Der Plan des Kinderdorfes St. Isidor, von den Kindern eigenhändig dargestellt ihre bestimmte Wirtschaftssumme, die wahrlich nicht sehr reichlich ist und von der der gesamte Haushalt samt seinen verschiedenen Nebenkosten bestritten werden muß; es braucht also allein schon dazu einige Überlegung. Aber der größere Teil der Verant wortung liegt über den seelischen Be reichen. Fremde Kinder, verlassene, viel leicht verstörte, mißtrauische Kinder, kommen zu einer neuen Mutter und sollen hier bleiben, bis sie auf eigenen Füßen stehen können. Wer weiß, wie diese Kinder sein werden? Wer weiß, welche Zwischenfälle kommen können? Mit einem mutigen Entschluß geht die Kinderdorfmutter in dieses Leben der Ungewißheit hinein. Sie verzichtet auf ein ausgesprochen persönliches Leben zugunsten der glücklichen Zukunft von Kindern, die ihr vielleicht viel Mühe und Kummer machen werden, ehe sie sich zu der dankbaren Erkenntnis durch ringen: Diese Frau liebt mich wirklich wie eine Mutter! Eine gute Mutter sperrt ihre Kinder nicht ein, um sie vor Enttäuschungen und kleinen Schmerzen zu bewahren, sondern lehrt sie, sich in der Umwelt, die manchmal verwirrend, manchmal sogar gefährlich ist, zurechtzufinden. Die Aufgabe der Kinderdorfmutter besteht in einem besonderen Maß darin, ihre Kinder in ein positives Verhältnis zur Umwelt zurückzubringen. Nicht als Gegensatz zum eigenen Leben soll das Kind die Welt betrachten — gewisser maßen als eine fremde,zu bekämpfende Konkurrenz —,sondern in der gesunden Einordnung gleichzeitig die Erweiterung des Daseins empfinden. Das ausgespro chene Ziel des Kinderdorfes ist ja die Resozialisation, die Rückkehr in das soziale Gefüge der menschlichen Gemeinschaft, und alle äußeren Erschei nungen sind auf dieses Ziel abgestimmt. Aus diesem Grunde gehen die Kinder in die nächste öffentliche Schule, dort müssen sie sich unter ihresgleichen be währen. Außerdem bewahrt sie die familienähnliche Lebensart und Erzie hung vor jeder besonderen Kennzeich nung, sei es in der Kleidung oder im sonstigen Gehaben. Und selbst, wenn die Kinder einkaufen geschickt werden, gehen sie nicht als Boten einer großen Organisation in ein Geschäft, sondern sie kommen als Glieder ihrer Familie und erledigen die Besorgungen in dem Rahmen, der für eine solche Familie üblich ist. Niemals braucht sich das Kind aus dem Kinderdorf „anonym" zu fühlen, es ist mehr als nur ein Glied einer großen Menge, mehr als nur eine Nummer in einer starren Heimordnung -- es ist ja ein Kind, das eine feste Heimat gefunden hat, in die es auch später einmal jederzeit zurückkehren kann. Das Leben entwickelt sich darum im allgemeinen für die Kinderdorf-Kinder ganz natürlich und organisch. Die ersten Grundbegriffe bekommen sie von „zu Hause" mit, indem sie zu Fleiß und Sparsamkeit und zu den verschiedensten Arbeiten angehalten werden. Die Be rufsausbildung erfolgt dann je nach Eignung und Vorliebe, und später, wenn sie ihre eigenen Sorgen und ihre eigenen Familien haben, kommen die erwachse nen Kinderdorf-Kinder mit ihren Spröß lingen zur „Großmutter", und wahr scheinlich verstehen sie erst zu diesem Zeitpunkt in vollem Ausmaß, was ihnen das Kinderdorf wiedergeschenkt hat: eine neue heile Welt. St. Isidor Wo Hermann G m e i n e r mit seiner SOS-Kinderdorf-Idee verhältnismäßig in die Breite wirken kann, weil er körper lich gesunde Kinder, die der Hilfe bedürfen, wieder in eine familiäre Um gebung einführt, da muß der Vater des Kinderdorfes St. Isidor in Leonding in die Tiefe gehen, wenn er auch den vielen an Körper und Geist behinderten Kindern unserer Zeit helfen will. Ein ganz anderes Leben als in Altmünster geht daher in dem kleinen Dorf am Stadtrand von Linz vor sich; andere Gesetze, andere Notwendigkeiten herr schen in dieser Gemeinschaft, und doch ist auch hier der Ausdruck „Kinderdorf" die einzig richtige Bezeichnung. Rund um die Kirche gruppieren sich die Familienhäuser, die Schulgebäude schließen sich an, und das Therapiehaus 26
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