Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 3/4, 1960

Während er die Dinge also bedachte und sich gegen sie wehrte, mit Fetzen von Worten, geschleudert wie Schrap nells über den Schützengraben, hörte er plötzlich die Tür leise knarren, und er hörte Danieles Atem, ihre Stimme: Was er denn habe,was es um seine Unruhe sei und mit wem er rede die ganze Zeit. Ob sie vielleicht bei ihm bleiben solle die Weile, bis er das Gefühl wieder habe, daß er zu Hause sei, wahrhaftig und gewiß. Er hörte es und wich nicht zurück, er tat aber auch den Schritt nicht aufsie zu, um in der körperlichen Umarmung das Bild des Kameraden zu vergessen und die Geschichte, die er ihm immer wieder erzählt hatte. Sollte er jetzt daran rühren? Sich lösen, befreien aus der Verstrickung, indem er kurz und einfach sagte: „Ich bin nicht Grispin Agath! Hörst du, Daniele? Ich bin es nicht! Ich mag ihm gleichen, ein Gesicht haben wie er und viel leicht auch einen Gang wie er, eine Stimme, ein Herz, aber das Auge des alten Scheites weiß mehr!" Sollte er es sagen? Und dann noch hinzufügen, daß auch Frau Agath, Crispins Mutter, es weiß von dem Augenblick an, da er in dem Drillich vor sie hingetreten! Ja, er schickte sich dazu an. Einmal mußte es ja sein, und vielleicht war die Stunde zumitten der Nachtjetzt bereiter, das Wort aufzunehmen und es nicht wie einen Stein in einen Brunnen fallen zu lassen. Doch da er den Schritt auf sie zutat, den einen, der sie noch trennte, sagte Daniele, ob er unruhig deshalb sei, weil sie nicht gleich gekommen,seinen Kopfin ihre Flände zu nehmen und ihn zu halten, so viele Stunden, als Jahre zwischen ihnen ge wesen. „War es dies, Grispin?" fragte sie. „Oder geht dir der alte Scholtes nicht aus dem Kopf, weil er dich als einziger nicht erkannt hat? Laß ihm nur Zeit, Crispin, jeder Mensch braucht Zeit, auch wir. Oder ist nicht alles so plötzlich gekommen, daß es fast zuviel ist für ein Herz? Du selber, schau, hast noch immer den Drillich nicht ausgezogen, als fühltest du dich wohl in ihm. Es braucht halt alles seine Zeit. Weißt du noch, was du vor dem Apfelbaum im Garten zu mir gemeint hast, damals? — Der Baum nicke uns zu, als wollte er sagen, wir sollten sein wie er, so fruchtbar wie er. — Siehst du, die Jahre sind hingegangen, das Wort aber nicht. Es ist noch da, wie wir jetzt da sind, und wie wir gewartet und geglaubt haben die vielen, die unfruchtbaren Jahre. Sollten wir uns da jetzt nicht Zeit nehmen die Weile, bis du wieder einen Apfel pflückst und sprichst: Magst du ihn, Daniele? Und magst du das Bäumchen auch schon, das wir hier pflanzen wollen,so Gott unsere Stundesegnet?" Sie legte die Handflächen um seinen Kopf, und über ein kleines später knarrte die Tür wieder, und er war wieder allein wie das Schicksal in dem Drillich. Auch die lange, unruhige Nacht ging hinweg über das Haus, die Hähne weckten den Morgen und der Morgen schien munter wie Frau Agath, die heute als erste aufge standen war und schon in der Stube werkte, als Daniele die Stiege herabkam. Doch merkwürdig, ohne den Gruß in den Tag abzuwarten, sagte Frau Agath: „Ob ich mich getäuscht habe, Daniele? Mir war's, als habe die Tür ge knarrt heute nacht — die zu ihm." Und als Daniele, der Wahrheit nicht ausweichend, meinte, es sei keine Täuschung gewesen, da war Frau Agaths Gesicht aufeinmal, wie wenn nichts hineingefallen wäre von der Helle des Morgens. Sie sagte: „Das hättest du nicht tun sollen, Daniele! Wer tausend Nächte wartet,darfsich nicht eine zufrüh nehmen." „Habe ich mir eine genommen?" sagte Daniele. „Ich weiß nur, daß er sich herumgeschlagen hat mit wem,so laut und so wirr, als wäre er noch dort, woher er gekommen: in den tausend Nächten, wie du