Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 1/2, 1961

wie in Fäden schicksalhaften Geschehens, verwoben waren, treten sie jetzt viel stärker hervor, die Farbflächen sind größer, die Formen höchst vereinfacht, damit aber gewichtiger, so daß die Aus sage der Bilder mehr artikuliert er scheint als früher. Diese Artikulation ist jedoch nicht etwa auf naturalistische Einzelheiten gerichtet, im Gegenteil, es wird nur Wesentliches gezeichnet, dafür aber — und sei es durch gewalttätige Schematisierungen, Betonungen, Ver- ,,Überzeichnungen" — malerisch wie formenhaft stärkste Ausdrucks- und Symbolkraft entfaltet. Diese Stil- und Aussagemerkmale treffen wir nun in höchst gesteigertem Maße — obwohl noch kurz vor den Fenstern der drei letztgenannten Kirchen entstanden (1955/56) — in einem der zwei Werke, die wohl als die Hauptarbeiten Lydia Roppolts gelten müssen: in den Glas gemälden sämtlicher Fenster der neuen Pfarrkirche St. Michael am Bindermichl (Stadtteil von Linz). Mehr noch — die einzigartige Gelegenheit und Aufgabe, welche der rund um das Langhaus mit parabelförmigem Grundriß verlaufende, zusammenhängende Fensterkranz (90 m lang, 3 m hoch, mit einer Fläche von 250 m2) der künstlerischen Ausgestal tung bot, hat eine ins Dramati.sche ge steigerte Schöpfung hervorgerufen. Die Kirche ist dem Erzengel Michael ge weiht, das Thema der Glasgemälde des Fen.sterfrieses ist „die Engelwelt", der Kampf der guten und bösen Engel um den Menschett in der biblischen Heils geschichte. Rechter Hand das Verführungs- und Vernichtungswerk der Dämo nen vom Sündenfall des ersten Menschen paares und dem Brudermord Kains zum bethlehemitischen Kindermord, zur Versuchung Jesu und Verführung des Judas, weiter durch die Verfolgungs geschichte der Kirche Christi. Linker Fland die Sendung und das Hilfswerk der lichten Geister, allen voran des hl. Michael, des Engels der ägyptischen Osternacht und weiter bis zu jenem Geist, der Petrus aus dem Kerker be freite. Es sind das keine Augcnblick.sbilder, sondern die visionäre künst lerische Gestaltung eines dramatischen Geschehens, eines Kampfes übermensch licher Welten, der auf beiden Seiten des Kirchenraumes hoch oben zur Altarseite hin förmlich dahinstürmt, um erst vor den ausgebreiteten Armen und dem gütigen Blick Jesu, des Weltenrichters am Ende der Zeiten, stillzuhalten. Es scheint, daß die Ausdruckskraft und Wucht dieses Werkes in seiner Art kaum noch überboten werden könnten. Dabei ist seine Aussage nichts weniger als ,,literarisch-illustrativ", sondern eine durch und durch malerische Lösung, in der sämtliche Elemente, Farben und Idnien, Formen und Symbole, Figuren, Gebärden und Kompositionen zu einer Einheit verschmolzen sind, zusammen gefaßt und zu fa.szinierender Wirkung gebracht durch die Leuchtkraft des Glas materials. Selbst die Bleieinfassungen der Glasstücke erhalten hier eine gleichbe rechtigte, zeichnerisch-dramatische Rolle. Originelle, überschäumende Phantasie, wie sie vielleicht in keiner anderen Arbeit der Künstlerin so verschwenderisch am Werke war, gestaltete das Ganze und alle Details in einer auf den ersten Blick verwirrenden, erschreckenden Fädle. Man sehe sich jene Szene am Ölberg an, wo ein Engel sich von oben buchstäb lich senkrecht herabstürzt, um das Flaupt des betend zur Erde gesunkenen Herrn mit unvergetllicher, stürmi.schmitleidsvoller Gebärde tröstend zu um fassen! Die aufgebrochenen Formen in allen die.sen Gemälden, insbesondere das oft völlige Aufgeben der perspek tivischen Zeichnung, ja die Einführung gänzlich imaginärer Perspektivsichten bewirken, daß wir die Darstellungen nicht in einer unnahbaren Distanz, wie auf einer Schaubühne, vor uns erleben, sondern einen engen Kontakt mit ihnen gewinnen. Manchmal werden wir förm lich in ein Ereignis gerissen, z. B. in der impressiven