Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 1/2, 1965

Das Linzer Schloßmuseum stellt die Reste des Hochaltares von St. Leonhard bei Freistadt aus, der ebenfalls aus der Nachfolgewerkstatt von Kefermarkt stammt und der 1509 datiert ist. Auch hier tragen die Schreinfiguren einen unter schiedlichen Gewandstil vor, der aber gerade wegen der min deren Qualität eine augenfällige Stilentfaltung vorführt. Der stufenweise Durchbruch des Zeitstiles wird hier schulmäßig vorgeführt. Nun ist dieser Altar wichtig als Zwischenglied von Kefermarkt zu den Nachfolgewerken; ohne ihn ist die spätere Entwicklung nicht zu verstehen. Bereits 1934 hatte Gustav Gugenbauer, der verdiente Er forscher mittelalterlicher Kunst in Oberösterreich, feststellen können, daß gewisse Teile des Altares von Kefermarkt nicht dem betont spätgotischen, scharf akzentuierten Stil des Haupt meisters folgen, sondern gegen diesen weicher und im Physiognomischen unbestimmter wirken. Es gelang ihm auch, die Ursache in einer Mitwirkung des Schwaben Gregor Erhart zu finden und zu begründen. Ober zwanzig Jahre wußte niemand mit dieser Erkenntnis etwas anzufangen. Bei der letzten Restaurierung im Jahre 1959 konnte beobachtet wer den, daß der Hauptmeister und seine unmittelbaren Mit arbeiter den Charakter der heiligen Personen sehr entschieden prägten: Die Reihe reicht vom Petrus über den Wolfgang, den Christoph, die Erzmärtyrer, das Weihnachtsrelief und gipfelt zum Schluß noch in den vielfältigen Typen der trauernden Apostel des Marientodes. Schnitztechnisch charakterisiert, er scheint diese Werkstatt durch Schärfe und starke Unterschneidungen, die die Falten fast papierdünn herausarbeiten und auch dadurch jugendlichen Figuren eine Persönlichkeit zu gesteht, ausreichend beschrieben. Anders die zweite Gruppe von Mitarbeitern, der die übrigen Reliefs und die Gesprenge figuren angehören. Besonders am Relief der Anbetung der Könige wird das Neue augenfällig: Die älteren Könige sind typisiert, die jungen Leute entbehren jeglicher Charakteri sierung, die eventuell für den Erzengel Gabriel der Ver kündigung angemessen wäre. Ein Vergleich der Gesichter der Madonnen der rechten zu den linken Flügelreliefs ver deutlicht diese Situation. Als Leitform der jüngeren schwä bischen Werkstatt können hier auch die Rillen am Hals beob achtet werden, die ebenso in Blaubeuren und an der Frauen steiner Schutzmantelmadonna auftreten. Außer in Kefermarkt arbeitete Gregor Erhart weiter in Oberösterreich zwei Apostel in St. Thomas am Blasenstein und die Madonna aus einem Altarwerk in der Schloßkapelle in Eggendorf, dessen Flügel das Linzer Schloßmuseum- ver wahrt. Diese Arbeiten erhärten die Beobachtungen Gugenbauers. Wesentlich für die weiteren Darlegungen ist die Tatsache, daß die schwäbische Werkstatt den Stil des Haupt meisters von Kefermarkt in jeder Hinsicht aufweicht. Die extreme Aufschlitzung des Blockes, wie sie der Haupt meister anwendete, wird durch einen Gegenschlag aufgehoben, der das Volumen der Figur sehr bald wieder herstellt; über einen neu gewonnenen unantastbaren Block legt sich das Faltenwerk. Augenscheinlich sprengt nun der nach außen wachsende Kern das aufgeweichte Faltenrelief, was besonders am Altar von St. Leonhard vorgeführt ist. Die zersprengten Faltenwülste schlingern unorganisch auf der Masse der Figur des heiligen Leonhard, in Waldburg auf der Barbara des linken Seitenaltars von 1520. Der Prozeß dauert also auch später noch an. In der nächsten Phase finden die Teile wieder zusammen und organisieren sich nach dem Vorbild der Plastik des 14. Jahrhunderts neu zu Schüsselfalten, wie an der Madonna des Altars von St. Leonhard zu studieren ist. Schließlich wird ein Stadium erreicht, das, zukunftsträchtig, erstmals an dem im Jahre 1509 datierten Dionysius auftritt und den Stil des Hans Leinberger und damit der bayerischen Donauschule vorwegnimmt: Die nun durchlaufenden Röhren umziehen den Leib (Kern) mandelförmig, von einem Punkt ausgehend und zu einem Punkt