Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 3/4, 1961

Sees mit ihren unermüdlichen Varianten im Spiel der Wellen, im Spiel der Farben und im Spiel der Lichter ausübt. Es ist eine Faszination, die sich niemals und an niemand erschöpft; darum bleibt auch, was nur so daher kommt, „geboren aus Jahreszahl", in Gmunden hinter einer Ahnung des Absoluten zurück, einer Ahnung, die sich gleichsam wie in einer unendlich schönen Metapher in der unnachahmlichen Szenerie der Landschaft verbirgt. Auch die .Ausstrahlungen der kaiserlichen Anwesenheit in Bad Ischl während des vorigen Jahrhunderts waren in Gmunden nicht wesentlich. Dennoch sind ein paar Erinne rungen geblieben, ohne die man sich die Stadt und den See nicht mehr denken kann. Dazu gehört die Straße zwischen Traunkirchen und Ebensee. Es ist eine bewundernswerte Straße, wenn wir die Schwierigkeit des Geländes in Be tracht ziehen, aber sie lohnt heute noch alle Mühe mit ihrer landschaftlichen Schönheit. Je nach Stimmung des Wetters variieren die Ausblicke zwischen lieblich und ge waltig, und das tiefe, milchige Grün, das der See hier zeigt, betont mit seiner Eigenart noch mehr den Reiz dieses Straßenstücks. Eine andere, greifbare Erinnerung sind die beiden Dampfschiffe. Seit mehr als hundert Jahren tun sie ihre Dienste, ruhig zerteilen ihre großen weißen Leiber das Wasser, und die Menschen erfreuen sich stets von neuem an ihrem Anblick,an dem freundlichen Bild ihrer souveränen Erscheinung, die den See so heiter belebt. Allerdings: Die Beruhigung, die den anderen Städten im Land Harmonie und Sicherheit gibt, kann neben dem See niemals ganz aufkommen. In seiner Vielfalt an Er scheinungen wird er vielmehr zu einem steten Faktor der Veränderung. Während Ischl so recht das Gefühl der Geborgenheit ausstrahlt, weil Stadt und Umgebung eine harmonische Einheit eingegangen sind, bleibt in Gmunden immer ein Rest undeutbarer Unruhe zurück. Diese Unruhe ist auch der Atem der Künstler. Sie sind es, die den Urgrund des Lebens suchen — und man wird ihn nirgends mehr gewahr als an einer großen Wasserfläche. Dichter und Musiker kamen daher immer gerne in diese Stadt, wenn auch in einem anderen Sinn als nach Bad Ischl. Denn in Gmunden war kein Gesehenwerden wichtig; hier gab es keine Gesellschaft und keinen Hof, daher war die Stadt auch nie Sprungbrett für eine weitere Karriere. Wennje einer nach Gmunden ging,tat er es um jenerstillen, heimlichen Dinge willen, die man nicht benennen kann. „Lieblich war die Maiennacht — Silberwölklein flogen..." Lenau, Hebbel, Adalbert Stifter — der Kreis um Schleiffer mit Anastasius Grün, Bauernfeld, Vischer ^ wie viele von den Gesprächen, die weiter reichen als alle Zeit, mögen sie wohl geführt haben, Gespräche, die man nicht einmal aufzeichnet, denn sie berühren unmittelbar das Gesetz der Welt, das jeder Mensch einmal spürt, der nur ernst genug bemüht ist, sein kleines Ich auszulöschen. Aber nicht nur die Dichter, auch die Musiker haben den erregenden Grundton der Stadt gespürt und geliebt: Brahms, Goldmarck, Pfitzner — und Schubert sogar. Doch wie das Geschichtliche sind auch Namen und Gedenk zeichen in Gmunden nicht sehr geläufig. Lenaus Morgen sitz ist vernachlässigt und fast vergessen, nur wenige Men schen kennen das Haus,in dem Hebbel lebte, und die Tafel, die an Friedrich Theodor Vischer erinnern soll, ist kaum noch zu entziffern, so nachgedunkelt ist die Schrift. Denn die Zeit — alle Zeit — fliegt an dieser Stadt vorbei wie der rastlose Verkehr auf den Straßen. Nur die Wirk lichkeit: das Gesetz der Natur und das Gesetz der Sehönheit — und hier fallen beide in eins zusammen —,läßt sich niemals zerstören. Darum werden zu allen Zeiten wieder Menschen staunend am Ufer stehen, sie werden hinaus schauen in einen glitzernden oder in einen stürmischen, in einen blauen oder in einen wild-dunklen See und sie werden das Bild der Berge und der sanftgeschwungenen Hügel um ihn bewundern. Und solange dies ist, wird auch Gmunden sein. 17

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