Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 3/4, 1965

Bundes fallen, könnte man die Frage stellen, ob eine regionale Wirtschaftspolitik überhaupt möglich ist. Diese Frage findet allerdings gerade durch das wirtschaftliche Geschehen der beiden letzten Jahrzehnte in Oberösterreich in eindrucksvoller Weise eine positive Beantwortung. Und zu gleich lassen die Probleme, mit denen sich die zuständigen Instanzen im Lande zu befassen haben, erkennen, wie not wendig es für die Anwaltschaft der Wirtschaft ist, auch von der Basis des Landes her wirtschaftspolitisch aktiv zu sein. Zweifelsohne gibt es im modernen Wirtschaftsleben infolge des allumfassenden technischen Fortschrittes und seiner Be gleiterscheinungen keine Abseitigkeit mehr, keine „Provinz" im einstigen Sinne. Auch der entlegenste Kleinbetrieb ist der ungehemmten Dynamik des allgemeinen Trends und des internationalen Wettbewerbs ausgesetzt. Andererseits muß vor allem auf Grund dieser Tatsache eine richtige und ver antwortungsbewußte Wirtschaftspolitik auf die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Praxis ausgerichtet sein und in dieser Hinsicht auch von den einzelnen fachlichen imd örtlich-regio nalen Evolutionen Impulse erhalten. Hier nun einerseits Berater von Gesetzgebung und Verwal tung, andererseits Anwalt und Helfer der Wirtschaft zu sein, ist die zentrale Funktion der Kammerorganisation der gewerb lichen Wirtschaft, deren Aufgaben heute bedeutsamer sind als jemals in ihrer hundertfünfzehnjährigen Geschichte. Für ihre wirtschaftspolitische Wirksamkeit läßt sich hierbei eine gewisse Dreigliederung registrieren: erstens das Bemühen um Maßnahmen, welche in die Zuständigkeit des Landes bzw. örtlicher Stellen fallen; zweitens die Initiative zu Aktionen des Bundes und drittens das Bestreben, bundeseinheitlichen Regelungen in regionaler Beziehung zu einer besonders akzen tuierten Wirksamkeit zu verhelfen. Einige Beispiele mögen zeigen, in welcher Weise die Handels kammer Oberösterreich in einer Zeit aktiv war, die in Ver bindung mit einem erfolgreichen Wiederaufbau und einer an schließenden gewaltigen Wirtschaftsexpansion einen tiefgrei fenden Strukturwandel des Landes brachte. Oberösterreich zählte vor dem Krieg etwa 910.000 Einwohner. Mit rund 38 Prozent war die von der Land- und Forstwirtschaft lebende Bevölkerungsgruppe zahlenmäßig weitaus die stärkste. In dustrie und Gewerbe erreichten etwa 31 Prozent, Handel und Verkehr knapp 9 Prozent. In der oberösterreichischen Industrie waren etwa 28.000 Menschen tätig bzw. nur 9 Prozent des gesamtösterreichischen Beschäftigtenstandes der Industrie. Der Anteil des Landes an der österreichischen Ausfuhr erreichte 8 Prozent. Heute sind bei einer Bevölkerung von rund 1,13 Millionen mehr als 600.000 Menschen bzw. 53 Prozent der gewerblichen Wirtschaft zuzurechnen. Die landwirtschaftliche Bevölkerung umfaßt nur mehr 20 Prozent. Die Zahl der industriell Tätigen beträgt mit etwa 120.000 nahezu das Vierfache der Vorkriegs zeit, der Anteil an der gesamtösterreichischen Industrie arbeiterschaft 18 Prozent, jener am Produktionsvolumen 24 Prozent. Am österreichischen Export ist das Bundesland nunmehr mit 26 Prozent beteiligt, — und zwar an einem Aus fuhrvolumen, das auf mehr als das Dreifache der Vorkriegs zeit angestiegen ist. Oberösterreich ist somit zu einem stark weltmarktorientierten Industrieland geworden. Eine maßgebliche Komponente hier für ist die günstige verkehrsgeographische Situation, ins besondere die Donaulage der Landeshauptstadt. Durch den Industrieumschlag wuchs Linz zum größten Hafen an der oberen Donau empor. Daß diese Aufwärtsentwicklung des Landes nicht zuletzt auch als Ergebnis einer von der Wirt schaftsvertretung des Landes her akzentuierten Wirtschafts und Handelspolitik anzusehen ist, erhellt u. a. daraus, daß z. B. in Linz 1946 die erste österreichische Industrieausstellung nach dem Kriege stattfand, daß Oberösterreich immer wieder als Sprecher einer weitreichenden