Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

Die erste Bühne der Linzer Puppenspiele(nie in Verwendung). Vorhang: Franz Pühringer. Foto: Archiv. Rechts: Der Förster. Entwurf: Franz Pühringer. Foto: Fteidersberger, Brounschweig. Sinne geläufig, in dem es hier gebraucht wurde. „Theater machen" hieß Geschichten machen, Aufsehen erregen. Nie war damals im Orte von irgend jemandem Theater gespielt worden, nie eine Theatertruppe oder auch nur das arm seligste Kasperltheater durchgekommen. Die zweite Erinnerung, die sich mir völlig gleichzeitig ein stellte, war die an einen Raum, der uns von unseren Eltern nur deshalb nicht ausdrücklich verboten war, weil sie nie auch nur im Schlafe anzunehmen wagten, er könnte uns zugänglich sein und wir würden es über uns bringen, ihn zu betreten. Es war der Gemeindekotter. Ein ungefähr würfeliger, finsterer Raum mit einem hoch gelegenen, massiv vergitterten Fenster, einer schweren Tür ohne Schnalle auf der Innenseite und ein Bündel halbver faulten Strohs auf dem rohen Ziegelboden. Wenn etwa die schräge Abendsonne durch die mit einem Holzscheit gegen das Zufallen abgesicherte Tür hereinfiel, konnte man die Flöhe hüpfen sehen. Auf diesem Stroh hockte eine Schar Kinder, etwa ihrer sieben bis zehn, vor einer auf zwei Sesseln stehenden Kiste, die den Zuschauern zu und nach oben offen war. In derselben befanden sich von meiner Künstlerhand auf Schachteldeckel und Packpapier gemalte, Staunen und Schrecken erregende gruselig phantasievolle Landschaften, zwischen denen ich Gestalten agieren ließ, die ich mir aus kleinen, halbwegs zurechtgeschnitzten Holzstücken, ergänzt durch Glaserkitt, Kerzen- und Bienenwachs und ein paar bunten Stofflappen, fabriziert und an Zwirnsfäden aufgehängt hatte. Spät erst und nur durch einen Zufall entdeckte ich die überraschen den Möglichkeiten, die sich durch künstliche Beleuchtung, das ist durch ein paar abgeschirmte Kerzen, eröffneten. Ich hatte - ohne einen Namen dafür zu haben oder auch nur zu suchen - ohne die geringste bewußte oder auch nur unbewußte Anregung von irgendwoher nicht mehr und nicht weniger als das Puppentheater erfunden. Und das gleich in seiner Hochform als Marionettentheater. Sicherlich muß dieser Erfindung ein ganz bestimmter Antrieb zugrunde gelegen haben, aber ich bin heute darauf ange wiesen, ihn zu erraten. Da ich mich genau an einzelne Passagen der wiedergegebenen Handlungen erinnere und diese abermals eindeutig Eigenbau waren, so dürfte also wohl das Bedürfnis, meine ersten literarischen Kreationen einem für intellektuellere Konsumierungsweisen nicht ge schaffenen Publikum zugänglich zu machen, das ursprüng liche Motiv gewesen sein. Für unmöglich aber halte ich es heute, daß mich nicht alsbald das Spielen selbst in seinen Bann geschlagen hatte. Ich entsinne midi dieser unausbleib lichen Faszination zwar nicht mehr direkt, aber ich weiß noch, daß ich sehr bald eine eigene lustige Figur ausdachte (eigentlich war sie nur dumm und man sollte sie auslachen können), die angesichts des in allem übrigen so ganz anders gearteten Stückes eindeutig als Konzession an das Spielen selbst, also an das Theater, verstanden werden darf. Wieso Puppentheater? Wenn das alles noch keine Antwort ist, weiß ich für meine Person keine. Etwas anderes wäre die Frage ,,wieso heute noch Puppentheater?" Fünfzehn Jahre waren vergangen, als es mich, und sicher zur Unzeit, da ich damals gerade begonnen hatte, an ersten deutschen Blättern wie „Simplicissimus", „Querschnitt", „Weltbühne", „Berliner Tageblatt" u. a. Eingang zu finden, wieder packte, und nachdem ich ihm vier Jahre später noch einmai entrann, bin ich seit 1941 nie wieder von ihm los gekommen. So darf ich wohl sagen, denn Puppentheater zu spielen ist eine echte Leidenschaft. Das aber liegt nicht nur an ihm als solchem, an der Tätigkeit und den hundert Tätigkeiten, die jene eine voraussetzt, nicht einmal an dem nicht zu unterschätzenden Umstand, daß es ein künstlerischer Organismus ist, klein und kon zentriert genug, daß er noch von einem einzigen Mann aus beherrscht und in seiner Wesensart bestimmt werden kann, sondern und nicht zuletzt auch an den unzähligen Reizen, die es als Metier hat. Bilder und Erinnerungen, die einem jeden Ausweg verstellen, den man allerdings sowieso nicht mehr sucht, gelähmt von dem fast bestürzenden Bewußtsein, einer solch unübersehbaren Zahl von Kindern für ihr ganzes Leben unvergeßliche Höhepunkte geschenkt zu haben. (In meinem Falle sind es heute ihrer ganz bestimmt schon weit über eine Million.) Bilder, Bilder, Bilder. Ich trenne hier absichtlich nicht mehr Erinnerungen an meine Zeit der Ein-Mann-Tourneen, die ich, den Puppen koffer, in dem sich auch meine Wäsche und sonstiger Reise bedarf befand, in der Hand, das Bambusstangenbündel geschultert, ganz allein loszog, und späteren EnsembleTourneen, die ihrerseits wieder in verschiedene Kategorien zerfallen würden. Ich lasse sie hier erstehen, wie sie sich mir heute, nach so langen Jahren längst ein einziges un trennbares Ganzes, darbieten. 20

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