Rupert Feuchtmüller: Die Architektur des Donaustils und die Besonderheiten der Hütte von Steyr Die Ausstellung im Stift St. Florian ist ein deutlicher Beweis, daß wir zu den Spätstilen eine völlig neue Einstellung gefunden haben. Längst sind wir davon entfernt, in der Gotik des ausgehenden Mittelalters nur eine Verfallserschei nung der großen Leistungen des 13. und 14. Jahrhunderts zu sehen. Auch die Ansicht von dem nach Osten fortschreitenden Kulturgefälle hat ihre Berechtigung verloren. Der Satz Burdachs: „Die Kunst springt im 14. und 15. Jahrhundert an die Peripherie", hat inzwischen mehrfache Bestätigung er fahren. Frey verwies darauf, daß die deutsche Verselbständi gung im Osten begann und daß gerade die Grenzen eine Zone größter künstlerischer Produktivität waren. Der soge nannte „Herbst des Mittelalters" bringt im österreichischen Donauraum kein Nachlassen der schöpferischen Kräfte, son dern eine nahezu barocke Vitalität, die, zum Unterschied von manierierter Veräußerlichung, in die Bereiche des Irrealen vordringt. Obwohl der Individualismus gegen 1500 auch auf dem Gebiete der Kunst stark in den Vordergrund trat, muß man doch zuerst die allgemeinen Zusammenhänge bedenken, um die Sonderformen entsprechend würdigen zu können. Die Spät gotik zeichnet sich durch einige gemeinsame Stilmerkmale aus: Die Hallenform gibt dem Sakralbau die Möglichkeit weit gehender Raumvereinheitlichung, die schwere Massigkeit und die blockhafte Wand bedingen eine Unterordnung der einzelnen Teile. Diese Tendenz bedeutet aber durchaus keine Nüchternheit. Line unerhörte lebendige Kraft wirkt nun in der Architektur, freilich oft ganz unabhängig von den tektonisch konstruktiven Voraussetzungen. Ls sind freie künst lerische Kräfte, die sich hier regen und eine von der Realität unabhängige Wirkung anstreben. Die Lebendigkeit im dekora tiven Detail gibt eine gute Unterscheidungsmöglichkeit, ob es sich um eine aus dem Innersten kommende gestaltende Kraft handelt oder um einen von außen herangebrachten modischen Zierat. Nur im Manierismus wird der Zwiespalt zwischen der Reduktion auf massige Grundformen und der optischen Bereicherung der Oberflächenwirkung sichtbar. Line eingehendere Interpretation hat auch zur Kenntnis der nationalen Verschiedenheiten geführt. Georg Weise stellte in seinen „Studien zur spanischen Architektur der Spätgotik" 1933 einen Vergleich mit der formal verwandten süddeutschen Gotik an, Dagobert Frey hat sich in seinem 1944 erschienenen Buch um das „Englische Wesen in der bildenden Kunst" bemüht. Aber auch innerhalb des süddeutschen Raumes gibt es Varianten, wie es die Arbeiten von Götz Fehr über „Benedikt Ried" (1961) und Friedrich Wilhelm Fischer über „Die spätgotische Kirchenbaukunst am Mittelrhein" (1962) beweisen. Line eigene, 1959 abgeschlossene Untersuchung sollte die Stellung der österreichischen Sakralarchitektur im europäischen Raum kennzeichnen. Dabei lassen sich — wenn man den größeren Zusammenhängen nachgeht — einige Zen tren erkennen. Führend war gewiß der niederbayerische Raum um Landshut. Er strahlte nach Böhmen aus, wo das Werk Benedikt Rieds die letzte künstlerische Steigerung brachte. Einflüsse gehen aber auch nach Vorderösterreich, den Rhein abwärts, über Konstanz, Stein am Rhein, Schaffhausen, Basel nach Köln, wobei auch die französischen Grenzland schaften auf den Mittelrhein einwirkten. Österreich hatte in Wien — das