden Naherholungsgebieten,zu ausgedehnten Gärtnerei bereichen (wie in Holland) oder zu Ansammlungen von In dustriebetrieben entwickelt. Die exogenen Umwandlungskräfte waren natürlich auch in den ländlichen, vorwiegend land wirtschaftlich ausgerichteten Gemeinden wirksam. In diesem Zusammenhang sei lediglich auf die starke städtische Sorg wirkung hingewiesen, welche die Abwanderung aus un günstigen landwirtschaftlichen Produktionszonen besonders förderte. Hält man diesen ühergemeindlichen Raumverflechtungen die Ordnungsaufgaben der einzelnen Gemeinden gegenüber, zu denen in Österreich gemäß der Verfassungsgesetznovelle 1962 auch die „örtliche" (= gemeindliche) Raumplanung gehört, so ergibt sich daraus das Grundproblem der gegenüber den Wirkungskräften zumeist nur eingeschränkten Ordnungs möglichkeiten. Die Ordnungsabsichten einer einzelnen Ge meinde können ohneweiteres durch ungeordnete Entwicklun gen in benachbarten Gemeinden über den Haufen gewor fen werden! Die Erkenntnis und Erfahrung über diese regionalen Zu sammenhänge ließ daher neben einer Eingemeindungspolitik auch sehr bald Bemühungen um eine zwischengemeindliche Zusammenarbeit in Gebieten mit hoher Entwicklungsdyna mik aufkommen. Es zeigte sich darüber hinaus, daß örtliche Raumplanung nur dann optimal verwirklicht werden konnte, wenn gleichzeitig auch die Ordnung und Entwicklung größerer Kulturlandschaftsräume im Zuge der Landesplanung in An griff genommen wurden. In erster Linie sollen es „Regionen" sein, also Gebiete, die durch soziale, wirtschaftliche und kul turelle Wechselbeziehungen vorwiegend zueinander gehören. Hier erhält die Landesplanung die wichtige Aufgabe, die re gionalen Belange der Raumordnung zu wahren und sie gegenüber den Raumplanungen der Gemeinden subsidiär zu vertreten. Ihr Einsatz ist um so notwendiger, je intensiver die Umgestaltungen der Kulturlandschaftsräume stattfinden und je vielfältiger die RaumVerflechtungen werden. So erklärt es sich, daß die Bedeutung der landesplanerischen Ordnung im Nahbereich um die Großstädte (den sog. „Stadtregionen") am frühesten erkannt worden ist. Einsatz der Regionalpolitik In diesem Zusammenhang ist es zweckmäßig, auf die Be ziehung zwischen Raumordnungspolitik (als die Verwirkli chung der Raumplanung) und der Gesellschaftspolitik hinzu weisen. Der große wirtschaftliche Aufschwung und der all gemeine soziale Wohlstand, die relativ bald nach den so um fangreichen Zerstörungen des zweiten Weltkrieges erzielt werden konnten, waren im wesentlichen auf die Verknüpfung von wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen mit einer Wachstums und Vollbeschäftigungspolitik zurückzuführen, eine gemischte Wirtschaftsordnung also, die als soziale Marktwirtschaft be zeichnet wird. Für eine solche gesellschaftspolitische Konzep tion spielt die Raumordnungspolitik eine wesentliche Bedeu tung. Alle Teilgebiete des Staates und die darin lebenden Menschen sollen nämlich in die Lage versetzt werden, „ihren optimalen Beitrag zur Steigerung der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und zur Förderung des allgemeinen Wohles leisten zu können", wie es der erste Bericht der deutschen Bundesregierung zur Raumordntmg formuliert'). Raumord nungspolitik imd regionale Wirtschafts- und Sozialpolitik bilden daher eine Einheit, und es ist bezeichnend genug, daß der „Regionalpolitik" innerhalb des Wirtschaftsgroßraumes der EWG zunehmend Bedeutung beigemessen wird. Bekannt lich sind in letzter Zeit spezielle supranationale Zuschüsse für die Entwicklung einiger zurückgebliebener Regionen im EWG-

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