Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 1/2, 1961

aufgebrochen, gesprengt. Es ist die Kunst sprache der Zeit schlechthin. Ideali sierende Kunst hat es nur in Epochen eines überhöhten Selbstbewußtseins der Völker gegeben. Idyllische Naturnach ahmung hinwiederum war immer Aus druck materialistischer Gesinnung im (scheinbar) gesicherten Wohlstand. Doch heute? Weder die Natur, noch der Mensch in ihr sind noch „heil". Und der Mensch bildet sich auch gar nicht mehr ein, es zu sein. Ist die Natur nicht zer furcht und verdeckt von den Werken der Technik, unser Leben verkünstelt und erfüllt von Ersatz aller Art? Sind wir nicht im eigenen Innern zerrissen und uneins mit uns selbst, rastlos ge jagt und haltlos unsicher? Einer solchen Zeit kann eine idealisierende und harmonisierende oder eine idyllische und na turalistische Kunst bestimmt nicht mehr Ausdruck geben. Gibt es solche Kunst heute noch, dann spricht sie mehr Er innerungen aus als den Pulsschlag un serer Gegenwart. Die moderne Kunst kann heute nicht umhin, unserer Exi stenz, so wie sie ist, in die Augen zu sehen und sie zum Sprechen zu bringen. Daher sieht sie die Formen der Dinge und des Menschen zerschlagen und ent stellt. Das ist das erste. Aber dann? Dann scheiden sich auch die Wege der mo dernen Kunst. Viele Künstler kommen über die Trümmer des Menschen- und Naturbildes nicht hinweg. Die Kunst der Lydia Roppolt jedoch versucht durch diese Trümmer hindurchzusehen, hin durchzugehen. Vom naturalistischen Welt bild bleiben nur schattenhafte Schemen und Andeutungen übrig, zerrissen, zer furcht, verbogen, auf den ersten Blick oft abstoßend oder lächerlich. Sie be kommen wir zuerst in den Blick — und wir stoßen uns allzu leicht an ihnen. Doch sie sind unserer Künstlerin nicht Zweck an sich. In ihnen sind vielmehr die Bildelemente samt und sonders — Linien und Umrisse, Farben und Tönun gen, Formen, Gestalten und Gebärden — befreit vom rein naturalistischen Dik tat, allein unterworfen dem künstle rischen Ausdruckswollen. Was der Künst ler glaubt, aussagen zu müssen, das soll herausleuchten, herausspringen in sin nenhaft-malerischer Sprache: diese Geste, jener Blick. Freud und Leid, das un sichtbare We.sen einer Gestalt, der Sinn einer Begebenheit. Noch tiefer: alle Ele mente einer Komposition sollcti wie die Linien einer perspektivischen Zeichnung in einem Punkte des Horizontes zu sammenlaufen zum innersten pulsieren den Herzschlag des Werkes führen. So müssen wir diese Werke sehen, nur so können wir sie verstehen, sie allmäh lich zu eigenem Erleben werden lassen. Jede kleinste Linienführung, jede Far bennuance ist hier von Bedeutung er füllt, sprechend, beziehungsvoll, sinn trächtig, soll uns Erleben vermitteln und zum Miterleben führen. Alles lenkt von der Oberfläclie in die Tiefe hin. Das Zer brechen, Umbilden,Umformen der natür lichen Formen geschieht gerade so, daß die Formelemente diese ihre neue Funk tion erhalten. Freilich — das letzte Wie und Warum einer Formenwelt, ihre letzte „Bedeutung", ist mit Worten nicht zu umschreiben, dazu ist diese Formen welt selbst da. Sie hat in ihrer Sprache etwas zu sagen, was eben nur „so" gesagt werden kann. Wir wollten hier und auch mit der Beschreibung der einzelnen Werke bloß andeuten, wie sich der Be trachter dem Werk unserer Künstlerin annähern kann und wie sehr er wirklich mittun muß, wie sehr er sich allmählich in dessen Tiefenschichten versenken muß, um sie ganz zu erleben. In der Durchdringung dieser Tiefen schichten eröffnet sich uns dann — an Stelle der Schönheit der zerfallenen Oberfläche der Dinge — eine neue sinnenhaft-geistige Schönheit der Formen und Farben, der Innigkeit und Kraft, de;; gläubigen Schwunges und der lieben den Hingabe. Ein Priester hat mit tref fenden Worten bekannt, er habe viele