Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 3/4, 1960

ten einige hundert Vollautomaten in größeren Industriebetrieben, z. B. in Ebensee, Theresienthal bei Gmunden und in Traun, Eingang gefunden hatten. Was ist nun das Wesen eines „Voll= automaten", was leistet eine derartige Maschine? Sie ist entwicklungsmäßig etwa erst an den Beginn der Periode der eigentlichen „Automation" als hochent= wickeltes technisches Gerät einzuordnen. Moderne Vollautomaten leisten unter den gleichen Voraussetzungen wie in den vorgenannten Beispielen bezüglich Dichte, Stoffbreite, Webart etc. etwa 160 Schüsse je Minute — gegen 20 des Handwebers, 105 am „Oberschläger" und 126 am „Halbautomaten" —, und durch die gleichzeitige weitere Steige= rung des Wirkungsgrades auf 95 Pro= zent ergeben sich Produktionsmengen dieser Gewebeart von maximal etwa 33 Meter in acht Stunden. Hier ist besonders zu beachten, daß eine gut eingearbeitete Weberin unter Auf= sieht eines hochqualifizierten Webmei= sters, je nach Art des Gewebes, 16 bis 30 Vollautomatenstühle betreuen kann. Wir rechnen beispielsweise bei diesem Vergleich mit einem guten Durchschnitt von 3 mal 6 = 18 Stühlen in rationeh lem Einsatz und kommen je Stuhlschicht von 8 Stunden auf 18 mal 33 = 594 Me= ter Gewebe. (Gegen Stuhlschichtleistun= gen von 270 Meter bei Halbautomaten, 138 Meter bei Oberschlägern und 4 Meter bei einem Handwebstuhl.) Gegenüber dem Halbautomaten bedeu= tet dies eine Leistungssteigerung auf mehr als das Doppelte, gegenüber dem Oberschläger auf mehr als das Vier= fache und gegenüber dem Handweb= stuhl auf das Einhundertachtundvierzig= fache. In der Praxis werden derartige Ideal= fälle rationellsten Einsatzes von Voll= automatenkapazitäten jedoch nur dann erreicht, wenn mehrere Gruppen zu je sechs Automatenstühlen zum Einsatz gelangen können. Die Mindestgrenze eines rationellen Einsatzes dürfte in der Regel etwa bei einer Gruppe von sechs Automaten liegen. Es versteht sich von selbst, daß der zur Anschaffung von derartigen Maschinen= gruppen erforderliche Kapitaleinsatz entsprechend hoch und erst dann ge= rechtfertigt ist, wenn für die auf diesen Stühlen in relativ großen Mengen er= zeugten Webwaren ein laufender Ab= satz zu kostendeckenden Preisen erwar= tet werden kann. Hieraus wird die Bedeutung eines „grö= ßeren Marktes" von einem von Zoll= und Verbotsschranken befreiten Europa und in den Überseestaaten mit ihren großen, wirtschaftlich noch wenig erschlossenen Gebieten ersichtlich. Unsere oberöster= reichischen Webereien haben vor 1914 nicht nur die gesamte österreichisch= ungarische Monarchie, sondern auch die Südoststaaten, die Levante und zahl= reiche Verbrauchszentren in Mitteh, Süd= und Westeuropa in bedeutendem Ausmaße beliefert. Es ist als gutes Zei= chen zu werten, daß in letzter Zeit wie= m if ■3P Tischtuch aus dem Sortiment einer Haslacher Buntweberei: Jedes der alten Zeichen „Fische", „Hahnenreiter", „Hirsch", „Herzdoppeladler", „Storch", „Ehehund", „Sonnen^ vögel" usw. hat seit Jahrhunderten seine in Glaube und Brauchtum verwurzelte symbo= lische Bedeutung. Photo: J. Obermüller der Mühlviertier Leinen= und Halb= leinengewebe ausgeführt werden, wobei vorerst Nordamerika und der europäi= sehe Norden als Versandziele laufender Exporte aufscheinen und fallweise auch ein Veredlungsverkehr mit Westdeutsch^ land zu Erfolgen führt. Die Exportchancen für die in Oberöster= reich in hoher Qualität erzeugten Web= waren aus Leinen=, Baum= und Zellwolh garnen und seit neuestem auch aus Kunststoff=Spezialzwirnen sind als durchaus günstig anzusehen, jedoch erst zu einem relativ geringen Teil bisher ausgewertet worden. Die zahlreichen alten Kunden unserer Webereien kennen die Vorzüge dieser Waren, aber auch die ausländischen Ex= perten, welche in letzter Zeit diesen Be= trieben wieder ihr Interesse zuwenden, sind überrascht über die Qualität und Reichhaltigkeit der Sortimente dieser altberühmten Bett=, Haus= und Tische Wäsche. Nirgendwo in Österreich wird z. B. so viel prächtig gemusterter Ja= quardgradl erzeugt wie in Haslach und einigen anderen Orten unseres Landes. Von Wien bis Amerika werden die ele= ganten Mühlviertier Möbelstoffe von der Polstermöbelindustrie sehr geschätzt. Immer mehr Interesse finden die im gleichen Gebiet erzeugten überschweren Vorhangstoffe und technischen Speziah gewebe. Das gleiche gilt für die bunten Mühlviertler Tischdecken, für die sich das Oö. Heimatwerk einsetzt. Diese in sehr geschmackvollen Volkskunstmu= Stern höchsten Ansprüchen gerecht wer= denden Tischdecken werden vor allem in den Fremdenverkehrsgebieten in Fachgeschäften angeboten. Außerdem wären noch verschiedene Arten von Futter= und Einlagestoffen zu erwähnen. Wenn es gelingt, die bisher da und dort bereits in Schwung gekommene tech= nische Neuausstattung und Rationalisie= rung der Betriebe weiter fortzusetzen, wird ein „größerer Markt" unseren hei= mischen Webern gewiß von Vorteil sein und neue Absatzmöglichkeiten eröffnen. Große Bedeutung ist in den letzten Jah= ren auch der Durchführung von Aufträ= gen der Wehrmacht und anderen öffent= liehen Bedarfsträgern zugekommen. Be= sonders schöne kunstgewerbliche Ge= webe, auch aus Wollgarnen, sowie Knüpfteppiche werden in Schwertberg hergestellt. Jedenfalls kann festgestellt werden, daß in den oö. Webereien, z. B. im Mühl= viertel, jenem Gebiet, das in den zehn Jahren der Besatzungszeit so schwer von Entwicklungshemmungen belastet war, heute nicht nur in den größeren, mittle= ren und kleinsten Werken in Haslach und Helfenberg, sondern auch in Mittel= und Kleinbetrieben in Aigen, Ulrichs= berg, Oberneukirchen, Ahorn, Traberg, Urfahr, St. Stefan am Walde und in vielen weiteren Orten in den Bereichen nördlich und südlich der Donau viel lebendige Unternehmerinitiative und Wagemut zum Ausdruck kommen. Der Existenzkampf ist nach wie vor äußerst 57

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