sagst. Deshalb bin ich hin zu ihm. Und er hat den Drillich noch angehabt.Ich denk', Mutter Agath, es werden noch viele Nächte vorbeigehen, ehe er ihn auszieht." Frau Agath horchte, wie wenn ein Neues, ein Unberechen bares aufsie zukäme, und obwohl sie es sich nicht anmerken lassen wollte, konnte ihr Gesicht die zwei Augen kaum halten. Daniele entging die Veränderung nicht; eine Liebende spürt jeder Gebärde nach, weil sie in der Wachheit des Herzens steht. Ein Blick aber, den das Auge einer Mutter entläßt, ist mehr als eine Gebärde. Daniele sagte daher: „Ich höre es noch, was du gestern abend zu Scholtes gemeint hast: daß es der Drillich sein werde, weshalb er Grispin nicht erkannt habe. Und jetzt, Mutter Agath, bist du es, die sich die Augen ausstaunt, daß er den Drillich noch nicht ausgezogen hat." „Staune ich?" meinte die Frau, die das Geheimnis in der Barmherzigkeit auf sich genommen. „Auch eine Mutter, Daniele, ist nur ein Mensch. Aber dieser Mensch in ihr möchte, daß der andere glücklicher ist als sie. Und ihr zwei, du und er, habt ein Glück verdient, das rund ist wie ein Apfel und rot wie er, so als hätte der Himmel, der alles sieht und weiß, ihn eigens für euch angemalt. Darum geh jetzt und schau einmal, ob sich über Nacht nicht vielleicht etwas geändert hat im Garten. Es könnte ja sein." Daniele, seltsam berührt, neigte den Kopf vor der Frau und ging in den Garten. Hier angekommen, sah sie, daß der Grabhügel, von dem sie nicht wußte, daß Frau Agath ihn gestern abend eingeebnet hatte, frisch aufgeworfen war. Hatte Frau Agath es nicht immer so gehalten, wann sie Immortellen pflanzen wollte? Immortellen . . . Daniele erschrak. Warum hatte Frau Agath den Hügel neu bereitet, nachdem er seinen Sinn verloren? Grispin lebteja, er hatte nicht das Schicksal des Apfelbaumes geteilt, der hier vormals gestanden und in der Blüte plötzlich einge gangen war. Sollte der Hügel etwa — ? Daniele stand, überlegte, bis ihre Finger wie ein Rechen durch die frische Erde glitten. Und als habe ein unsichtbarer Finger auf einmal die Antwort in die Rillen, wie Zeilen, geschrieben,liefsie in die Stube,faßte nach den Händen der Frau und sagte: „Das hast du dir schön ausgedacht, Mutter Agath, ich meine, daß du den kleinen Hügel im Garten frisch aufgeschaufelt hast! Jetzt weiß ich, warum du heute morgen so früh aufgestanden bist. Du hattest gefürchtet, Grispin und ich hätten uns eine Nacht zu früh genommen, und du wolltest es uns zeigen auf diese Weise, nämlich: daß es nicht gut ist vor dem Himmel, wenn zwei, die sich mögen, ihr Bäumchen schon vor der Zeit pflanzen. Ist's nicht so?" Frau Agath antwortete, indem sie die Hände aus denen Danieles löste und sie an sich zog,langsam, als versuchte sie auf dem Wege bis zum Herzen das Geheimnis noch zu halten, wiewohl sie in dieser Weile wußte, daß sie kein Geheimnis mehr habe. Denn der an Crispins Statt Heim gekehrte hatte den Grabhügel, den sie gestern abend einge ebnet, in der Nacht wieder aufgeschüttet zum Zeichen, daß er das Opfer der Mutter begraben wissen wolle. Die Wahrheit war nicht mehr aufzuhalten, und vor der Frau und Mutter, dem Menschen, der das Beste gewollt für die anderen, baute sich größer die Schuld auf als der frische Hügel vor dem Garten. Sie rang mit den Dingen und preßte die Hände mit dem blauen Geäst der Adern ineinander, als der alte Scholtes, eine Akte unter dem Arm,zwischen den Türpfosten erschien. Ob er schon auf sei, fragte er und deutete nach oben, zur Decke, über der Grispin Agaths Schlafkammer lag. Und als Daniele verneinte, blieb der Alte nicht zwischen den Tür pfosten stehen. Er schritt zwischen Schwelle und Fenster 18

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2