wieder zusammenlaufend. Eine brechende Kleinform wird bewußt in diese Röhren der Schüsselfalten eingearbeitet. Damit ist die Grundform ge schaffen, mit der Hans Leinbergers Kunst operieren wird. Die Madonna in der Pfarrkirche von Windhaag bei Perg trägt die Handschrift dieses Meisters. Nach diesem Exkurs wird es klar, daß die Maria Magdalena von Waldburg als früheste Schöpfung am Altar angesehen werden muß. Was um 1510 sich ausbildete, hat der Meister, nur geringfügig durch den Zeitstil modifiziert, hier wieder vorgetragen. Die Katharina behält das Grundgerüst weiter bei, aber neue Elemente verunklären das Bild des Faltenreliefs. Es kann festgestellt werden, daß hier eine rückläufige Ent wicklung einsetzt: Die Katharina entspricht der Madonna von St. Leonhard. Die neuen Elemente entstammen zwei verschiedenen Quellen. Rückgriffe auf das ideale Vorbild, die Schreinfiguren von Kefermarkt, bewirken wieder tiefere Unterschneidungen der Falten. Dieses Phänomen ist sonst in der allgemeinen Stilentfaltung nicht zu beobachten, aber hier durch das bezwingende Vorbild verständlich. Die Madonna selbst bewahrt nur noch Reste, gerade den Ansatz für die Schüsselfalten, dagegen treten die rieselnden Knitterungen von Kefermarkt neben den tiefen Unterschneidungen wieder und sehr deutlich auf. Das zweite Element wird als spät gotischer Manierismus erkannt. Der unantastbare Kern, also die Masse, muß aufgeschlitzt werden, um ihm Platz zu geben. Die tief unterschnittenen Gewandsäume — sie erinnern an das frühgotische Motiv von Kern und Schale — zerknüllt nun ein unsichtbarer Sturm. Der immanente Manierismus in der deutschen Sondergotik gelangt im Zeitalter der Donauschule, die diesem Prinzip besonders verpflichtet ist, zum Durch bruch. Es ist nicht die einzige Möglichkeit, in welcher er er scheinen kann. Fast gleichzeitig schnitzt ein Ennser Künstler Figuren eines Altars aus Lorch, die im Linzer Schloßmuseum gezeigt werden. Sie erscheinen wie unter der Last der reichen Paramente niedergedrückt. Der pessimistische Ausdruck, auch der Gesichter, kontrastiert hier gegen den optimistischen Manierismus in Waldburg stärker, als es die altertümliche Maria Magdalena gegenüber ihrer Nachbarin im Schrein je vermöchte. Eine andere Erscheinung an den Skulpturen ist aus heimischen Wurzeln nicht abzuleiten: Parallelfalten ziehen sich über die Brust der Maria Magdalena, raffen ihren und den Mantel der Katharina und gliedern das Tuch der Maria unter dem Kind. Dieses Element findet besondere Anwendung an den erzählen den Flügelreliefs aller Altäre in Waldburg, in St. Michael, in Freistadt, aber fast ausschließlich an den Grabsteinen dieser Zeit. Seit ungefähr 1510 hatten sich in Wien Steinbildhauer nieder gelassen, die nicht der Bauhütte entstammten. Sie kamen aus Augsburg und schufen für eine humanistisch gebildete Bestellerschicht Wandgräber und Steinaltäre und sie führten damit auch das Renaissanceornament im Südosten ein. Der Parallelfaltenstil bildete ihre Gestaltungsgrundlage. Diese gekämmten Falten standen zu Anfang gegen das Prinzip der Schüsselfalten Leinbergers. Es ergaben sich aber bald Misch formen, die bezeichnenderweise zuerst in der Steinbildhauerei auftraten. Auch Leinberger verschließt sich nicht dem Anders artigen. Allerdings muß festgestellt werden, daß die Parallel falten an repräsentativen Werken nur untergeordnet auf treten, in den erzählenden Reliefs der Flügelaltäre fast aus schließlich verwendet sind. Die Tendenz des Flimmernden, des Lichterspiels auf schmalen Graten, und damit das Prinzip der Wiederholung wie in der Architektur in Königswiesen be stimmt dieses volkstümliche Schaffen. Der innere Gehalt eines Kunstwerks ist mit seinem Falten aufbau allein nicht zu erfassen. Die Seele offenbart sich im Ausdruck des Gesichtes. Dazu trägt wiederum die Form Wesentliches bei. Die Gegenüberstellung der Mariengesichter der Reliefs in Kefermarkt ergibt, daß die des linken Flügels 10

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