Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

Wunder, als Schriftsteller! Ein erwachsener Mensch und Familienvater ohne seriösen Beruf! Kurzum: dem Miß trauen eines Kaufmanns und der technischen Unzulänglich keit der Post verdanke ich die Begegnung mit Sandl. Ich kannte, seit frühester Jugend, fast den ganzen Bezirk; bis hinunter zur Donau und bis hinüber an die Moldau war Ich gewandert oder geradelt; nur Sandl war immer abseits von meinen Wegen liegen geblieben, allein durch die Hinterglasbilder war mir der Name des Ortes vertraut. Damals, noch in Freistadt auf Wohnungssuche, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, es für die paar Jahre in Sandl zu probieren; ich weiß nicht, warum; ansonsten nämlich zieht's mich doch eher zum Bekannten als zum Unbekannten, ob das nun Menschen sind oder Landschaften, Bücher oder Wirtshäuser; denn die sensationellsten Entdeckungen macht man keineswegs im immer Neuen - daher die geistige Fruchtlosigkeit des modernen Tourismus! -, sondern im scheinbar Altvertrauten; die Menschen, die Kunstwerke, die Dinge der Natur werden um so rätselhafter, je näher man sie kennt; und je tiefer man in sie eindringt, desto aben teuerlicher werden die Überraschungen, die man da, in dem anfangs so Selbstverständlichen, erleben kann. So stehen, übrigens, die Unrast und die Langeweile des Menschen unserer Epoche in einem Zusammenhang: weil er nur flüchtig über die Dinge hinfliegt, erlebt er keins dieser Dinge; da er die Dinge nicht erlebt, erlebt er sich selber nicht, woraus seine Langeweile resultiert; und aus dieser Langeweile glaubt er nur dadurch sich retten zu können, daß er nun doppelt hektisch über die Dinge hinfliegt, sie gleichsam raffend, als ließe Qualität sich je durch Quantität ersetzen. Wirklicher, also wirkender Besitz aber wird uns die Menschheit nur in den Menschen, mit denen wir tägliches Leid und tägliche Freude zu teilen haben; wird uns die Natur nur in dem Fleckchen Erde, das wir selber bebauen, auf daß es uns mit Blüten erfreue und mit Früchten ernähre; wird uns die Kunst nur in jenen Werken, die einmal unser Herz erschüttert haben und es nun nie mehr zu träger Ruhe kommen lassen; anders macht man sich bestenfalls zu einem wandelnden Lexikon. Wir besitzen die Welt im Detail, oder wir besitzen sie überhaupt nicht. Aber zurück nach Freistadt, in das Jahr 1958! Als ich dann, den Reiseführer über meinen künftigen Wohnort be fragend, lesen mußte: „Lange und streng ist der Winter", da schlug ich mir Sandl aus dem Sinn. Genau an dem Tag jedoch, an dem wir, entmutigt, ins mittlere und obere Mühlvlertel abreisen wollten, ward uns eine für etliche Jahre freie Wohnung angeboten - in Sandl. Und als wir einmal droben waren, sagten wir uns: Hier bleiben wir auch! Ja, hier wollten wir bleiben, obwohl just derjenige Platz, auf dem wir unser Haus gern hätten stehen sehen, durchaus unverkäuflich war - bis der Besitzer dann anderswo baute und wir das Grundstück erwerben konnten. Inzwischen haben wir selber gebaut: unter äußeren, nicht vorherseh baren Schwierigkeiten freilich, die, vernünftig betrachtet, mich hätten veranlassen müssen, im letzten Moment noch von meinem Vorhaben abzustehen und diesem Qrt den Rücken zu kehren. Warum aber bin ich geblieben? Warum bin ich nicht nach Waxenberg oder nach Kirchschlag, warum nicht in die Gegend von Grein, warum nicht ins Waldviertel oder ins obere Mühlviertel gegangen, oder etwa hinüber in den Bayerischen Wald? Ja, wirklich: warum bin ich hier in Sandl geblieben? Wenngleich ich drüber der Donau, in