Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 1/2, 1961

Sehr verehrte Damen und Herren, diese Sätze beinhalten dos Geständnis, daß untergründig, von übermenschlichen Mächten geleitet, die moderne Kunst, ungeachtet alier Verordnungen und Regulierungsversuche, sich behauptet hat. Auch wenn wir von jeder Wertung absehen, dürfen wir also feststellen, daß die Lebenskraft dieser Kunst bewegung von einer Stärke ist, welche jenen großen historischen Wellen früherer Zeiten gleichzusetzen Ist. Er wägen Sie, welch hoffnungslosen Defaitismus es bedeuten würde. In solchen Bewegungen ein Negativum zu erblicken. Selbst wenn die Dämonie, wie es manchmal scheinen mag, überwiegen würde, so wäre zu sagen, daß dort, wo kein Teufel ist, auch kein Gott sein kann. Aber dem unbeirrt und unvoreingenommen Blickenden wird klar, daß hier Traditionen aus ältesten Perloden wirksam wer den. Nur große, überindividuelle Wirkzusammenhänge vermögen einer Weltschau solche Durchschlagskraft zu geben. Gestatten Sie nun, daß ich, um das Bild zu runden, auf einige negative Begleitumstände hinweise, welche so oft Verständnis und Beurteilung der neuen Kunst erschweren, zum Teil die Kunst belasten. In manchen Fällen auch, graduell verschieden, entwerten. Durch die modernen Mittel der Berichterstattung, durch die Schnelligkeit des Verkehrs (noch für Goethe war eine Italienreise eine Unternehmung großen Stils), durch Publi kationen in besten farbigen Kunstdrucken, die in reicher Zahl vorliegen, wird die Kommunikation unter den Künstlern erleichtert und — manchmal zu sehr erleichtert. Dies führt zur Kopie von Ausdrucksweisen, welche nicht hinreichend selbständig durchblutet sind. Im weiteren Gefolge kommt es zu einer Verschleifung der in Jahrhunderten aufgebauten Prägung völkischer Art, wodurch der Reichtum der Erschei nungen Einbußen erleidet. Zudem verlangt der an Kunst sich entwickelnde Geschäftsbetrieb eine zahlenmäßig große Produktion, damit das investierte Kapital sich amortisiert. Dies zwingt die Künstler zu serienmäßigen Leerläufen, zwingt die Verleger zu modisch aufgeputzten Nichtigkeiten, zwingt die Erzeuger von Gebrauchsgegenständen zur Her stellung von unsolidem Tand, modernistischem Kitsch, zwingt zu Reklame, kurz, diese mit sittlichem Ernst ein geleitete Bewegung gerät in die Motorik zivilisatorischer Abläufe. Selbst geniale Künstler von Weltruf entgehen nicht immer dieser fatalen Mechanik. Sie sehen, wieviele Umstände erwogen werden müssen, will man den Erscheinungen gerecht werden. Keineswegs genügt der sogenannte „gesunde Hausverstand", oder private Liebhaberei, um dIeseZusammenhänge gerecht zu beurteilen. Sie werden vielleicht denken, ich habe etwas allzuweit ausgeholt und es sei die Situation in der Welt für unsere bescheidenen Verhältnisse hier nicht so wesentlich. Gewiß, dank der klugen und mäßigen Politik unserer Staatsmänner haben wir zwischen den bedrohlich mahlenden riesigen Mühlsteinen einen ruhigen Raum, ein Reservat des Frie dens, allein wir würden uns leichtsinnig täuschen, hielten wir uns für das Zentrum, welches in der Stille ruht, in dessen draußen die verrückte Welt sich dreht. Es gibt keinen Ort auf dieser Erde, In dem es sich in selbstgenüg samer Beschaulichkeit sanft leben ließe, den lieben Gott einen guten Mann sein lassend. Und hier setzt das Verantwortungsbewußtsein des Künst lers ein. Hier muß er bei sich entscheiden, ob er jenen dienen will, die Ihr Bewußtsein trüben, um ungestört den Augenblick zu vertrödeln, oder ob er hellwach auf das Leit motiv