geht schon aus der Kompetenzverteilung des Regensburger Hüttentages hervor — sein Zentrum. Lösungen der Wiener Dombauhütte wurden in Heilbronn, in Wimpfen, aber auch in Laun und Obersachsen aufgegriffen. Zugleich sind auch Rückwirkungen aus Landshut, Passau, Böhmen, vielleicht auch aus Ulm und Straßburg in Betracht zu ziehen. An der Peripherie dieses künstlerischen Kräftefeldes, das die Binnenlandschaften kaum beeinflußte, nehmen die österrei chischen Donauländer, vor allem der Raum von Steyr, einen besonderen Platz ein. Ernst Petrasch hat in seiner Disser tation über „Die Entwicklung der spätgotischen Architektur an Beispielen der kirchlichen Baukunst aus Österreich" (1949) zum erstenmal die Beziehung zu den verwandten Stilstufen in Malerei und Plastik aufgezeigt, wodurch sich, als Folgerung daraus, auch die Frage nach dem Donaustil in der Architektur ergab. Die in der St.-Florianer Ausstellung angebrachte Karte über die Gewölbeformen in Österreich vermittelt einen guten Überblick. Man sieht die Häufung der Baugruppen, die Zusammenhänge, Ausstrahlungen und Unterschiede. Bezeich nend ist es, daß wir nach dem Wirken Puchsbaums keine führende Architektenpersönlichkeit kennen, die etwa der Benedikt Rieds vergleichbar wäre. Dafür finden wir aber nirgends im süddeutschen Raum eine solche Häufung von zusammengehörigen Sakralbauten wie im Hüttenbereich von Steyr. Die Erklärung gibt uns die wirtschaftliche Bedeutung der Lisenwurzen, die viel größer war als die jener Bergbau gebiete, die das Mäzenatentum der spätgotischen Kunst bestimmten. Deutlich sind hier auch die Kennzeichen des Donaustiles ausgeprägt. Die Chorvereinheitlichung von Steyr führt zu der siebenfenstrigen, bewegten Chorfassade von Krenstetten, die uns in einer Zwischenlösung in Waidhofen a. d. Ybbs erhalten ist. Das Motiv der schwingenden Form, das die Gestalt der drei Apsiden nicht mehr sichtbar ausprägt, kann als ein solches verselbständigtes künstlerisches Element der Donau schule angesehen werden. Daß es sich um keinen Import fremder Lösungen handelt, beweisen die Zwischenstufen einer schrittweisen Entwicklung. Sie sind ebenso am Innenraum, besonders deutlich an der Rippenfiguration der Gewölbe zu erkennen. Die schwingenden Formen sind aber nicht das entscheidendste Kennzeichen des Donaustiles; sie können ebensogut in einer manierierten Veräußerlichung auftreten. Bestimmend ist die dreidimensionale Bewegtheit der Wölbung, die sich, wie es die Rippenverschränkungen und die Kasten kapitelle zeigen, von ihren Unterstützungen lösen, ja sogar durch die herabhängenden Gewölbezapfen einen barocken Kontrast anstreben. Das Muster der Rippenfiguration ist bildhaft und effektvoll in der Wirkung (Weistrach), es durch pulst den Raum, ist frei in seinem künstlerischen Ausdruck wie etwa die Faltenbahn eines wehenden Gewandes der Spätgotik. Eigene Kassettenmuster (Scheibbs, St. Valentin) lassen die sehr einheitliche Bautengruppe von Steyr gut erkennen, die zwischen 1490 und 1520 ihre Hauptwerke schuf. Kastenkapitelle und Gewölbezapfen am Triumphbogen sind in ihrer allmählichen Ausprägung leicht zu verfolgen. Neben der sehr dynamischen Hüttentradition von Steyr zeich net sich der Raum um Wien durch einen viel spärlicheren Denkmalbestand aus. An Stelle des Kassettenmotives sieht man weitgezogene Rippenschleifen. Wiesmath in der Buck3G
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