Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 1/2, 1961

alten „Bauernkunst" zu sprechen, weil ihre Träger in einem wirtschaftlichen und soziologischen Umschich tungsprozeß begriften sind und die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, daß aber von einem Sterben der Volkskunst, richtiger der unpersönlichen Kunst, nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil, wir wagen vielmehr zu behaupten, daß die persönlichkeitsgebundene und von einem linearen Lebensgefühl getragene Hochkunst immer nur kurzlebig ist, während ihre unpersönliche Schwester aus der Quelle des ewi"en Wandels von Werden und Vergehen ihr unversiegbares Leben schöpft. Diese kann sich nun einmal sichtbar entfalten, wenn die Zeiten günstig sind und wenn man sie sehen will; sie tritt bescheiden zurück, wenn der menschliche Genius Orgien feiert, aber sie ist immer da, sie stirbt nicht, sie ist selbst der Boden, in dem jeder Mensch, jede Hoch kunst wurzeln. Was Karl von Spieß von der Bauernkunst gesagt hat, gilt auch für die weitergefaßte, unpersönliche: Sie ist ausgesprochene Zierkunst und daher immer an Ge brauchtgegenstände gebunden, von denen sie sich selten loslöst, um frei und selbständig als Bildkunst zu be stehen. Doch ist auch diese niemals völlig frei, sie steht im Dienste der Religion oder ist durchtränkt von alten mythischen und magischen Vorstellungen. Ihr haupt sächlichstes und zugleich stärkstes Ausdrucksmittel ist das Ornament, das geometrisch, pflanzlich oder figural abgewandelt wird. Landschaft, Porträt oder naturali stische Darstellung sind der echten Volkskunst fremd; wo mythische Inhalte auch figural dargestellt werden sollen, wird stilisiert. Kennzeichnend für die Hersteller von Werken der unpersönlichen Kunst ist das beschei dene Zurücktreten hinter ihre Schöpfung. Sie kennen kein Künstlerzeichen, kein Signum (die alten Werkstatt marken entstammen anderem Ursprung), sie bedienen sich keiner individuellen, sondern einer überlieferten Formensprache und betrachten sich selbst nicht als gott begnadete Künstler. Es handelt sich um Burschen und Männer aus dem Volke, die ihr Gerät verzieren oder ihrer Liebsten eine Freude machen wollen, um Frauen und Mädchen, die ihren Hausrat, ihre Wäsche besticken, um Handwerker, die für ihre Auftraggeber arbeiten. Das bäuerliche Haus war zunächst tlie Keimzelle, dann kamen das Hausgewerbe, in dem neben der Landwirtschaft noch mannigfaches Gerät zum Verkauf hergestellt wurde, und schließlich das zünftische, später das gewerbliche Handwerk aid' dem Lande und in der Stadt als Erzeu gungsstätten in Betracht.In unserer Zeit änderten sich die Verhältnisse insoferne, als das bäuerliche Element fast ganz in den Hintergrund getreten ist, dafür aber zu nehmend die städtische Familie als Flersteller in Frage kommt. Für den Handel arbeiten jedoch nur die Reste der hausgewerblichen Erzeuger, die gewerblichen und in jüngster Zeit in beschränktem Maße auch die groß gewerblichen bzw. industriellen Betriebe. Wenn wir rückschauend die Volkskunst Oberösterreichs betrachten, so drängt sich uns ein überwältigendes Gefühl von der Mannigfaltigkeit, dem Formen- und Farben reichtum der Gerätschaften auf, tlie unsere Väter ge schaffen haben. Den bisher geschlossensten Einblick ver mittelte ein Linzer Künstler, Max Kislinger, mit seinem Buch „Alte Bauernherrlichkeit" (Linz, OÖ. Landesver lag, 1957). Das bäuerliche Element, das zahlenmäßig und wirtschaftlich dem Lande sein Gepräge verlieh, stellte den größten Anteil. Daneben entfaltete das Bürgertum in den Handwerksbetrieben der Märkte und Städte seine schönsten Leistungen. Wenn wir die Fülle des Über kommenen sichten, dann müssen wir uns darüber im klaren sein, daß wir eine Summe aus vielen Jahrhun derten vor uns haben, daß die Reichhaltigkeit wie bei der „Ahnenhäufung" nur eine scheinbare ist, daß es lange Zeiten der wirtschaftlichen und kulturellen Armut und verhältnismäßig kurze der wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Entfaltung gegeben hat. Versuchen wir eine Systematisierung! Zu den ältesten Fertigkeiten des Menschen zählt das Flechten aus Stroh oder Weide. Das Material ist genügend vorhanden, im autarken Dorf, bei schlechten Verkehrsverhältnissen, war diese Kunst über ganz Oberösterreich verbreitet. Am längsten fiat sie sich wohl in kulturellen Rückzugs gebieten, im Mühlviertef, gehalten, wo noch zwischen den beiden Kriegen altertümlich anmutende Körbe aus Spanholz und Stroh, runde und ovale Backsimperl von handwerklich-geschickten bäuerlichen Menschen her gestellt wurden. Eine fast gleiche zeitliche Tiefe und räumliche Verbrei tung besitzt die Kunst des Webens. Auf der Grundlage des Flachsanbaues bzw. der Schafzucht war zunächst das Fertigen von Stoffen auf den bäuerlichen Hof be schränkt. In späteren Jahrhunderten verlagerte sich das Schwergewicht räumlicfi auf das Mühl- und Hausruck viertel und dem Bauern trat der zünftische Handwerker zur Seite, der sich jedoch nur auf die letzten Phasen der Textilherstellung konzentriert. Die Landhandwerksord nung von 1578 kannte schon zwei Grundtypen des Handwerks: Die ländlichen Handwerker, also die Haus gewerbetreibenden, durften nur den groben ,,Rupfen" herstellen und Lohnarbeit übernehmen, den bürger lichen Handwerkern in den Städten und Märkten, also dem nichtbäuerlichen, handwerklich spezialisierten Ele ment, blieb die feine Ware vorbehalten. Der bunte Stoff druck erlangte zunächst wegen seiner schlechten Strapazfähigkeit keine allgemeine Bedeutung. Dies änderte sich grundlegend als im 17. Jafirhundert, von Hofland aus gehend, der Blau- oder Indigodruck eingeführt wurde, der bald über ganz Oberösterreich verbreitet war und sich wiederum im Textilland Mühlviertel besonders konzen trierte. Diese Indigodrucke wurden zunächst vom Haus gewerbe, dann aber von den Färbern und Blaudruckern in den Märkten und Städten, also von bürgerlichen Gewerbetreibenden, hergestellt. Die Blaudruckmuster sind durchwegs ornamental, wo pflanzliche oder figurale Motive auftreten, werden auch sie rein ornamental gelöst. Von den anderen Arten der Textilveredelung muß be sonders die Kunst des Kreuzstich-Stickens erwähnt wer den, die bäuerlichen Ursprung hat und von Mädchen und Frauen zur Auszier der Wäsche geübt wurde. Es ist anzunehmen, jedoch scfrwer nachzuweisen, daß diese Kunst über das ganze Land verbreitet war, da wir sie im benachbarten niederösterreichischen Waldviertel ebenso antreffen. Am längsten gepflegt wurde sie jedoch im Salzkammergut. Der Motivenschatz mutet hier noch viel altertümlicher an wie der des Blaudruckes. Lebens76

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