Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 3/4, 1965

Hans Conrad Die Landschaft als Erholungsraum Wer an einem schönen Sommertag mit dem Kraftwagen durch das Land fährt, etwa durch das Salzkammergut, wird sich bald in einer nahezu unübersehbaren Autokolonne befinden, die Fahrzeuge, vom kleinsten Kabinenroller bis zum feudalen Reiseautobus, rollen alle dorthin, wo ihre Insassen die viel gepriesene Schönheit und die überall bekannten Erholungs werte dieses von der Natur so begnadeten Landschaftsraumes zu finden hoffen. Nun gehört das Salzkammergut, das schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur künstlerisch, sondern auch medizinisch-therapeutisch entdeckt wurde, zu den ältesten und bekanntesten Kur- und Erholungslandschaf ten Österreichs, so daß der Massenzustrom in diese Land schaft begreiflich scheinen mag. Aber auch weiter drüben im Wolfgang- und Mondseeland finden wir das gleiche Bild. Kilometerlang ziehen sich die Campingplätze am Aber-, Atterund Mondsee hin. Tausende Menschen suchen in den Bädern Erholung, Motorboote jagen über die Wasserfläche, Wochen endhauskolonien versperren weithin den Blick und den Zu gang zu den noch nicht von öffentlichen Einrichtungen okku pierten Uferstrecken. Wer nun das Seengebiet verläßt, um auf der Flucht zum grünen Herrgott weiter nach Westen und Norden durchs Hausruckviertel ins waldreiche Hügelland des Innviertels zu eilen, dem begegnen selbst da, wo früher höch stens Bierfuhrwerke zu den Landgasthäusern oder Ochsen gespanne in die Märkte fuhren, heute die Autokolonnen der Städter und Sommergäste, die alle das gleiche Ziel suchen: Erholung, Entspannung, Wald, Wasser, reine, staubfreie Luft und Stille. Wer das Mühlviertel aufsuchte, fände die gleiche Bewegung auf den Straßen, und nicht viel anders ist es im Donautal oder im Lande der Eisenwurzen. Was sich hier in Oberösterreich und in noch stärkerem Maße in anderen österreichischen Bundesländern, etwa in Salzburg, in Tirol und Kämten, abzeichnet, ist der Ausdruck eines ganz neuartigen Verhältnisses des Menschen zur Landschaft, es ist die Entdeckung der Landschaft als Erholungsraum. Diese Funktion der Landschaft ist tatsächlich etwas Neuartiges im Rahmen der üblichen Nutzungen des Raumes. Die Land schaft — wir verstehen darunter die Gesamtheit der anorgani schen und organischen Bestandteile eines durch bestimmte Merkmale geprägten Ausschnittes der Erdoberfläche ein schließlich des darüber befindlichen Luftraumes und selbst verständlich einschließlich der menschlichen Kulturleistungen — war stets und ist auch heute noch zunächst der Lebens raum des Menschen, das Spannungsfeld, in dem der Mensch aus der Natur die Kultur verwirklicht. Aber früher stand die Nutzung des Lebensraumes als Erwerbsraum, als Wirtschafts raum im Vordergrund. Denken wir an die Seen im Alpen vorland: Wo heute Tausende Menschen baden, schwimmen, segeln, waren noch vor hundert Jahren die Fischerei, die Flöße rei und allenfalls die Streugewinnung aus den weiträumi gen Schilfzonen die einzige Nutzung des Gewässers. Der Wald, der heute weithin von Wanderwegen durchzogen ist und dessen Wohlfahrtswirkungen heute so sehr im Vorder grund stehen, diente einst nur der Holzzucht. Die Straßen, die heute von den Massen der Erholungsuchenden befahren werden, dienten früher nur dem Handel und dem Transport Einen großartigen Erhoiungsraum bildet in Oberösterreich das Stodertai. im Biid der Schiederweiher mit der Spitz mauer Foto: Eiersebner von Wirtschaftsgütern. Aber nicht nur in der wirtschaftlichen Nutzung der Landschaft ist ein tiefgreifender Wandel einge treten, auch auf dem Gebiet der Kunst ist eine eigenartige Wandlung im Verhältnis des Künstlers zur Landschaft zu verzeichnen, die jedem deutlich wurde, der die prachtvolle Ausstellung „Die Kunst der Donauschule" in St. Florian und anschließend etwa eine moderne zeitgenössische Kunstaus stellung besucht hat. Damals, an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, entdeckte man — künstlerisch — die Land schaft als Bildraum, als gestaltungswürdigen Vorwurf, eine Entdeckung, die nur aus einem neuen vertieften Naturgefühl erwachsen konnte, wie es zur gleichen Zeit etwa den großen Arzt Theophrastus Paracelsus beseelte, der das „Licht der Natur" in einer seiner Zeit weit vorauseilenden Weise dem „Licht des Geistes" und damit der Medizin als Wissenschaft dienstbar machte. Die abstrakten Gebilde der modernen Ma lerei dagegen verraten die tiefe Kluft, die den gegenstands losen Maler von der Natur, von den Urbildern der Schöpfung trennt. Die abstrakte Spekulation oder, paracelsisch gespro chen, das Licht des Geistes allein reicht eben nicht aus, die kulturschöpferischen Fähigkeiten des Menschen harmonisch zu entwickeln. Dazu bedarf es wie eh und je des Lichtes der Natur, dessen der moderne Großstadtmensch so sehr er mangelt.

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