Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 1/2, 1961

spricht, ist ein solcher besonderer Zug. Untl ebenso bodenständig mutet die stets von einer leisen Melancholie gedämpfte Lieblichkeit an, die den Ausdruck dieser Fi guren bestimmt. Die Bibel von Kremsmünster und die von dem gleichen Meister ausgestatteten Handschriften in St. Florian be zeichnen einen ersten Höhepunkt unserer Werkstatt. Der zweite wird etwa zehn Jahre später erreicht und hängt innig mit einem Ereignis zusammen, das für die kulttirgeschichtliche Situation dieser Zeit im südlichen Mittel europa aufschlußreich ist. Knajjp vor 1320 muß sich eine Gruppe von Miniatoren in St. Florian angesiedelt haben, die nun nicht mehr aus dem Westen, sondern aus dem Süden, aus Bologna, kamen. In dieser bedeutenden Uni versitätsstadt blühte die Buchmalerei schon seit langem in großen und wohlorganisierten Werkstätten; wissenschaft liche, vor allem juristische Texte, wurden dort serien mäßig geschrieiten und illuminiert. Als diese bolognesischen Buchmaler nach St. Florian kamen, brachten sie aus ihrer Fleimat nicht nur eine besonders reiche Ornamentik, sondern auch schon den neuen, auf der Kunst Giottos beruhenden Figurenstil des Trecento mit. Ihre Miniaturen werden nicht mehr aus Linien und Farbflächen aufgebaut, sondern aus Körpern, die sich in einem präzise definierten Umraum behaupten. Freilich waren die oberösterreichischen Meister dieser Zeit noch nicht imstande, das grundsätzlich neue Stil prinzip der Italiener in seinem Wesen zu erfassen, doch begannen sie immerhin, sich für die Probleme der drit ten Dimension und deren Verdeutlichung durch eine ent sprechend nuancierte Modellierung der Körper zu inter essieren. Zu welch reizvollen Resultaten diese Auseinandersetzung der bodenständigen Miniatoren mit der Kunst ihrer zu gewanderten Mitarbeiter führte, dokumentiert am ein drucksvollsten die große Kreuzigung aus dem Missale des Wilheringer Andreasaltares. Im Jahre 1320, anläßlich der Weihe dieses Altares, von einem Priester Michael gestiftet, wurde sein Schmuck der Werkstatt von Sankt Florian anvertraut. Einer der Bolognesen malte die gro ßen Rankeninitialen, das Kanonbild aber ist das Haupt werk eines einheimischen Künstlers, dessen Tätigkeit sich in St. Florianer Handschriften von etwa 1310 bis um 1325/30 verfolgen läßt. Hier steigert er, unter italieni schem Einflid3, die Modulation der Oberflächen bereits zu einer solchen Vollkommenheit, daß keine Falte und kein Muskel, ja nicht einmal mehr die Aststümpfe im Holz des Kreuzes, zeichnerisch eingetragen werden; alles scheint wie aus der Grundsubstanz modelliert und ge winnt im weichen Wechselspiel von Licht und Schatten eine überzeugende körperliche Existenz. Daneben aber bleibt er sich der künstlerischen Funktion der Linie noch voll bewußt. Sie beherrscht die Figuren von den Um rissen her und gliedert die ganze Bildfläche rhythmisch auf; im Gewand spielt sie die Säume gegen die Falten aus und schafft so einen polyphonen Formenreichtum von höchster Originalität. Kein anderes Werk des 14. Jahrhunderts hat einen charakteristischen Kunstgriff der Spätgotik, nämlich die Beteiligung des Faltenwurfes am Ausdruckswert einer Szene, mit solcher Kühnheit vorweggenommen (s. Abb. auf S. 1). Der hl. Florian; Holzskulptur in der Stißsgalerie St. Florian. Um 1330/40. (Foto: Gerhard Schmidt, Kunsthistorisches Institut Wien)

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2