Exportförderung auftrat, daß im Linzer Hafen unter Federführung der Handelskammer die erste und bis heute größte Zollfreizone Österreichs ihren Betrieb aufnahm, daß Oberösterreich ein Wortführer Öster reichs für eine baldige Verwirklichung der Rhein-Main-DonauVerbindung ist sowie etwa auch aus der dominierenden Rolle der Handelskammer Oberösterreich bei der jüngst erfolgten Gründung einer österreichischen Arbeitsgemeinschaft der blecherzeugenden imd -verarbeitenden Produktion zur For cierung der Fertigwarenerzeugung und -ausfuhr. Diese nur schlaglichtartig gemeinten Hinweise lassen es zugleich deut lich werden, wie weit der Radius einer regionalen Wirtschafts politik reicht, daß es hierbei um die Initiative zu einer bundes gesetzlichen Maßnahme ebenso geht wie um eine örtliche Aktion. Der Wandel in der oberösterreichischen Wirtschaftsstruktur verursachte aber auch eine Fülle von Strukturproblemen. Die Sogwirkung der industriellen Expansion und Konzentration, ebenso aber auch die Technisierung von Landwirtschaft und Straßenverkehr hatte für den gewerblichen und kaufmänni schen Mittelstand, vor allem in den ländlichen Gebieten, nicht weniger schwerwiegende Folgen als für den bäuerlichen Lebensbereidi. Aus dem Bemühen, die Wirtschaftsstruktur wieder zu harmonisieren und den Klein- und Mittelbetrieb in seinen für Staat und Volkswirtschaft sowohl ökonomisch wie auch gesellschaftspolitisch grundlegenden Funktionen zu erhalten, resultiert es, daß die Handelskammer Oberöster reich und die Mandatare der oberösterreichischen Wirtschaft beim Land seit der ersten Nachkriegszeit nicht nur auf die in dustriellen Erfordernisse Bedacht nehmen, sondern eine be tont mittelständisch orientierte Wirtschaftspolitik vertreten. So war das Bundesland ob der Enns u. a. der unentwegte Vorkämpfer für die Steuerpauschalierung der Kleinbetriebe und die Schaffung zinsbilliger Kreditaktionen für den kleinen und mittleren Wirtschaftstreibenden. Landeseigene Aktionen fanden hierbei durch entsprechende Initiativanträge bei den Bundesstellen ihre Ergänzung. So gibt es in Oberösterreich bereits seit 1946 gewerbliche Landesbeihilfen und -darlehen, während die Aktionen des Bundes, wie die Bürges-Kredite und dergleichen,erst in den fünfziger Jahren begannen. Eine Maßnahme gegen die sozial beklagenswerte und wirt schaftlich bedenkliche Überalterung im Gewerbe war die vor allem auf Betreiben Oberösterreichs nach lang andauernden Schwierigkeiten eingeführte gesetzliche Altersversicherung für die gewerblich Selbständigen. Die sogenannte Gewerbepen sion ermöglichte es nicht nur unseren Wirtschaftsveteranen, sich, wenn auch unter bescheidenen Bedingungen, in den wohlverdienten Ruhestand zu begeben, sondern trug ebenso wesentlich zur Sanierung des Gewerbestandes bei. Das ober österreichische Gewerbe zählt heute um etwa ein Fünftel weniger Innungsmitglieder als vor 10 Jahren, aber es be schäftigt um etwa 20.000 Menschen mehr; einer Verringerung der Betriebe in manchen traditionellen Sparten steht eine starke Vermehrung der Werkstätten in den technischen Be rufen gegenüber, die durchschnittlidie Betriebsgröße liegt über jener der Nachkriegszeit, — kurz gesagt, es ist trotz noch vieler offener Probleme doch bereits eine weitreichende Kon solidierung eingetreten. Ähnliches gilt auch für den Handel und die Kleinbetriebe anderer Wirtschaftsgruppen. Die Festigung des oberösterreichischen Wirtschaftsgefüges ist für die angesichts der europäischen Integrationsbewegung dringliche Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungs- und Wett bewerbsfähigkeit von großer Wichtigkeit. Damit wird bereits klar, daß selbst eine auf die kontinentale Entwicklung aus gerichtete Integrationspolitik eine erhöhte Aktivität in der regionalen Wirtschaftspolitik mit sich bringen muß. Hierzu gehören neben anderem z. B. der Ausbau des Berufsschulwe sens, der in Oberösterreich dank der guten Zusammenarbeit

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