HELMUTH HUEMER Oberösterreichs Volkskunst in Vergangenheit und Gegenwart Eine Studie FOTOS: MAX EIERSEBNER .Almlehen'. Bemalte Holzfigürchen aus der Viechtau. „Unter Volkskunst verstehen wir Schöplungen, die von der breiten Masse des Volkes hervorgebracht werden. Der Boden, auf dem diese Kunst wächst, ist das Dorf, das noch die geschlossene Wirtschaftsform aufweist, die darin besteht, daß der Bauer alles, was er braucht, selbst erzeugt und nur Salz und Eisen von außen bezieht. Mit der allmählichen Auflösung dieser Wirtschaftsform ver liert auch die Volkskunst Schritt um Schritt an Bedeu tung, bis sie endlich ganz erlischt." Diese Worte hat Karl von Spieß (Bauernkunst) nach dem ersten Weltkriege geschrieben und wir setzen sie deshalb an den Anfang unserer Betrachtungen, weil sie uns mitten in das Thema hineinführen. Man hat Volkskunst lange Zeit mit Bauern kunst gleichgesetzt, genau so, wie man das Arbeitsgebiet der Volkskunde auf die Erforschung des bäuerlichen Wesens begrenzte. Der Grund hiefür ist wohl darin zu suchen, daß in der bäuerlichen Lebensart und deren sichtbaren Erscheinungsformen ihre Elauptmerkmale besonders hervortreten: die Unpersönlichkeit, die Über lieferungstreue und die Eunktionsgebundenheit. Den Gegensatz zur Volkskunst bildet die Hochkunst, deren wesentliche Ilennzeichen u. a. die Bildung einer aus geprägten Persönlichkeit, tlie Entwicklung eines beson deren Stiles und das Schaffen um seiner selbst willen darstellen und die dem linearen Lebenskreise der Stadt bzw. dem des Nicht-Bauern zugeordnet wird. In ihren extremen Erscheinungsformen ist eine solche Katalogisie rung durchaus richtig, doch verlaufen die Grenzlinien nur zum Teil vertikal zwischen Bauern und Nichtbauern bzw. Städter, sondern vielmehr horizontal zwischen Bevölkerungsschichten, ja horizontal im Menschen selbst. Die wesentliche Voraussetzung für ein Entstehen von Werken der Volkskunst liegt — neben der „technischen" Begabung — in der seelischen Grundhaltung des Men schen, in seiner Einordnung in einen rhythmischen Lebensablauf, der sich zwischen Glaube und Brauch, zwischen Frühjahr und Winter, zwischen Geburt und Tod bewegt. Jeder Mensch ist demselben unpersönlichen Rhythmus unterworfen, der ewig gleichbleibt, der sich immer wieder selbst „überliefert" und dem die sichtbar geformten Äußerungen des menschlichen Gemütes irgendwie eingeordnet sind. Die „unpersönliche Kunst", wie wir die Volkskunst richtiger nennen müssen, gedeiht natürlich besser in einer Umgebung, die aus sich selbst im Wechsel zwischen Werden und Vergehen lebt, wie dies im alten, autarken bäuerlichen Dorf der Fall war. Doch stirbt sie wirklich in dem Maße, wie sich die bäuer liche Lebensform ändert? Stirbt sie deshalb, weil das moderne Bauernhaus nicht mehr so viele Möglichkeiten der Verzierung bietet, stirbt sie, weil es kaum mehr Sensenscheiden, Wetzsteinkumpfe oder Holzschaffeln gibt, die bemalt, geschnitzt oder gebrannt werden kön nen, und stirbt sie, weil man an einem elektrischen Küchenherd keine Vogelkopfenden mehr anbringen kann wie bei den Feuerböcken? Oder stirbt sie aus Zeit mangel, aus Mangel an Muße, die jede Kunst braucht? Lebt diese unpersönliche Kunst nicht, wenn heute in zahllosen städtischen Familien Oberösterreichs Stroh sterne für den Christbaumschmuck selbst gefertigt wer den, wenn das Bemalen der Ostereier mit zeitlosen Ornamenten immer mehr Freunde gewinnt, wenn sich immer mehr Frauen zu den Kursen drängen, in denen sie auf einfachen Rahmen noch einfacher gemusterte Handweben herstellen können? Ist es vielleicht antiqiuert, romantisch, museal, wenn gelernte Kunsthand werker oder begabte Menschen mit Matura, ja Hoch schulbildung sich hinsetzen und bescheiden, namenlos, zunächst nur aus Freude und unbewußtem inneren Drange Gebrauchsgegenstände aus Stroh flechten, höl zerne Schachteln mit bunten Farben und geometrischen Mustern bemalen und wenn diese Erzeugnisse im ganzen Volke eine so begeisterte Aidhahme finden, daß daraus einerseits namhafte Werkstätten entstehen, andererseits die Flechterei und Spanschachtelmalerei nicht nur in den Schulen, sondern auch von vielen Nichtbauern eifrigst betrieben wird? Diese wenigen Beispiele zeigen uns deut lich, daß es wohl richtig ist von einem Absterben der 75
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