Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 3/4, 1961

JOHANN SPERL AufLenaus Spuren im Salzkammergut Früher noch als manche heute hoch berühmte Alpenlandschaft hat das Salzkammergut geistvolle und schöp ferische Menschen angezogen und in ihrem Schaffen bereichert. Künstler, Musiker und Dichter kamen nicht — wie viele andere Sommergäste — allein der Heilbäder und des Gebirgsklimas wegen,sie suchten und fanden darüber hinaus in einer Zeit, da der Begriff des Alpinismus noch ungeprägt war, hier das großartigste Naturerlebnis. Zu denen, die dieses Erlebnis auch unter Mühen, ja in Gefahren aus kosteten, zählt der Dichter Nikolaus Lenau. Seinen Namen bewahren mit Recht heute noch zwei landschaftlich besonders reizvolle Plätze des Salz kammergutes. Der Wanderweg von Gmunden nach Theresiental, der fern ab von allen Verkehrsstraßen die Traun in ihrem tiefeingesenkten, grünen Bett landabwärts begleitet, malerisch über dacht von mächtigen alten Kastanien bäumen, heißt „Lenauweg"; ja eine der dort zur Rast einladenden Bänke ist bekannt als „Lenaus Morgensitz". Ein anderer einstiger Lieblingsplatz des Dichters ist der nächst Altaussee unterhalb des Pötschenpasses gelegene, buchenumstandene „Lenauhügel", vor dem sich großartig die Gletscherwelt des Hohen Dachsteins ausbreitet. Es fällt nicht schwer, die leuchtende Herbheit sowohl wie die seegrüne Stille dieser Landschaften in des Dichters Werken gespiegelt zu finden. Gewiß lassen sich nicht alle darin enthaltenen Alpenszenen mit bestimmten Ereig nissen oder mit Plätzen des Salzkam mergutes in sicheren Zusammenhang bringen, durften doch auch die Wälder der nordöstlichen Steiermark Lenau öfters begrüßen, aber von vielen Ge dichten kennt man die Entstehungs geschichte. Zunächst ein Blick auf die Jugend des genialen Ruhelosen und auf Erlebnisse, nach denen ihm die Eindrücke der Bergwelt ebenso wie das Wesen der in ihr heimischen Menschen die Heilung von Krankheit an Leib und Seele brachten. Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau, der sich später wegen der damaligen österreichischen Zensurver hältnisse Nikolaus Lenau nannte,wurde 1802 in Csatäd bei Temesvar geboren. Das unstete, wilde Leben des Vaters brachte Not über die Familie. Die zweite Ehe von Lenaus Mutter gab dem Verwaisten wohl eine gewisse Ge borgenheit, nicht jedoch den erhofften sehr bescheidenen materiellen Wohl stand, so daß oftmals der Hunger zu Gast war. Dies änderte sich erst, als die Mutter sich bitterschweren Her zens entschloß, ihren über alles ge liebten „Niki" den reichen Großeltern zur weiteren Erziehung anzuvertrauen. Von ihnen auch nach der Gymnasial zeit noch versorgt, widmete sich Lenau verschiedenen Universitätsstudien, zu letzt dem der Medizin. Während der intensivsten Vorbereitung zu den Ab schlußprüfungen traf ihn als furcht barer Schlag der Tod seiner Mutter. Dieser Belastung vermochte er weder körperlich noch seelisch standzuhalten, so daß er wenige Monate später sein Studium abbrechen mußte. Und da bot ein Bekannter von Lenaus Schwager Schurz — seinem späteren ersten Biographen — die helfende Hand. Es war der feinsinnige Dichter Matthias Leopold Schleifer (1771 bis 1842), der damals als kaiserlicher Herr schaftsverwalter, „Pfleger", auf Schloß Ort bei Gmunden lebte. Schleifer und Lenau hatten einander flüchtig schon in Wien kennengelernt, und sie ge wannen einander in der Folgezeit so lieb wie Vater und Sohn. Es mag als Zeichen der menschlichen Reife des Jüngeren gelten, daß er, der von un garischen Freiheitsideen durchdrun gene Feuergeist*), die noch ganz im kaisertreuen Denken verwurzelten Dichtungen des wesentlich Älteren nicht nur ihrer geschliffenen Form wegen, sondern auch in ihrer vorneh men Lauterkeit anzuerkennen wußte. Und nicht minder ehrt Schleifer sich seinerseits durch das einmalig frühe *) »Der Gefangene«, in Gmunden entstanden. Erkennen von Lenaus Begabung. Denn damals — im Jahre 1830 — glaubte kaum ein Außenstehender an Lenaus dichterische Sendung. Darin ergibt sich eine durchaus nicht erstaunliche Parallele zu Franz Schubert, der fünf Jahre zuvor nicht etwa als großer Musiker die Gastlichkeit einer Gmundner Bürgerfamilie gefunden hatte, sondern vielmehr als der ein fache Schulgehilfe, der er — wer denkt es noch? — zu jener Zeit gewesen war. Das Haus der Schulleiter-Familie Wolf, in dem Schubert also fröhlich musi ziert hatte, nahm auch Lenaus Besuche freundlich auf. Die zweiundzwanzigjährige Tochter Anna, Nanette geru fen, wußte von Abenden im Gmundner Kammerhof zu erzählen, wo sie, fast noch ein Kind, vor einem erlesenen kleinen Kreis mit Schubert vierhändig gespielt und auch für ihre ausdrucks volle Altstimme großen Beifall ge wonnen hatte. Sie war nicht nur auf musikalischem Gebiet weit überdurch schnittlich gebildet, sondern allem Geistigen in liebenswerter Schlichtheit aufgeschlossen. Ein solches Wesen mußte auf den jungen Dichter, der sich eben dem Zusammenbruch ent rungen hatte und eine sehr tief erlebte unselige Liebesaffäre zu vergessen suchte, in beglückender Weise anzie hend wirken. Aber Lenau stand stets im Schatten seiner eigenen Wesens gesetzlichkeit, der endlich auch dieses stille Sommeridyll verdüsterte. Aus jener Zeit — und nicht, wie man meist liest, von des Dichters schwäbi schem Aufenthalt — stammt das Ge dicht „An meine Rose". Es ist voll romantischer Abschiedstrauer und en det nach Gedanken über die Vergäng lichkeit mit den Versen: „Doch hat, du holde Wunderblume, Mein Herz voll süßen Bebens Dich mir gemalt zum Eigentume Ins Tiefste meines Lebens, Wohin der Tod, der Ruhebringer, Sich scheuen wird zu greifen. Wenn endlich seine sanften Finger Mein Welkes niederstreifen." 18

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