wendet worden. Ob zum Bau der Ennsburg von 900 die Lorcher Mauern oder Bauten innerhalb des Lagers als Steinbruch benutzt wurden, läßt sich nicht mehr erweisen, weil die damals errichteten Mauern der Burg nicht mehr erhalten sind. Es läßt sich deshalb auch die sehr wesentliche Frage nicht klären, ob die Siedlung Lorch innerhalb der alten Lagermauern damals aufgegeben wurde oder nicht. Da die Ennsburg unter Zeitdruck ummauert wurde, war die Versuchung sicherlich sehr groß, sich bei den römischen Lagermauern das Material hiefür zu holen, zumal diese gegen die Ungarn keinen genügenden Schutz mehr geboten haben dürften. Was geschah aber dann mit der Bevöl kerung, die bisher in ihrem Schutz gewohnt hatte? Blieb sie in ihren Häusern, um nur bei unmittelbarer Gefahr in die neue Burg zu flüchten wie die übrige Landbevöl kerung, oder übersiedelte sie hinter die neue Mauern? Wir wissen es nicht. Allerdings wird um 900 auch in der Zivilstadt Baumaterial zu finden gewesen sein, und die Siedlung Lorch ist später noch ein paarmal beurkundet. So wird in der schon ange gebenen Urkunde von 977 gesagt, die St.-Laurenz-Kirche sei foris mumm erbaut, was sich am ehesten auf die alten Lagermauern beziehen läßt. Damals schenkte Otto II. Lorch (guadam nostri iuris villa nomine Loracho) zusätzlich zur Ennsburg an die Laurenzkirche. Außerdem wird in zwei echten Urkunden aus dem Jahre 1111 bzw. 1110 und in einer vor 1144 entstandenen Fälschung die Maria-AngerKirche als in civitate Laureacensi gelegen bezeichnet. Ebenso noch in einer Urkunde von 1220, deren Wortlaut allerdings aus der Fälschung zu 1144 übernommen ist. Eine andere Urkunde aus dem Jahre 1220 bezeichnet hingegen diese Kapelle bereits als in Enns liegend und nach einer vor 1288 entstandenen Fälschung befand sie sich im Orte Lorch. Ganz gleich, ob man civitas mit Burg oder Stadt übersetzt, spricht diese Bezeichnung für ein Weiterbestehen des alten Lagers mit seinen Mauern über das Jahr 900 hinaus. Als Zeitraum für ihren Abbruch und die Aufgabe der Siedlung ergeben sich nach diesen Urkunden die Jahre zwischen 1144 und 1220. Hier wieder kommen am ehesten die Jahre nach 1192 in Frage, in denen die Babenberger die neue Stadt Enns anlegten und großer Bedarf sowohl an Baumaterialien als auch an neuen Stadtbewohnern gegeben war. Wir wissen auch, daß bei der Gründung von Braunau 1260 Bauern gezwungen wurden, in die neue Stadtzu übersiedeln. Diese Annahme setzt allerdings voraus, daß sich nicht nur Burg und Ort Enns,sondern auch Lorch als Passauer Lehen 1192 in der Hand der Babenberger befand. Was nachher noch von Lorch übrig blieb, war außer den beiden alleinstehenden Kirchen nur die kleine agrarische Siedlung, welche den ehrwürdigen Namen weitertrug. Hier sind 1282 und 1325 einzelne Höfe erwähnt. Die Laurenzikirche sollte nach den Wünschen Bischof Pilgrims von Passau Mittelpunkt eines Erzbistums werden. In der Vita Severini wird auch ein Bischof von Lorch genannt und diese Vita war im 10. Jahrhundert in Passau bekannt. Es entstand dadurch schon Mitte dieses Jahr hunderts dort die historische Kombination, die Bischöfe von Passau seien die Nachfolger jener von Lorch gewesen, und Bischof Adalbert nannte sich gelegentlich bereits nach diesem seinen vermeinten ursprünglichen Sitz. Nach der Niederringung der Ungarn behauptete Bischof Pilgrim, Lorch sei Erzbistum gewesen und habe Suffragane in Ungarn und Mähren besessen. Er versuchte durch Her stellung einer Reihe von gefälschten Urkunden die Er hebung Passaus zum Erzbistum durchzusetzen. Alle diese Fälschungen waren für oder von Erzbischöfen von Lorch ausgestellt und als Sitz dieses früheren Erzbistums wird eindeutig die St.