Linz, geboren bin, empfand ich als meine eigentliche Heimat doch stets, und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt bewußter, das Mühlviertel: Ich hatte als Kind in Dürnberg bei Qttensheim, als Schüler in Pregarten, als junger Schriftsteller In Qberneukirchen gewohnt,jeweils zwischen Aufenthalten In meiner Vaterstadt oder in Enns, in Wien, im Ausland. Reisen, freiwillige und unfreiwillige, hatten mich an manchen schönen Platz geführt: nach Paris und in die Dolomiten, nach Gap Girceo und an den Zürcher See, durch den Schwarzwald und an den Rhein; nichts hätte mich daran hindern können, mein Haus in Körnten oder in der Schweiz, auf der Insel Amrum oder In Berlin zu bauen. Indessen - ich merkte das freilich immer erst im nachhinein -war ich da überall nur zu Gast gewesen, und mit voller Selbstverständlichkeit zu Hause fühlte ich mich nur im Mühlviertel. Hier, nur hier, hatten die äußeren Dinge genau jenes Maß, welches mit dem in meiner Brust übereinstimmt; hier, nur hier, bewegte sich meine Seele ganz in ihrem Element: was ich innerlich empfand, stand außen greifbar da. Wenn ich es je zuwege brächte, dies Land zu beschreiben, dann hätte ich damit auch schon dos treueste Selbstporträt gezeichnet - jedoch: mir will's nicht gelingen, den mir so durchaus natürlichen Anblick in Worte zu übersetzen: zu nahe sind sie einander, Land und Seele, eins und ein Ganzes, gleichsam die noch nicht getrennten Hälften aus Piatons berühmtem Bild von der Liebe. Man hat - ich glaube: zu Recht - den neueren Schriftstellern deutscher Zunge vorgeworfen, sie seien dem (zweifellos heiklen) Problem der Landschaftsschilderung nicht ge wachsen. Als eine der Ausnahmen, auch wenn diese nur die Regel bestätigen, darf ich mich selber nennen: mit ein zelnen Passagen im größern Zusammenhang, vor allem aber mit meinem Buche „Garnuntum. Geist und Fleisch", in welchem ich das Erlebnis einer Landschaft, des Raums der einstigen römischen Siedlung östlich von Wien, ins Wort hob' fassen können. Dies Buch nun stellt, für mich selber, nichts Geringeres dar als das Resultat einer Qbjekt-Bewältigung, das heißt: der Überwindung und Auflösung eines zwischen mir und einem Gegenstand waltenden Spannungs verhältnisses,oder,anders gesagt: die Frucht einer Eroberung mittels des Wortes - was logischerweise eine apriorische Gegnerschaft, einen Dualismus von Subjekt und Objekt zur Voraussetzung hat: ein Verhältnis wie zwischen den ge trennten Geschlechtern (um im platonischen Bilde zu blei ben). Die Landschaft aber, in der ich mich jetzt bewege, nachdem ich schon mehr als ein Drittel meines bisherigen Lebens in ihr verbracht: das Mühlviertel, ist für mich kein Gegenstand (im genauesten Sinn dieses Wortes): nichts, das mir entgegensteht; und also nichts, das wörtlich erobert werden müßte - woraus doch erst, im glücklichsten Falle, Literatur entstünde. Ein Sänger des Mühlviertels werde ich also wohl niemals werden. Deshalb nun, wenn ich von diesem Land hier spreche, rede ich doch nur von mir; und sprech' ich von mir, dann mein' ich damit auch das Land. So alt - oder seien wir ehrlich: so reif- aber bin ich noch lange nicht, daß ich mit Anstand könnt' von mir selber sprechen: man reißt das Maul schon in fremderen Sachen oft viel zu weit auf! Andeutend dieses nur: Dies Mittlere zwischen der ins Endlose lockenden Ebene und dem ewig begrenzenden Hochgebirg': ist es nicht der Garant jener Anschaulichkeit, die den Künstler macht: übers eigene Ich hinaus, ohne im Allgemeinen sich zu ver12

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