naturalistisch, schön und lieblich ge malte Madonnengesichter gesehen, die ihn völlig kalt ließen; aus den Gemäl den und Gestalten der Lydia Roppolt aber ströme aus der Tiefe eine eigen artige Wärme. Es ist klar, daß die geschilderte Eigen art dieser Kunst, ihr Tiefgang und ihre Konzentration, ihre Gläubigkeit und ihre Stärke aus einer echten Religiosität entspringen. Was uns aus der Tiefe eines jeden ihrer Werke entgegenleuchtet, ist zutiefst Ergriffenheit vor den Glaubens geheimnissen und der Fleilsgeschichte. Selbst wo es nicht religiöse Themen sind, die aufgegriffen werden, spürt man dennoch in ihnen das religiöse Erlebnis der Welt als Schöpfung Gottes (z. B. im Haydn-Fenster „Die vier Jahreszeiten", das während der Österreich-Woche in Düsseldorf 1959 unseren Pavillon schmückte) oder der Ordnungen in Gotte.s Welt (das Sgraffito „Die Familie", das die Gemeinde Wien für die Fassade des Gebäudes Ecke Stoffelergasse—Kai im II. Stadtbezirk bestellt hat). Auf das Wesen der Kunst Lydia Roppolts füllt, wie ich glaube, noch von einer anderen Seite her Licht, in einer Art, die zunächst überraschen wird. Man mag sich fragen, wenn man vor diesen monumentalen, ausdrucksstarken Kunst werken steht und ihr tiefes, erschütter tes religiöses Erleben miterlebt, — man mag sich fragen, was für eine Künstler persönlichkeit hinter ihnen steht. Viel leicht stellt man sich zunächst eine kämpferische, harte, ringende, vielleicht gar eine exaltierte Natur vor. Nichts da von! Ich war überrascht, als ich eines Tages der Malerin gegenüberstand. Ein kindliches, heiteres, ja schalkhaftes We sen, das sich, bei allem Ernst seiner Hin gabe an die Arbeit gerne und unbe schwert einem herzhaften Lachen hin gibt, dann aber wieder, bei Begegnun gen und in Gesprächen, trotz aller seelen ruhigen und fröhlichen Sicherheit und Überzeugung von ihrem Weg, eher et was verlegen und leise schüchtern ist. (Deshalb verstand sie sich auch so gut mit ihrer Schar kleiner, begeisterter Teil nehmerinnen am freiwilligen und unge bundenen „Malkreis" in einer Haupt schule.) Aber haben wir es nicht selbst bemerkt? Diese unbeschwerte Zeichnung und Farbenfreude und Phantasie, unter der die Naturformen zerfließen, sie sind nicht raffiniert und nicht verbissen, nicht gewaltsain neuerungssüchtig und nicht ehrfurchtslos, sondern — bei allem klaren und zuchtvollen künstlerischen Gestaltungswillen, der dabei am Werke ist — kindlich-unbekümmert, schlicht, beinahe einfältig und sogar heiter, ja manchmal — eben ein wenig schalkhaft. Sie kommen aus dem schlichten Gemüt der Malerin. Seit ich die Künstlerin persönlich kennengelernt habe, erinnere ich mich vor ihren Werken oft auch der Worte der Gertrud von Le Fort in ihrem Buch über „Die ewige Frau". Die feinsinnige Dichterin spürt in kluger Selbsterkennt nis sehr wohl, daß schöpferische objek tive Leistung nicht Sache der Frau ist. Wo sie sich dennoch zu wirklich schöpfe rischem Werk erhebt, so bemerkt Ger trud von Le Fort mit förmlich religiöser Hellsichtigkeit, merkt man besonders stark, viel stärker als meistens beim schöpferischen Mann, das außergewöhn lich Charismatische, das da sozusagen durch das eigentliche Wesen der Frau hindurchbricht. Ja das geschieht, der Meinung der Dichterin zufolge, immer irgendwie unbewußt stellvertretend für die Taten, die eigentlich Männer hätten setzen sollen, die aber unterblieben sind. Es liegt mir fern, pathetisch zu werden und etwa von der geschichtlichen Sen dung einer jungen Künstlerin sprechen zu wollen, die noch viel zu geben und sich zu bewähren hat, die die Verant wortung trägt, ihrer Aufgabe treu zu bleiben und ihren Weg weiter zu suchen und zu gehen. (Übrigens liegt die Ver antwortung für Kunst nicht nur bei den Künstlern . . .) 58

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