-Laurenz-Karche angegeben. Man hat also zur Zeit Pilgrims die St.-Laurenz-Kirche für die spät römische Bischofskirche von Lorch gehalten, machte aber aus ihr den Sitz eines Erzbischofs. Im Jahre 977 war der Erzbistumsplan zwar schon am Widerstand von Kaiser und Papst gescheitert, von Pilgrim aber wohl nur vertagt, jedenfalls noch nicht ganz aufge geben. Damals schenkte Otto II. das praedium Ennsburg und zehn Königshufen in Lorch nicht direkt an das Bistum Passau, sondern an die Kirche der heiligen Stephan und Laurenz, „wo in früheren Zeiten der erste Bischofssitz ge wesen" sei. Da Pilgrim den Sitz des Bistums hieher verlegen wollte, ist diese Schenkung an St. Laurenz leicht zu er klären. Schenkungen wurden ja nicht an den Bischof oder das Bistum, sondern an die Kathedralkirche gegeben. Pilgrim erhielt aber nur jene Ausfertigung genehmigt, in der von einem früheren Bischofssitz, nicht aber von einem Erzbischofsstuhl die Rede war. In der Zeit zwischen 985 und 991 hielt Pilgrim hier auch eine seiner Synoden ab. Im Jahre 1035 ist uns Lorch ohne nähere Angabe nochmals bezeugt und 1111 stellte hier Bischof Ulrich von Passau eine Urkunde für St. Florian aus. Bei beiden Nennungen ist als genauere Ortsbestimmung wohl am ehesten an St. Laurenz oder den dortigen Pfarrhof zu denken, wenn dies auch nicht ausdrücklich gesagt wird. Ende des 12.Jahr hunderts hatte dann die neue Siedlung Enns bereits so große Bedeutung erlangt, daß auch die Laurenzkirche als in Enns hegend bezeichnet wird. So dürfte jenes Kapitel, das Bischof Diepold 1180 in Enns hielt, am ehesten in St. Laurenz abgehalten worden sein und auch die 1187 erwähnte jährliche Totenfeier der Geistlichkeit wird hier stattgefunden haben. Obwohl sie verhältnismäßig weit entfernt lag, blieb St. Laurenz bis 1553 Pfarrkirche der Stadt Enns. Ungefähr in der Mitte des ehemaligen Lagers befand sich die Maria-Anger-Kirche, die auf den Fundamenten einer christlichen Kirche erbaut war. Die Kapelle kam wahr scheinlich mit der Schenkung der zehn Königshufen in Lorch 977 an die St.-Laurenz-Kirche und damit an Passau. Das Bistum verwendete sie später zur Dotierung des von den Bischöfen Altmann und Ulrich gegründeten Stiftes St. Nikola bei Passau. Sie erscheint erstmals in der Urkunde Bischof Ulrichs von etwa 1110 und in der Bestätigung Heinrichs V. von 1111 als Besitz des Stiftes. In der vor 1144 angefertigten Altmannurkunde wurden ihr Pfarrechte zuge sprochen, was außer der Vogteibestimmung ein weiterer Grund für ihre Fälschung gewesen sein könnte. 1220 be stätigte Bischof Ulrich von Passau dem Stifte diese Rechte, während Papst Honorius HI. in einer Urkunde desselben Jahres nur eine Kapelle anführt. Da im Jahre 1111 die Angerkirche noch Kapelle genannt wird, kann sie damals noch keine Pfarrechte besessen haben. Solche suchte das Stift erstmals durch die Fälschung der Altmannurkunde vor 1144 zu erreichen. Ob sie jemals Pfalzkapelle war, wie Schicker meinte, läßt sich nicht beweisen, ist aber möghch. 62
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