Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 3/4, 1960

eine Drahtseilleiter von 30 Metern hinabgelassen wurde. Als Expeditions leiter stieg ich als erster zum Grunde ab. Als wir alle unten versammelt waren, öffnete sich unseren erstaunten Blicken an der Rückwand eine Nische voll feenhafter Eisgebilde, unter denen eine Figur deutlich einer „Maria mit dem Kind" ähnelte. Die Wände zeig ten sich aus schichtenlraft gelagerten Eispartien aufgebaut. Dieser Raum gehört heute noch zu den überwälti gendsten Eindrücken der ganzenHöhle und erhielt von mir spontan die Be zeichnung „Große Eiskapelle". Da in der Tiefe keine Fortsetzung zu finden war, traten wir hochbefriedigt von dem Entdeckten den Rückweg an. In der Höhe der Abstiegsstelle erkann ten wir jedoch am jenseitigen Rand Eistürme, konnten aber nicht fest stellen, was sich dahinter befinden mochte. Dieser Frage nachzugehen, lud ich das erfahrene Höhlenforscher paar Ing. Bock und Frau Hanna zu einer weiteren Expedition ein, die am 21. August desselben Jahres 1910 erfolgte. Das Gruselige dieses Abstieges wird glaubhaft, wenn ich berichte, daß sich unsere beiden Träger, stämmige, junge und berggewohnte Männer, nicht bewegen ließen, uns auf der Drahtseilleiter zu folgen, so daß wir auf uns allein angewiesen blieben. Voran Bock, der die Stufen schlug, übersetzten wir den Abgrund auf dem oberen Gesimse einer Eismauer, die vom vorderen zum rückwärtigen Rand verlief und in einen Eisdom voll gleißender Pracht führte, dessen Boden die Decke der unterhalb befindlichen „Großen Eiskapelle" bildet. Ich nannte ihn „Tristandom". Ein 15 Meter messendes Eisgebilde, der „Monte Cristallo", baute sich im Hintergrunde auf und an diesem vorbei senkte sich ein unterirdischer Gletscher, der „Gristallogletscher", wieder in die Tiefe zu einem Kreuzgang, dessen Boden mit einem Eisteppich bedeckt war. Sodann erfolgte ein wegen der Vereisung schwieriger Aufstieg auf einen Sattel, der durch seine Eisfreiheit auffiel (da hier die wärmere Luft sich sammelt), und „Belrapeire" (schöner Ruheort) bezeichnet wurde. Zu der sonder baren Nomenklatur der Höhle sei bemerkt, daß wir, als der erhabenen Natur einzig würdig erscheinend, alle ■ Schotterbank in der Mammuthöhle. Rechts: Erster Abstieg in den Eisschacht 1910. Unten: Pioniertreppe in der Mammuthöhle. Namen aus der mittelalterlichen höfi schen Literatur wählten. Nun erst traten wir in das Glanzstück der Höhle ein, in den „Farzivaldom". Seine Dimensionen sind in der Tat die des Kirchenschiffes in einem rich tigen Dom. Länge ist 120 Meter, Breite 50 Meter und Höhe 25 Meter. Ein mächtiger Eisstrom, der „Montsalvatschgletscher", senkt sich in Wel len zu einem mit Spiegeleis bedeckten, ebenen Saal, die eine Seite begleiten riesige, groteske Eisgebilde, unter denen die „Gralsburg" wahrhaft imposant aufragt. Von der Decke hängen Eis stalaktiten drohend herab, unter ihnen eine mit der Gestalt einer riesigen Hand. Hier setzte ein neuerlicher Eisabgrund,zu dessen Bezwingung wir keine Leiter mehr hatten, unserem Vordringen ein Ende. Zur Fortsetzung der Forschung riefen Ing. Bock und ich noch weitere Teil nehmer nach Obertraun zu einer „Ersten Österreichischen Höhlenfori ims scher-Woche" zusammen. Am 11.Sep tember 1910 konnte die Erschließung aller Räume der Eishöhle beendet werden, woran sich folgende Personen beteiligten: Ing. Bock, G. Lahner, Frau Hanna Bock,J. Kling, Alexander Mörk V. Mörkenstein (|), Salzburg Dr. Alois Hobelsberger, Wien (f), Lajos Kraul, Ödenburg, Leopold Potisek und Johann Klimek, beide Mürzzuschlag, und drei Träger. Wir stiegen den zweiten Eisabgrund durch ein märchenhaftes Eistor, genannt „Eis palast der Königin Kondwiramur" (Parzivals Gemahlin), hinab, pas sierten eine Enge, die man durch kriechen mußte, den „Keijeschluf" —, der eine Klimagrenze bildet, denn unter ihm hört die Eisbildung auf —, und betraten einen Raum,noch größer als der Parzivaldom, der „KönigArtus-Dom" getauft wurde und von dem aus verschiedene Gänge aus strahlen, unter ihnen sind ein ehe maliges Flußgerinne, der „Flußlauf Plimisöl" und der Bachlauf „Korsa" von Bedeutung, weil sie sich in der Richtung zum Tag erstrecken und deshalb in einem späteren Stadium der Erschließung zur Gewinnung eines neuen Einganges in die Höhle dienten, als sich der Rückmarsch durch die ganze Strecke bis zum oberen Eintritt bei gesteigerter Besucherzahl als zu umständlich erwies. Mit dem Erreichten noch nicht zu frieden, gingen wir mit stürmischem 37

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