Oberösterreich, 14. Jahrgang, Heft 3/4, 1964

warteten Besuch —, um ein Paar Schuhe aus dem Weg zu räumen oder ein lie gengelassenes Spielzeug aufzuheben. Denn das Leben im Kinderdorfhaus geht vor sich wie in allen ähnlichen Familien. Es gibt Ärger mit den Grö ßeren, wenn sie die Notwendigkeiten der Schule nicht gleich einsehen wollen, es gibt Tränen und Kummer um ein krankes Kind — aber es gibt auch, wie überall auf der Welt, jene kleinen Freu den, die das Maß eines guten Lebens sind: alle die unsagbaren und unausdrückbaren Gemeinsamkeiten, die auf wachsen aus dem Vertrauen zwischen Mutter und Kindern, und hier in Alt münster machen sie aus einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Menschen mit einem Male eine feste, eine echte organische Gemeinschaft, die durch nichts mehr zerstört werden kann. Man kann sich aber auch keinen ruhi geren und schöneren — keinen unge störteren Fleck zwischen Gmunden und Altmünster denken, als die Lichtung, auf der die fünfzehn Häuser des Kin derdorfes stehen. Von der Anhöhe aus sieht man weit über den Traunsee, das Gebirge bildet, von hier aus gesehen, eine unnachahmliche Kulisse. Das Dorf selbst ist nach rückwärts und nach den Seiten von kleinen Gehölzen geschützt, und die Häuser stehen alle freundlich im Wiesengrund, von kleinen Gärten eingesäumt, die voll Blumen und voll Gemüse sind; und auf den Wegen tum meln sich die Kinder, spielen und singen und laufen und hüpfen, wie es wohl in aller Welt die Kinder nicht anders halten. Vielleicht geht mancher, der zum ersten mal hier eintritt, mit einiger Scheu hin ein in diese eigenartige Gemeinschaft, denn er erwartet etwas irgendwie „Neu es, Anderes, Besonderes". Aber eigent lich gibt es gar keine Besonderheit, denn der Gründer der SOS-Kinderdörfer wollte ja die armen Kinder aus dem Sonderstand ihrer Verwaistheit und Ver lassenheit wieder befreien, um ihnen die notwendige Unbefangenheit und Kindlichkeit zurückzugewinnen. Man kann ja ein seiner natürlichen Voraus setzung beraubtes Kind nur dann am Leben — und besonders: am psychi schen Leben — erhalten, wenn man ver sucht, ihm das, was es verloren hat, so gut als möglich zu ersetzen. Ruhe und Geborgenheit der Familie müssen sich wieder zusammenschließen um solch ein Kind, damit das anfällige werdende Wesen unbesorgt seiner Bestimmung entgegenwachsen kann: ein gutes Glied der menschlichen Gesellschaft zu werden, zu der es berufen ist. Das Kinderdorf Altmünster gibt diese Voraussetzung. Die Kinder leben hier in ihrer Kinderdorf-Familie genauso, wie anderswo die Kinder im Kreise ihrer natürlichen Familie leben. Häufig sind sogar echte Geschwister wieder in einer Familie vereint; solche Fälle ver leihen dem Gefühl für die Familie dann besonderen Nachdruck und erzeugen jene spürbare Unbefangenheit, die das Zeichen einer: glücklichen Gemeinschaft ist. Und so singen und spielen die Kin der hier und sind lustig und neugierig wie alle Kinder; die Kleinen erben die Kleider von den Alteren, die Größeren kümmern sich um die ganz Kleinen, sie machen Besorgungen, arbeiten im Garten und können sich wirklich ihrem Wesen und ihren Anlagen nach ent falten. Und obwohl die Häuser des Dorfes einander sehr ähnlich und auch nach einem gewissen Schema eingerich tet sind — schließlich muß bei einer so umfassenden Organisation besonders auf Sparsamkeit geachtet werden —,bil den die Kinder der einzelnen Familien doch spürbar geschlossene Kreise. Das ist aber nicht vielleicht eine gewisse Rivalität, sondern vielmehr das Zeichen der Einheit innerhalb eines Hauses; im Hinblick auf die Kinder ist es sogar der Beweis dafür, daß sie in diesem Hause die notwendige Ruhe und Geborgenheit wiedergefunden haben. Wie sollten sich aber auch die Kinder bei diesen Müttern nicht geborgen fühlen! Jede einzelne von ihnen hat ge nug Vitalität in sich, um ihrer Schar geben zu können, was sie braucht; da diese Frauen aus den verschiedensten Landstrichen, aus allen Vierteln unseres Landes und auch von weiter her kom men, gibt jede für sich ihrem Hause eine besondere Färbung, die es von den anderen unterscheidet, sei es im Küchenzettel oder in sonst einem jener intimen Bezirke des häuslichen Lebens, die eigentlich erst die Persönlichkeit bil den und formen. Diese gelebte Indivi dualität, die von den Müttern des Kin derdorfes ausgeht, macht die ganze Ein richtung erst richtig zu einem Dorf. Hier gibt es keine uniformierten Häuser und Gebräuche, sondern echte eigenständige Familien. Der Einfluß dieser lebensnahen Eigen heit in den einzelnen Häusern ist auch an den Kindern zu spüren. Da sich das Leben überall etwas anders ab spielt, lernen sie ganz selbstverständ lich den gleichen Wert ver schiedener Anschauungen kennen und sie werden auf diese Weise aus der Defensiv-Stellung, die sie meist bei Eintritt in das Kinderdorf vorweisen, wieder in ein normales Verhältnis zur Umwelt zurückgeholt. Im Kinderdorf lernen sie wieder, sich in einer großen Umgebung zu bewegen, sie zu verstehen und zu respektieren, genauso wie sie selbst hier wieder verstanden und respektiert werden. Auf diese Art geht die Erziehung zu einem selbständigen Menschen im Kin derdorf meist sehr klar und unkompli ziert vor sich. Man wundert sich, wie die Frauen, die sich zu dem Beruf einer Kinderdorfmut ter entschlossen haben, ihre große Auf gabe auf sich nehmen; in dem Augen blick, da sie einer Familie vorstehen, liegt ja die ganze Last der Verantwor tung auf ihnen. Schon allein der wirt schaftliche Teil ist nicht leicht zu be wältigen, besonders angesichts einer so großen Familie; zudem liegt die Führung des Haushalts ganz im Ermessen der jeweiligen Mutter, sie bekommt nur 24

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