Oberösterreich, 11. Jahrgang, Heft 1/2, 1961

DR.ERICH WIDDER Kunst der Gegenwart in Oberösterreich Gegenwart muß nicht „Moderne" sein, die seit Jahrzehn ten wirksam und last schon ein verstaubter Begriff ge worden ist. Gegenwart ist das jeweilige Leben der Kunst — die Sprache einzelner Künstler (die rechten sind immer Einzelne) zur Stunde: aus Not und innerem Zwang,kann man hinzufügen. Die Prophetie des Bildes kann man nicht töten, weil sie in den Seelen aufleuchtet. Die Wahr träume der Begnadeten, die Schaubilder der tiefer Sehen den, der liebender Erkennenden lassen Ewiges aufleuch ten in der grauen Düsternis der an die Oberfläche des Ihaseins Verirrten und wer diese menschliche Bemühung noch wahrnimmt, kann das Sein plötzlich tiefer erfassen. Das Wesen von Lyrik ist einmal als „stimmungshafte Wesenserhellung" beschrieben worden, das Wort trifft auch die Aussage bildnerischer Mittel. Der Anspruch der Kunst ist nicht erfunden, sondern aus ihrem Wesen erwachsen. Gleichgültig, ob figurativ oder non-figurativ, ein Gegenständliches im Bild, irgendeins, ist zum Anruf der Seele geworden. Alfred Kubin ist vor zwei Jahren gestorben. Daß er mit dem Zeichenstift dem Rätsel dieses und seines Lebens auf den Grund zu gehen suchte, ein mühevolles leidensvolles Leben lang, hat diesen Oberösterreicher weltweit wirken lassen. Über Jahrzehnte der Niederbrüche und Neuan fänge immer sich selbst treu bleibend, das heißt, atd pei nigender Suche verharrend. Die großen Individualisten sind für unser Kunstland wichtiger als die Anbeter dei „ismen" — es gibt hier eine bodenständige Kraft des Landes, die Menschen formt und prägt und erhält in ihrer Bedeutung, in ihrer Sendung. Die Oberösterreicher selbst müßten es noch besser wissen und es glauben, wenn anderswo die Gefahr besteht, die zeitlose Gültig keit solchen Schaffens als Provinzialismus abzutun. Diese Sonderstellung hat gerade auch Alfred Kubin einge nommen. Obwohl er von München aus einst den deut schen Expressionismus mitbestimmte. Sein oft dämonisch genannter, sicher aber hintergründiger Zeichenstil mit seiner oft skurrilen Thematik will sich nicht einordnen — er beschwor einfach die grausigen Geister unseres Jahr hunderts, nachdem er 1906 in dem Zwickledter Haus über dem Inntal ansässig geworden war und von dieser stillen Insel, von seinem friedlichen Garten aus die Welt durchschaute. Der fünfjährige Kubin hat einst schon die Ausrottung einer Drachenfamilie zeichnerisch festgehal ten, in der Zeit, als sein Vater aus Kubins Geburtsort Leitmeritz nach Zell am See übersiedelte; um die Jahr hundertwende entstand das Welttheater, als sich die Er schütterungen unserer Zeit vorbereiteten. Ein ungeheures Werk baute der Mahner aus Zwickledt in diesen langen Jahrzehnten auf. Die Idylle dieses friedlichen Ortes ist immer umdroht von Tod und Weltangst und wo sich sein Menschentum aufbäumt, dort wandelt sein Witz sich in schonungslose Satire. Der Künstler soll einmal gesagt haben: „Jeden ruft Gott mit anderer Stimme." So wird auch die Nacht seines Lebens in einen friedlichen Morgen gewandelt sein. Daß Künstlerschaft gesteigertes Leben bedeutet, größere Lebendigkeit, beweist das reife Werk von Professor Egon Hofmann, der immerhin als hoher Siebziger noch vitale Kraft bekundet, die er vor Jahrzehnten in den Dienst des Künstlerbundes „März" stellte, der heute mehr denn je die Kidtur unseres Landes verkörpert. Vor dreißig Jahren hat sein Wort zum zehnjährigen Bestand dieser Vereinigung das festliche Jahrbuch geprägt, dem wir die folgenden Gedanken entnehmen: „. . . Mit großen Gebärden Kunst zu verkünden, hieße in der heutigen Zeit mit einem 24er Mörser gegen Spatzen schießen ... Denn eigentlich gleichen wir Eremiten in der Klause,so einsam sitzen heute Künstler in ihren Ateliers . . . Wir sind Oberösterreicher mit den Vorzügen und den Fehlern dieses Stammes . .. Dabei verstehen wir Oberösterreicher es nicht, uns in Szene zu setzen, wir sind eigentlich nicht heiter, sondern schwerblütig. Inhalt ist uns wesentlicher als äußere Form, wir sind nicht liebenswürdig oder ge fällig, etwas Bäurisches ist in uns. Aber wir sind zäh, wenn es sein muß zum Raufen bereit, ziemlich kritisch im Grunde genommen, aber eher konservativ, deshalb begreifen wir nicht, warum so viele über uns die Köpfe schütteln. Wir wollen durchaus nicht den braven Bür ger verblüffen oder der Welt irgend einen neuen „ismus" aufdrängen: Freilich erklären wir uns auch außerstande, dem Geschmack der guten Stube zu huldigen . . . Wir sitzen nicht auf dem hohen Roß. Aber wir bilden uns trotzdem ein, daß es bei uns vorwärts geht. Und wir sind stolz daraid', daß es in unserer oberösterreichischen Heimat endlich eine starke bildende Kunst gibt, die sich nirgends zu verstecken braucht . . ." In seinen Bildern ruht die Tektonik wuchtender Gebirgslörmationen, oft im Zusammenhang mit menschlicher Sieillung, Mühlviertler Landschaften stehen in satten Farben. Über Italienbildern liegt eine Art sonniger Düsternis. Auch das Werk dieses Mannes steht für sich. Und seine Worte lassen die ewige Gegenwart der künstlerischen Bemühung um Weg und Bild spüren. Genau vor dreißig Jahren schuf der damals dreißigjäh rige Rudolf Steinbüchler sein großes Kriegergedächtnis fresko am Stadtturm in Vöcklabruck und behielt von eher die Neigung zum monumentalen Wandgemälde. Für Steinbüchler war die Begegnung mit Matthias May Engelszell, SHflskirdie, Blick auf das 1957 von Erik Fröhlich geschaffene Langhausfresko {Foto: Eiersebner) 36

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