Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 3/4, 1960

Handwebstuhl(ohne ]aquardanlage) für Handwerksbetriebe und Heimarbeiten a b c Rahmengefüge mit Tretvorrichtung d Kettbaum e Streckbaum f Brustbaum g Kniebaum h Zeugbaum j Wiegebalken mit Schußvorrichtung Die Jaquardanlage kann auf einen J derartigen Stuhl oben aufmontiert werden KETTE und SCHUSS VON ERICH MARIA MEIXNER Die kunstgewerbliche Handweberei, wie sie beispielsweise in Schwertberg und anderen Orten betrieben wird, findet in letzter Zeit viele neue Freunde. In den nordischen Staaten, aber auch in Mitteb europa entstanden Vereine zur Förde= rung dieses Edelhandwerks. Woraus besteht nun so ein Handweb= stuhl? Aus einem festen Holzrahmen= gefüge mit sechs sogenannten „Bäu= men", dem Kett=, Streck=, Brust=, Knie=, Schlag= und Zeugbaum, welche unter= einander in sinnreicher Weise verbun= den sind. Der Handwerker arbeitet mit beiden Händen und den Füßen in einem uralten Arbeitsrhythmus und so ent= stehen Gewebe der verschiedensten Art, von feinen Wäsche=, Vorhang=, Trach= tenstoffen und technischen Geweben bis zu modernen Webteppichen, Wandbe= hängen und Abfallband=Webteppichen. Trotz aller technischen Erneuerungen und Verbesserungen ist der eigentliche Webvorgang in unseren Webereien noch heute derselbe wie vor 4000 Jah= ren. Noch immer führt das Webschiff den Schußfaden durch die Ketten, um am Ende der Webbreite zu wenden und in der nächsten Schußbahn zurück= zukehren, worauf sich der gleiche Vor= gang wiederholt: — Kette und Schuß, Kette und Schuß, das uralte Prinzip ... Die Geschwindigkeit dieses Vorganges wurde jedoch im Zuge der technischen Entwicklung sehr wesentlich erhöht, und vom alten Handwebstuhl bis zu den modernsten Buntautomaten unserer Tage ist es ein weiter Entwicklungsweg ge= wesen, — reich an Mühe, aber auch an Überraschungen, dramatischen Konflik= ten und Pionierleistungen. Wenn wir uns mit den Problemen der Maschinenwelt und Technik ausein= andersetzen, werden zumeist nur Bei= spiele aus der Eisenverarbeitung heran= gezogen. Warum eigentlich? Ist es nicht hoch an der Zeit, uns wieder weit mehr als bisher mit der Entwicklung im textilen Sektor zu beschäftigen? Gerade unsere Heimat Oberösterreich ist ein Land, welches in Industrie und Gewerbe auf diesem technischen Gebiet so jji3nche wesentliche Pionierleistungen aufzuweisen hatte, die zum Großteil in Vergessenheit geraten sind. Denken wir an Joseph D i e r z e r, der in Gmunden und Linz Kammgarnspinnereien und Webereien gründete, an Johann Ev. G r i 11 m a y r, der die ersten engli= sehen „Mule=Jennies" nachbaute und im Lande großindustriell verwertete, an Rudolf Honauer, den Linzer Woll= weber und Fahnentucherzeuger für die Schiffahrt auf den Weltmeeren, und so manche andere. Die hohe Kunst der Herstellung von Geweben gilt leider heutzutage den meisten Menschen als allzu selbstver= ständlich. Ihre Entwicklung geht aber jeden von uns an, und es ist gewiß äußerst reizvoll zu versuchen, kurz zu= sammenfassend darzustellen, wie weit die technische Entwicklung, beispiels= weise in der für Oberösterreich so kenn= zeichnenden Erzeugung von Leinen= und Leinenmischgeweben, vorangeschrit= ten ist. Was sind heute die wichtigsten technischen und wirtschaftlichen Pro= bleme dieses Fertigungszweiges, welcher in Oberösterreich derzeit insgesamt 104 Betriebe an 46 Standorten und davon 70 in 16 Mühlviertler Gemeinden, dem Gebiet zwischen Donau und Böhmer^ wald, einschließt? Welche Zukunftsmög= lichkeiten ergeben sich aus den Erfah= rungen der letzten Jahrzehnte? Im 18. Jahrhundert hatte ein genialer, heute namentlich nicht mehr bekannter Handweber, vielleicht im Böhmerwald, vielleicht im Sudetenland, eine sinn= reiche hölzerne Maschine als Aufsatz= gerät zum alten Handwebstuhl erfun= den, welche unter dem Namen „Bröseb maschine" Verbreitung fand und die Mühlviertler Weber schon vor mehr als 200 Jahren in die Lage versetzte, bunt gemusterte Gewebe, lange vor Falcon, Bouchon und J a q u a r d (1752—1834), dem berühmten Erfinder der „Jaquard= Karten", zu erzeugen. Damals war man in Oberösterreich der technischen Ent= Wicklung weit voraus, ein letztes Exem= plar dieser seltsamen „Bröselmaschine" im Haslacher Heimatmuseum erinnert, als historische Kostbarkeit von Experten bewundert, noch an diese Zeit. Die „Bröselmaschine" geriet in Verges= senheit, die wesentlich exakter durch= konstruierten Jaquard=Stühle fanden von Lyon aus in ganz Europa Verbrei= tung. Als später die ersten mechani= sehen Webstühle in Mitteb und West= europa aufgestellt wurden, gab es Weberaufstände und soziale Krisen. Aber im Mühlviertel hatte man es schon sehr bald verstanden, mit den komplb zierten, die Buntmuster noch viel bes= ser hervorzaubernden Lochkarten Jaquards umzugehen. Die Arbeit des Webens ist aber vorerst am Jaquard= stuhl nicht minder anstrengend geblie= ben wie vor der Einführung dieser epochemachenden technischen Neuerung, nur daß sich dem mit Armen und Beinen im gleichförmigen Rhythmus hart dahinarbeitenden Weber der „Latzenbua" als Helfer zugesellte, wel= eher bei gemusterter Ware die jeweils eingefallenen Platinen wieder ausheben mußte. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts sind dann von dem aus Burgdorf im Schwei= zer Kanton Bern stammenden Weber= fürsten Johann Niclaus Vonwiller im oberösterreichischen Mühlviertel, und zwar in seinem Haslacher Werk, die ersten mechanischen Webstühle einge= führt worden. Damals bezeichnete man die ersten Typen dieser Stühle als „Hohlbäume" nach dem Namen der da= maligen Erzeugerfirma. Ihnen folgten später die „Oberschläger" und „Unter= Schläger", in den letzten Jahrzehnten als wichtige Verbesserung die „Großraum= schützen", d. s. vergrößerte Webschiff= typen, u. a. m. In diesem Zusammen= hang ist es nun wohl angebracht, die Frage nach dem Ausmaß dieser so über= aus bedeutungsvollen, die Periode der letzten hundert Jahre kennzeichnenden Leistungssteigerung vom Handwebstuhl zum mechanischen Webstuhl aufzuwer= fen. Die Antwort lautet, berechnet nach den Angaben der Haslacher Weberei= Fachschule, wie folgt: Wenn man dem Vergleich die Erzeu= gung eines Gewebes von beispielsweise 22 Faden je Zentimeter als durchschnitt= liehe Dichte zugrunde legt, können auf einem Handwebstuhl mittlerer Breite 54

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