seines Gewissens hören soll. Im Gewissen des Künstlers fällt die Entscheidung, ob er das Recht der Erst geburt verkauft um ein Linsengericht, oder ob er seine Funktion erfüllt. Und nicht immer liegen die Alternativen klar gesondert in Schwarz und Weiß. Häufiger zeigt sich Grau und will bald schwärzlich scheinen und manchmal eher weiß, je nach dem Grund, auf dem es sich zeigt. Nun komme ich auf die Lage des Kunstvereines zu sprechen. Der Kunstverein Ist über hundert Jahre alt. Alle Vereinigungen mit ähnlichen Gründungsdaten sind ver schwunden. Müssen solche Vereinigungen sterben, einem allgemeinen Gesetz der Vergänglichkeit folgend, oder kön nen sie unter gewissen Bedingungen weiterleben? Ich bin der Meinung, daß solche Institutionen gleich alten Orden Jahrhunderte überdauern können und daß sie In der Dauer ihre Funktion voll ertüllen können, wenn sie nur eines tun: den Gehalt in der Form nicht zu vergessen. Die Werte müssen konstant bleiben, die Form soll sich wandeln und von Generation zu Generation sich erneuern. Nicht so wäre also der Satz zu verstehen, als könne tüchtige Ge sinnung ohne künstlerische Form bestehen. Die künst lerische Form ist im Gegenteil Voraussetzung jeder Be mühung. Doch muß sie gebunden sein an Gehalt, muß dem Gehalt gemäß sein. Die Blickrichtung In der Form tindung muß bleiben, muß hinweisen auf die unveränder lichen Werte. Im Kunstverein nun sind Traditionen lebendig, welche In hohem Maße befähigen, Sammelbecken jener Kräfte zu werden, welche einerseits bodenständiges Gewicht be sitzen, so daß sie vom „Zug der Zeit", mag er noch so stark ziehen, nicht in die dünne Luft bloßer Equilibristik ge weht werden, die sich andererseits aber auch In Ihren Be strebungen brüderlich denen verbunden wissen, die in der weiten Welt auf ihre Art zum gleichen Ziele streben. Es gibt hierzulande ein Sprichwort, das heißt: „Z' weng und z' vü is' Narrnzü." Die Situation nach dem Krieg schien zunächst nicht gerade günstig. Das zitierte Narrenziel wurde nicht selten bedenk lich scharf angepeilt. Es wurden uns Arbeiten vorgelegt, welche in jeder Beziehung ein „Zuwenig" aufwiesen. Dank der konsequenten Aufbauarbeit sind wir heute in der Lage, solche Dinge abseits zu lassen, gleicherweise solche, die mit bloßer Handfertigkeit uns zu übertölpeln versuchen, wie auch solche, deren ehrliches Bemühen nicht ausreicht, ins Gebiet des Künstlerischen vorzudringen. Gerade diese Entscheidungen, manchmal hart, aber uner läßlich, sind für manchen Freund unserer Vereinigung schwer zu begreifen. Er sieht die neue, ihm fremde Form und zweifelt, ob sich dahinter ein Gehalt verbirgt, er zweifelt, ob diese für ihn unfaßbare Form überhaupt fähig ist, einen Gehalt zu binden. Der Künstler Ist ohne weiteres in der Lage, sinnentleerte Form als solche zu entlarven. Nicht so mancher Kunstfreund, dem die alten, vertrauten Meister blickverwirrend vor der Seele stehen. Er halluzi niert in eine schwache, dünnverwässerte Mache die alten, liebgewordenen Inhalte hinein. Und in der kraftvoll neuen Form, die nun dem alten Gehalt adäquat geworden ist, sieht er nichts als vermessene Spielerei, dissonant und lästig, einen Beleg tür die Verderbnis der Zeiten. Wieder andere erkennen den Gehalt nicht, weil er nicht von ge stern Ist, sondern alt und uralt, so alt, daß der Betrach tende, aufgewachsen in geruhsam bürgerlicher Geborgen heit, Ihn nicht mehr erkennt als des Volkes ureigenstes Gut. Und so wird er, der sich Verfechter konservativer Ge45

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