Ein Brief Lenaus ist erhalten, in wel chem er Nanette Wolf einer Betrach tung über Schuberts Liedkompositio nen würdigt, denen er, mit trefflichen Vergleichen begründend, die Lieder des heute vergessenen Komponisten Zumsteg vorteilhaft gegenüberstellt. Lr schließt; . Aber wozu diese Be trachtungen Ihnen, die Sie gebildet genug sind, solche besser anzustellen, als ich selbst! Doch wird man so leicht schwatzhaft bei jenen, denen man gern die ganze Seele auftun möchte. — Ich danke Ihnen noch einmal für die herrlichen Stunden, die mir Ihr ange nehmes Talent gebracht und versi chere Sie, daß ich noch wenige Ihres Geschlechtes so geachtet, wie Sie ..." Erst in jüngerer Zeit wurde*) das „An Agnes" untertitelte Lenau-Gedicht „Der Hochberg" als mit großer Wahrscheinlichkeit auf diesen Gmund ner Sommer bezüglich erkannt (Agnes war ein Deckname für Nanette). Landschaftsmotive rechtfertigen dieAn nahme, daß es nach einer Wanderung auf den Grünberg entstanden sei: Die Gletscher glühen in dem goldnen Lichte Und rötlich glänzt die Felsenwand, Um diese Gipfel wehen Traumgesichte, Aus frühen Tagen mir bekannt. Im Purpurmeer seh' ich den Nachen treiben: Die Sonne spiegelt sich im weiten See. Am fernen Kloster zähl' ich alle Scheiben, Im Herzen wird mir's wohl und weh. Es locken Täler hinter Felsentoren, Ein Sehnen faßt mich im Gemüt, Nach Glück, besessen — nie — und nie verloren, Verwelkt und niemals noch erblüht! Den Blick laß in die blaue Ferne tauchen — Dort ist es nicht, nur Trug und Pein! Da unten,wodiestillen Hütten rauchen, Da muß es oder nirgend sein! Wie sehr erinnern doch diese Gedanken an das folgende uns überlieferte Ge spräch zwischen Lenau und Schleifer. In des Dichters äußeren Lebensumständen war durch den Tod der vermögenden Großeltern noch 1830 eine Änderung eingetreten; er spielte *) von Prof. Castle, Wien mit dem Gedanken, sich am Traunsee anzukaufen, und bei Lenaus zweitem Besuch in Gmunden,im Sommer 1831, riet ihm Schleifer, indem er ihn ans Fenster führte; „Siehe dorthin nach Traunkirchen!Du magst die blitzenden Fenster zählen des hervorragenden stattlichen Pflegerhauses, das sich im See widerspiegelt und rings der herr lichsten Aussichten genießt, Deinem Traunstein gegenüber. Es ist jetzt billig verkäuflich und frohbereit, einen jungen Dichter samt etwaiger Braut aufzunehmen, die sich wohl auch bald ganz in der Nähe finden lassen würde." — Es ist unschwer zu erraten, auf wen der Ältere da anspielte. Aber dem rastlosen Lenau war das Wurzelfassen in der liebgewordenen Welt des Salz kammergutes verwehrt; schon lockte ein anderes Land.Er hatte Verbindung mit dem schwäbischen Dichterkreis um Uhland und Schwab aufgenommen, von dem er sich mit Recht Anregung und Förderung versprach. Denn in Österreich war an eine Herausgabe seiner Gedichte zunächst nicht zu denken. Ehe er aber den freundschaftlichen Einladungen aus Schwaben folgte, brachte ihm der Sommer 1831 kurz vor dem endgültigen Abschied von Nanette, deren Vater den unsteten Gast nicht mehr gerne sah, den Höhe punkt all seiner Gebirgserlebnisse; die Besteigung des damals nur dem Kundigen zugänglichen Traunsteins. Schon bei seinem ersten Aufenthalt in Gmunden mochte in Lenau die Vor liebe für diesen vielgesichtigen Berg erwacht sein, als er mit Freunden zu dessen Füßen — am entlegenen Lau dachsee — Geburtstag und Genesung feierte*). Dieser See „im stillen Felsentale, Von Schilf und Wald die Ufer rings um säumt", wie der Dichter in einem viele Jahre später entstandenen Fragment schildert, war ihm besonders lieb. So wurde von Kennern**) angenommen, er sei in den berühmten „Schilfliedern" mit verewigt. Uber die TraunsteinBesteigung in den ersten Julitagen 1831 berichtet Lenau seinem Schwager Schurz voll Überschwang; „Vorgestern hab'ich den Traunstein bestiegen. Um sechs Uhr morgens fuhr *) Es kann sich damals noch nicht um eine Gipfelbestcigung gehandelt haben! **) Bischoff, Hrsg. der Textkritik von L.'s Lyrik. ich von Gmunden zu Wasser ungefähr fünfViertelstunden nach der Lanauerstiege. Meine Begleiter waren Hansgirgl und seine Schwester Nani, er ein rüstiger Gemsenjäger, sie eine hübsche, blauäugige Dirne. Wir stiegen aus und die steilen Stufen hinan. Schon am Fuße des Berges hat mich eine Art Freudenrausch ergriffen, denn ich ging voraus und kletterte die Stiege mit solcher Eilfertigkeit hinauf, daß mir der Jäger sagte; ,Das ist recht! so halt! weil Sie da herauf so gut kommen sind, werden Sie auf den Traunstein wie ein Hund hinauf laufen! — Und es ging trefflich, in drei Stunden waren wir oben. Welche Aussicht! Ungeheure Abgründe in der Nähe, eine Riesenkette von Bergen in der Ferne und endlose Flächen. Das war einer der schönsten Tage meines Lebens; mit jedem Schritte bergan wuchs in mir Freude und Mut. Ich war begeistert! Wenn mir mein Führer sagte, jetzt kommt eine gefährliche Stelle, so lachte ich, und hinüber ging es mit einer Leichtigkeit, die ich bei kaltem Blute nimmermehr zusammen brächte und die mir jetzt am Schreib tisch unbegreiflich vorkommt. Meine Zuversicht stieg mit jedem Schritte; ganz oben trat ich hinaus auf den äußersten Rand eines senkrechten Ab grundes, daß die Nani aufschrie, mein Jäger aber frohlockte; ,Das ist Kuraschi! Da ist noch keiner von den Stadtherren außitretenl' . . . Bruder, die Minute, die ich auf dem Rand stand, war die allerschönste meines Lebens; eine solche mußt Du auch genießen. Das ist eine Freude! Trotzig hinabzuschauen in die Schrecken eines bodenlosen Abgrundes und den Tod heraufgreifen sehen bis an meine Zehen, und stehenbleiben und solange der furchtbar erhabenen Natur ins Antlitz sehen, bis es sich erheitert, gleichsam erfreut über die Unbezwinglichkeit des Menschengeistes, bis es schön wird, das Schreckliche; Bru der, das ist das Höchste, was ich bis jetzt genossen . . . Wenn Du nach Gmunden kommst, geh zum Jagerhiasl hinterm Traunstein; sein Sohn Hansgirgl soll Dich aufden Traunstein führen und Dir jene Stelle zeigen; da tritt hinaus und denke dann in der seligsten Minute Deines Lebens an mich. Du wirst mich dann noch mehr heben!" Dieses mit einer uns Heutigen beinahe fremden Verzückung genossene Er19
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