Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 3/4, 1961

KURT HOLTER Wels und das oberösterreichische Barock Vielfältig ist das historische Bild der Stadt Wels,im Herzen Oberösterreichs gelegen. Als römischer Mittelpunkt ist die bedeutende Colonia Aurelia Antoniniana Ovilabis heute schon allen Schülern geläufig und, fast kann man sagen, jeden Tag gibt ihr Boden neue Zeugnisse dieser alten Vergangenheit an den Tag. Als Besitz der Agilolfinger und Karolinger bezeugt, als Hauptstützpunkt der Ver teidigungslinie an der Traun gegen den Osten spielt das Castrum W^elas in der Frühzeit unserer Geschichte eine bedeutende Rolle. Mit ihrem Ubergang an die Babenberger um 1220 gewinnt die rasch aufblühende Stadt fast wieder die gleiche Bedeutung wie etwa tausend Jahre zuvor. Für das Werden des Landes Oberösterreich ist diese Ent wicklung von grundlegender Bedeutung gewesen. In dem Zeitalter, das wir auf künstlerischem Gebiet mit dem Begriff der Gotik verbinden, hat Wels schon den Umfang erreicht, der das Stadtbild für rund fünfhundert Jahre bestimmte. An Baudenkmälern sind aus jener Zeit der Chor der Stadtpfarrkirche mit seinen bekannten Glasfenstern, der frühe Chor der Minoritenkirche und einige weniger beachtete kleinere Kirchenbauten erhalten geblieben, aus denen sich die neu restaurierte, fresken geschmückte Barbara-(Sigmar-)Kapelle als besonders reiz voll abhebt. Von den Profanbauten der Gotik ist die liebe voll wiederhergestellte Burg, mit dem Sterbezimmer Kaiser Maximilians I., und sind einige wenige Höfe und Bauglieder an Stadtplatzhäusern sowie in der Altstadt hervorzuheben. Der Kern der alten Stadt innerhalb der Mauern des M.Jahr hunderts stammt jedoch aus dem 16. Jahrhundert, und es wird unter den rund vierzig Arkadenhöfen, die dieser Teil der Stadt bewahrt, kaum einen geben, der wesentlich nach 1600 entstanden ist. In der Zeit nach 1550 etwa war der Großteil der Einwohner der Stadt protestantisch geworden, ohne jedoch den katholischen Gottesdienst an der Stadtpfarrkirche zu be seitigen. Zu der weit reichenden Handelstätigkeit der Kaufleute am Stadtplatz war ein erstaunlicher Aufstieg des Gewerbes in den rasch anwachsenden Vorstadtvierteln gekommen, bis durch die doppelte Zäsur der Gegenrefor mation und des Brandes von 1626 im Gefolge der Bauern kriege diese Entwicklung für Jahrhunderte aufgehalten wurde. Es ist eine Tatsache, daß der Großteil des Baubestandes der Stadtplatzhäuser aus dem 16. Jahrhundert stammt, wobei durch Jahrzehnte hindurch trotz des Ringens zwischen „deutschen" und „wälschen" Maurern (wobei beide Grup pen vorwiegend deutsche Namen trugen) die Nachgotik in den Formen maßgeblich geblieben ist, die die Innstädte und die bürgerliche Kultur Salzburgs bestimmt haben. Es ist ebenso eine Tatsache, daß der Einschnitt von 1626 bis 1628 die Entwicklung der Stadt so sehr gehemmt hat, daß die Siedlungsdichte der Vorstädte von 1626 erst rund zweihundertfünfzig Jahre später wieder erreicht worden ist — wobei manch eine „Brandstatt" von damals trotz der gewaltigen Entwicklung der letzten Jahrzehnte auch heute noch nicht bebaut ist. Es müßte demnach der Ein druck entstehen, die Zeit des Barocks, das 17. oder das 18. Jahrhundert, seien Epochen der völligen Stagnation gewesen, sie hätten in Geschichte und Kultur dieses Ge meinwesens nicht allzuviel zu bedeuten. Wenn man die vorliegenden Stadtgeschichten überprüft, wird man diesen Eindruck vielleicht bestätigt finden. Andererseits hat ein so überlegen geleitetes Handbuch wie Dehio, Handbuch der Kunstdenkmäler, festgestellt, daß das Bild des alten Wels vom Stil der Barockzeit her bestimmt wäre. Es scheint also notwendig und nützlich, diesen Widerspruch zu über prüfen und zu versuchen, den Dingen ihr richtiges Gewicht zuzuweisen. Die Feststellung in dem oben genannten Handbuch gilt vor allem für den Stadtplatz, diese gut übersichtliche, lang gestreckte, in leisen Kurven bewegte Ansammlung von fast siebzig meist dreigeschossigen Häusern, deren Dachzone (es handelt sich überwiegend um Grabendächer) zu einem vierten oder fünften Scheingeschoß emporgezogen ist. Die Blockform der ungemein wuchtigen einzelnen Häuser, die Vorliebe für den „Kubismus" der Inn-Salzach-Bauweise, äußert sich in allen Fassaden,ob diese nun dem 16., 17.oder 18. Jahrhundert entstammen. Auch die Erneuerungen des 19. Jahrhunderts haben sich hier mit wenigen Ausnahmen gut eingefügt. Die Längsachse dieses etwa 450 Meter langen Platzes ist durch zwei Türme betont: Im Westen durch den Ledererturm (erbaut 1618), dessen Pyramidendach (um 1900 erneuert) dem Charakter der übrigen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts entfernten Stadttürme ent spricht, der aber ursprünglich einen Zwiebelturm trug. Die östliche Endigung ist durch den flankierenden, mäch tigen Turm der Stadtpfarrkirche bestimmt, wobei hervorzuheben ist, daß diese optische Funktion in alter Zeit noch deutlicher dadurch ausgesprochen war, daß der Friedhof neben der Kirche weit in den heutigen Platz reichte, woselbst auch eine der Nebenkirchen dieser ab wechslungsreichen Gruppe stand. Das niedrige, noch weiter östlich befindliche, nach dem Brand von 1879 abgerissene Fischertor hatte keine wesentliche abschließende Funktion. Vom Stadtpfarrturm, der übrigens bis weit herauf dem städtischen Bauamt (Stadtkammeramt) und nicht dem Kirchenamt (Lichtamt) unterstand, wissen wir, daß er bis 1731 ein Keildach trug und erst mit dem Neubau von 1731/32 die mächtige Zwiebelform erhielt. Es ist demnach die gegensätzliche oder gleichartige Zweipoligkeit dieses Platzes in den verschiedenen Zeiten eine verschiedenartige gewesen. Wenn wir nun dieses überaus reizvolle, nach innen gewendete Gesicht der alten Stadt studieren wollen, so darf nicht vergessen werden, das dazu gehörige Gewimmel von Wagen und Menschen, die zweimal wöchentlichen 30

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