Abendmahlsszene, in der die allein sichtbaren Häupter Jesu und einiger Apostel in einem Rund an geordnet sind, als stünden wir mitten unter ihnen. Die Fülle und Schicksalsschwere des Geschehens drängten dahin, die Darstel lungen paradigmatisch und symbolhaft zusammenzufassen, einzelne Gestalten vertreten deren viele und einzelne Be gebenheiten versinnbildlichen Jahrhun derte, auch reine Symbole wurden in die Bilder verwoben. Ungewöhnlich (durch frühchristliche, ravcnnatische Mosaiken angeregt) die Farbensymbolik: Hier das eiskalte, schneidende Blau als Farbe der Dämonen, die meistens nur als eine blaue Faust im Bilde sichtbar werden: eine solche legt sich z. B. über Kains Augen, trübt seine Sinne, daß er den Dolch gegen seinen Bruder erhebe, dessen gestürzten Körper Todesdunkel umfängt und des,scn Blut wie eine Flamme zum Himmel steigt: die Leidens geschichte der Kirche ist dargestellt in einem Blutzeugen und in einer Gestalt, eingekeilt zwischen blauen Massen, Martyrium der ,,Kirche des Schweigens". Dort aber das in Liebe erglühende Rot der guten Engel, vor allem der in hei ligem Zorn wie eine flammenumsprühte Sonne strahlende hl. Michael, der das Bild ,,des Menschen" bewacht und neben dem Luzifer als erloschener Stern, andere Sterne mit sich reißend, in die Tiefe stürzt; der mit unzählbaren feuer lodernden Flügeln beflügelte Verkünder Gabriel vor Maria; der hoheitsvoll-frohe Engel des Ostermorgens . . . Und im mer wieder die Sonne: untergehende Gnadensonne nach dem ersten Sünden fall; klein, wie neugeboren, nach dem „Fiat mihi" Marias; verhüllt über der Passion. Als ob auch diese Gestaltungs mittel nicht genügt hätten, um der Ge sichte Herr zu werden, so sind die gegenständlichen Darstellungen schließ lich eingebettet und umrahmt von abstrakten Partien, die für ganze Epochen und Welten, für das Wuchern der Sünde, für die Leiden der Welt, für die Quellen und Ströme des Erlösungs werkes dastehen. Das Glasgemälde der Fensterwand hin ter der Sängerempore bedient sich, um wie mit einem Blick die Größe, Weite und Tiefe des Heilsgeschehens zu um fassen, vorwiegend abstrakter Mittel. Nur die Figuren des Urelternpaares ganz links und der Muttergottes mit Jesus ganz rechts tragen wie Ecksteine die Komposition, die dazwischen in abstrakt-symbolischer Darstellung auf gerollt ist und von der Mitte her vom Sinnbild der Allerheiligsten Dreifaltig keit beherrscht wird. Ebenso sind die großflächigen Mosaiken, welche das mitt lere Eingangstor umrahmen, und die Glasgeiuälde der kleinen Rundfenster in den Seitenkapellen vorwiegend abstrakt und symbolisch. Es ist unglaublich, welch eine tiefreli giöse, ja mystische Aussage sich hier in eine nüchterne, moderne Kirche inmitten eines Arbeiterviertels, die bewußt als eine ,,Werkhalle" Gottes konzipiert wurde, wie selbstverständlich einfügt. Das könnte mit den Mitteln einer älteren Kunst heute kaum geschehen. Unser Blick löst sich nur schwer von diesem reichen Werk, über das noch manches zu sagen wäre, doch wir müs sen uns nun dem zweiten Feld der Schöpfungen Lydia Roppolts, ihren Wandgemälden, zuwenden. Wir treten vor das erste dieser Werke, das ihre charakteristische Prägung trägt, vor das dreiteilige Fresko, benannt „Das große Halleluja", an einer Längswand der gotischen Marienkapelle in der Stiftskirche der Benediktinerabtei Sankt Peter in Salzburg. Schon in den roma nischen Vorräumen der Kapelle befin den sich Wandgemälde der Künstlerin, doch in überraschender Entwicklung hat sie erst im „Großen Halleluja" den Weg ihres eigentlichen Stils eingeschla gen — es ist kurz vor den Linzer Fen stern entstanden (1953/54). Ist dieses eine dramatische Dichtung, so das Salz burger Triptychon in seiner ruhigen und breit schildernden Art, seinem ausge54

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