Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 3/4, 1961

von Gedenkstätten und Gedenktafeln, und alle diese Be zeichnungen beschwören eine schöne und reiche Vergan genheit wieder herauf. Und wenn man das Monument betrachtet, das die Stadt ihrem großen Wohltäter Doktor Wirer im Kurpark gesetzt hat, und wenn man sich den Gedanken an diesen edlen Menschen überläßt, dann wird die lange, wechselvolle und dennoch kontinuierliche Ge schichte des kleinen Ortes in allen Ausläufen wieder leben dig, die Geschichte, die sich durch die Zeit zieht wie ein Band, dem immer neue Fäden eingewoben werden — und die Geschehnisse des neunzehnten Jahrhunderts leuchten darin in den intensivsten Farben. Denn Franz Josef verlebte sehr entscheidende Momente seines Lebens inmitten der Landschaft von Ischl: die Tage der Kindheit in unbekümmerter Umgebung, die Jünglings zeit, die erste Jagd. Er liebte dieses Land, darum bevor zugte er es auch als Kaiser; und er feierte sein großes Fest der Verlobung mit Elisabeth nicht in Wien, sondern in Ischl; er blieb dem kleinen Ort verbunden. Sein Bild ist deshalb aus Ischl — auch aus dem Bad Ischl von heute — nicht wegzudenken. Noch sind die alten Postkarten in den Auslagefenstern einer kleinen Trafik: der Kaiser als „Franz Moser", der Kaiser beim Schreib tisch, Elisabeth in großer Toilette, Elisabeth als Jägerin. Der „Kaiser" ist immer noch ein Begriff. Und was wäre auch die kleine Stadt ohne sein Andenken? Was wäre sie ohne die Kaiservilla, ohne den Kaiserpark? Überall auf der Welt haben die beiden letzten Kriege Werte verdreht und Maßstäbe zerbrochen, die Bezeichnungen von Straßen und Plätzen waren häufig nicht mehr als Blätter im Wind: eine Handbewegung und sie galten nicht mehr. Diese Ereignisse gingen am Ischl des Kaisers spurlos vorüber. Heute noch schmücken kleine Kronen die Lampen im Kaiserpark, das Kaiser-Standbild in der Au draußen steht fest, der Rudolfsturm aufdem Siriuskogel heißt immer noch Rudolfsturm, und der „Sophien-Doppelblick" hat seinen Namen nicht ändern müssen. Vielleicht ist das deshalb, weil so viel Menschliches — Freude und Leid — in das Verhältnis des Kaisers zu der kleinen Stadt eingeflossen ist, weil sich die verschiedensten Beziehungen wie ein enges Flechtwerk über Ischl gelegt und ihr Zeichen tief in die Substanz eingedrückt haben. Darum tut sich das „Erbe Franz Josefs" nicht nur in Namen und Erinnerungen, sondern auch in sehr realen wertvollen Dingen kund. Das größte Geschenk, das dem Salzkammer gut und besonders eben Bad Ischl aus der Kaiserzeit ge blieben ist, sind die verschiedenen Verbindungswege. Welche Anstrengung und welchen Zeitaufwand bedeutete es doch noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, um von Wien nach Ischl zu kommen. Heute machen wir eine gemütliche Reise von ein paar Stunden, wir lesen dabei die Zeitung und denken kaum mehr daran, daß es nicht immer so einfach war. Noch intensiver, wenn auch heim licher und verschwiegener berichten die zahlreichen Jagdund Wanderwege in der näheren und weiteren Umgebung Bad Ischls von der Atmosphäre in der Zeit Franz Josefs. Der romantische Jubiläumsweg zum Hoisenrad hinauf wurde dem Kaiser zu Ehren erschlossen, die Nussenseestraße wurde zu seiner Zeit eröffnet, überallhin wurden die Wege für den Jagdwagen des Kaisers fahrbar gemacht. Etwas vom Schönsten aber ist heute noch der Weg in die Chorinsky-Klause. Besonderes findet sich freilich dort nicht. nur ein einfaches kaiseiliches Jagdhaus steht sehr einsam am Wasser, aber ein paar Minuten weiter in einer freund lichen Waldlichtung überrascht uns der „Kaisertisch" mit seinen steinernen Sitzen. Wenn man dort rastet, ist von der ganzen Welt, von ihrer Unrast und ihrer Mißgunst, von ihren Streitigkeiten und von ihrem Lärm nichts mehr vorhant en — hier gelten nur das Rauschen des Waldes und die donnernde Gewalt des Wassers, das unaufhörlich über Steine rinnt, denen eine unermeßlich lange Zeit ihr Siegel aufgedrückt hat. Ein großes Sinnbild: daß Millionen von Menschenaitern notwendig sind, bis das Wasser in seiner Geduld eine kleine Mulde im Stein ausgewaschen hat. Daneben stehen wir, die wir in lächerlichen Tagen und Stunden zählen, und dünken uns groß. Wir belegen unsere kleinen Taten mit tönenden Attributen, und doch genügt schon ein falscher Tritt, ein kleiner rollender Stein, ein unbedachtes Wort, uns aus dem Geleise zu werfen. Die Macht der Natur zu erkennen,gibt die Demut wieder — und diese Demut macht stark. Sie befähigt die Menschen, „die eines guten Willens sind", in der Zeit zu stehen und sich dennoch nicht an sie zu verlieren. Natur ist ein unversieglicher Kraftquell und ein festes Fundament — ein Urgrund, der uns alle, die Illyrer, den Kaiser und die Men schen des zwanzigsten Jahrhunderts, hält mit dem schönen Wort: Heimat. II. Das andere Gmunden Die meisten Städte wachsen um ein Greifbares. Sie beginnen irgendwo, ein Zentrum festigt sich, eine Situation, ein Brocken Historie oder Glaubenskraft schafft sich ein sicht bares Zeichen der Mitte. Manche Städte aber — wenige nur — sind anders. Ein größerer Radius als das geschicht liche Geschehen hat ihnen den Bogen geschlagen, und in diesem Bogen leben sie nun, ausgerichtet auf einen uner reichbaren Mittelpunkt, der sie wie ein Traum beherrscht. Eine solche Stadt ist Gmunden. Äußerlich schon zeigt sich dieses Bild, denn wie in eine absolute Gegebenheit schmiegt sich die Stadt in die weite Rundung des Ufers. Doch hat sich die Atmosphäre der natürlichen Umgebung niemals mit dem historischen Bereich vermischt. Mit einem immer verwandelten Antlitz geht vielmehr der Mensch durch diese Stadt, er wechselt die Namen,wie er die Generationen wechselt, er geht durch Jahrhunderte und durch Jahr tausende. Einer gibt dem andern die Hand, einer nimmt des anderen Stelle ein; einer nach dem anderen kommen und gehen sie, leben ihr Schicksal, denken ihre Gedanken und tun, was ihnen zukommt:jeweils das Ihre. Aber alles, was von Menschen geschieht, bleibt in dieser Stadt am Rande; ihr Wesen ist: Ufer, Peripherie zu sein. Die Mitte jedoch, um die alles wird, ist draußen — ist im See und im Gebirge. Und so kennt auch jeder die klassische Ansicht von Gmun den als das Bild, das sich von der Esplanade oder vom Stadt platz aus bietet: der See als eine weite Fläche, dahinter groß und mächtig der Traunstein, zu seinen Füßen der geduldige Waldrücken des Grünbergs. Die Schlafende 14

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