Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 3/4, 1960

hin und her, strich über Schrank und Truhe manchrnal, die Maser im Zirbelholz, und meinte dann,daß er nun auch um die andere Maser wisse. Das komme daher, weil die ganze Nacht hindurch das Gesicht des Heimgekehrten vor ihm gestanden, so als müßte es ihm das Geheimnis noch einmal erklären, wie man die Zeichen in einem Gesichte deute. Doch wie man eine Maser im Holze nicht ändern, nicht verrücken könne, so auch bleibe er, der Alte, dabei, was er gestern abend ausgesprochen, und er sei da jetzt, nicht um es noch einmal zu überprüfen und es dann einzu tragen in die Akte mit den Namen und Schicksalen. Nein, er sei in das Haus Agath gekornmen, um sich dem Auge der Mutter zu beugen, denn vor einem Mutterauge gebe es kein Geheimnis. Und da sie, Frau Agath, in dem Heim gekehrten ihren Sohn erkannt habe, sei die Heimkehr nicht nur gesegnet, sondern auch eingetragen und aufgeschrieben in das Buch mit den Namen und Schicksalen. Frau Agath blickte aufdie Akte, das Buch, und ihre Lippen schienen schmal wie die Fugen in den Dielen. Und auf einmal, als gebe es nur noch einen Weg für sie, setzte sie sich in Bewegung, über die Dielen und Fugen hinweg und über die Stufen der Stiege dann, die aus dem Flur auf den Boden führte. „Was mag sie haben?" meinte Daniele. „Ich bin nun schon neun Jahre in dem Hause, aber so habe ich sie nie gesehen." Der Alte sah der Gehenden nach, bis die Kehre auf der Stiege sie seinen Blicken entzog. Dann sagte er: „Was wissen wir von einer Mutter, Daniele! Sie geht zu ihrem Sohn. Sie wird ihn aufwecken wie früher immer, weißt du? Und wenn er die Augen aufschlägt und merkt, wo er ist, dann braucht sie ihm nicht erst zu sagen, sie wäre noch mehr Stufen und Stiegen zu ihm gegangen, so viele vielleicht, als ein Herz Schläge tut in einem Leben." Er hatte die Blicke von der Stiegenkehre noch nicht abge wendet, als plötzlich ein dumpfes Zeichen kam, doch nicht von der Stiege her, sondern durch die Decke; es hörte sich an, als wäre in Grispins Schlafkammer ein Gegenstand umgefallen. „Ich muß gleich hin", sagte Daniele und sprang, zwei. drei Stufen auf einmal nehmend, die Stiege hinauf. Oben angelangt, schickte sie einen fast gellenden Schrei hinunter. „Scholtes", rief sie, „Scholtes!" Der Alte, der mittlerweile schon die Schritte in den Flur getan, schleppte sich die Stiege hinauf, und da er die Kammer betrat, blickte er nicht in das Gesicht des Heim gekehrten, weil dieser vor Tau und Tag aus dem Hause gegangen war und das Gesicht mitgenommen hatte wie das Schicksal in dem Drillich. Was der Alte sah, war das andere Schicksal, und der Körper, den das Schicksal sich ausgesucht hatte, lag ausgestreckt auf den Dielen, einem Stück ausgedörrten Holzes ähnlich. Der Alte bückte sich und halfDaniele den leblos scheinenden Körper auf das Bett heben, das auch in dieser Nacht unbe rührt geblieben war, wie wenn es für den Heimgang der Mutter bereitet gewesen wäre. Frau Agath öffnete die Augen noch einmal und blickte, als prüfe sie, wo sie sei. Und da sie in die zwei Gesichter sah, das eine, das sich auskannte in den Geheimnissen, und das andere, jüngere, das nur den Zeichen des Herzens folgte, behielt sie nicht für sich, was Wahres und Gewisses um die Heimkehr gewesen: um das Schicksal in dem Drillich und um den frischen Hügel im Garten. Sie hielt inne eine Weile, hob die Hände ein wenig, als gingen sie dem Glanz, den die Augen zu sammeln begannen, entgegen, und weil der Glanz schon ein jenseitiger war, sah sie weggerückt das Gegenständliche und sich selbst schon mitten auf dem Heimgang zu ihrem Sohn. „Seht ihr ihn?" murmelte sie. „Er kommt schon die Stufen herunter. Jetzt — ist er schon ganz nah. Ich hab's immer gewußt, daß er nicht eine Stunde zu früh kommt ... und nicht eine zu spät . . . wie sein Kamerad .. ." Ein Ruck ging durch ihren Körper, die Augen blieben stehen, aber das Gesicht hatte den Glanz noch. Und Daniele warf sich nicht über die Tote, als wollte sie etwas von der Nähe und dem Atem ihres Sohnes zurückhalten. Der Gefallene Crispin Agath gehörte nur noch seiner Mutter. N U H I N U N Zum 65. Geburtstag des Dichters ARTHUR FISCHER-COLBRIE erschien als Festgabe sein Werk JOHANNES KEPLER Dramatisches Gedicht mit einem Vorspiel und acht Bildern In dieser Dichtung, die ein geschlossenes Bild von Keplers bewegtem Leben gibt und der Weltbedeutung seines Schaffens in feierlich strömenden Versen gerecht wird, ist die harmonische Musik des Sternenganges erhabenes Wort geworden. 12,5 X 20 cm, 156 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag, Schilling 38.— OBERÖSTERREICHISCHER LANDESVERLAG LINZ/DONAU • LANDSTRASSE 41 ■ RUF 26721 Ii 19

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