HANNS GOTTSCHALK DER HEIMGANG Diese Erzählung Hanns Gottschalks von Frau Agnete Agatha dem Mädchen Daniele und Crispin hat ihre Wurzeln in der Erzählung „Der Baum vor dem Leben"^ die im Sommerheft 1959 verÖfFentlicht wurde. Damals erfuhren wir bereits von dem Soldaten, der für den Freund heimgekehrt ist, „daß des langen und endlosen Wartens ein Ende sei." Und wir erfuhren auch, daß die Mutter stillschweigend diese Heimkehr anerkannte, obwohl sie wußte, daß es keine leibliche war. Sie fügte sich aber der Strahlung der Herzen. Er streifte den Drillich nicht ab an diesem Abend; es schien, als gehöre das Leinen, das steife, starkfädige, zu ihm wie die Haut, die die Kanten im Gesicht überzog. Würde das Schicksal, das gleichsam mit in dem Drillich steckte, sich lösen, heraustreten aus dem Geheimnis, in das die seltsame Heimkehr es gestellt? Und würde Daniele dann das Schicksal hinnehmen wie sie, Frau Agath, den Grabhügel im Garten eingeebnet zum Zeichen, daß in dieser Heimkehr Fügung und Erfüllung seien? Die Fragen sollten in der nämlichen Stunde noch eine erste, wenngleich nicht runde Antwort erfahren. Denn schon hielten Schritte auf das Haus zu, und der Mann, der die Schritte bedächtig setzte, klopfte nicht erst an; er war da auf einmal und ließ die Linke nicht auf der Klinke ruhen wie einer, der nur im Vorbeigehen einen Gruß in die Stille der Stube sagen will. Der solcherart eintrat war der Bürgermeister des Ortes, Scholtes, wie sie ihn nannten. Und weil er in der Gemeinde auch die Beurkundungen, die einem Standesbeamten ob liegen, seit nahezu vierzig Jahren vornahm, wußte er um den Wuchs der Familien gleichermaßen wie um die Zweige, die mit rauher Hand geknickt oder gebrochen vom Schicksal. Ihr, der Witwe Agnete Agath, hatte er im Kriege die Kunde gebracht, daß ihr Sohn Crispin als vermißt gemeldet worden, und nun, da der Vermißte mit Daniele plötzlich auf dem Wagen durch den Ort gefahren war, als sei er nie weggewesen, hatte der Alte die Stunde des Abends abge wartet und sich insgeheim vorbereitet, um mehr in die Stunde mitzubringen als vielleicht nur den Kopf mit der weißen Wolke der Jahre. Es geschah indes, daß sowohl er, der Alte, als auch der Mann in dem Drillich sich mit den Blicken maßen und daß beide den Weg zueinander nicht fanden, den einfachsten, kürzesten, wie es ein Strahl aus dem Auge ist und das Gleiten der Hände in dieser Richtung. Und ehe Frau Agath das Wortfand,die Brücke zu bauen in die Begegnung, sagte der Alte; „Weiß Gott, ich kenne mich aus in den Gesichtern, wie ich zu unterscheiden weiß, wer dieses Stück Acker bestellt und wer jenes. Bei dir aber, Crispin, 's ist merkwürdig, hätte ich mich recht umtun müssen, so du zu mir gekommen wärst die neun Häuser weiter. Da bin ich, Scholtes, hättest du wohl gesagt, und ich wäre vor dir gestanden wiejetzt — mit offenen Augen und doch wie mit zugemachten. Da hätte es gewiß nichts genutzt nachher, wann ich nach deinem Brotbeutel gegriffen, um alles hineinzustecken, auch mein altes Herz vielleicht." Die Worte, obzwar in der Milde zwischen Mensch und Mensch gesagt, blieben stehen zwischen den beiden, wie wenn der Alte einen Zaun aufgerichtet hätte, mit so vielen Staketen daran, als er Silben aneinanderfügte. Daniele, den Alten nicht begreifend, umfaßte mit den Fingern die Tischkante, als gelte es, den Körper zu strecken, ihn anzu heben über den unsichtbaren Zaun. Und da war auch ihr Wort schon. „Wie Ihr sprecht, Scholtes! Alle haben ihn erkannt, und Ihr nur meint —" Der Alte kehrte ihr das Gesicht zu, und das Gesicht sah aus, als hätte er das Fremde aus dem anderen mitgenommen. „Es bleibt dabei, Daniele! Ich hätte vor ihm gestanden wie vor einem Fremden." „Aber es ist doch alles an ihm, wie es früher gewesen", bedeutete Daniele. „Oder hätte ich ihn erkannt über zwölf Felder hinweg?" „Das bestreite ich nicht", erklärte der Alte, ohne seiner Stimme auch jetzt eine sonderliche Betonung mitzugeben. „Ich habe nur gemeint, ich wäre vor ihm gestanden, als hätte mir was die Augen gehalten. Das ist alles." Da sagte Frau Agath, die Hände um den Brotbeutel le gend: „Es wird der Drillich sein, Scholtes, deshalb hättest du ihn nicht erkannt. Nun aber setz dich zu uns, daß gesegnet die Stunde ist und daß er ihn für immer auszieht, den Drillich". Er zog den Drillich auch in der Nacht nicht aus. Er irrte zwischen den Gegenständen in der Bodenkammer, als sei alles noch jetzt um ihn, die Leere in der Verlorenheit der Jahre, die Gefahren, die Gefangenschaft, das Schicksal, gesteckt in den Drillich, und er hörte, daß auch in der Kammer nebenan bei Daniele nicht die Ruhe war. Eine Wand nur trennte zwei Menschen, ein schmaler Gang, eine Tür; für sie, Daniele, war er heimgekehrt, nicht nur durch tausend Wände und Verhaue, wie Menschen sie dem Menschen bereiten, sondern auch aus tausend Nächten in einen Tag. Und dieser Tag war heute, und die Nacht rundete das Heute ab. Er indessen bedachte alles noch einmal: Wie Daniele in der Weile des Willkomms am Nachmittag den Namen Crispin gerufen, als flöge das Wort voraus dem Schlag ihres Herzens und schlösse alles ein, wie die Umarmung nachher. Er hatte gefühlt in dem Augenblick, daß er sie nicht von sich stoßen dürfe, weil es ihr geschehen wäre wie einer Garbe, die ein Sturm umstürzt auf die Stoppeln. Und er hatte weiter gespürt, daß ihm, indem er schwieg und also gab, die Gnade geworden war, aus dem Glück haften, Seligen ein Teil zu empfangen. Nun aber, da auch Frau Agath schwieg und gab, ja die barmherzige Lüge für gesegnet hielt, mußte er sich entscheiden. Denn was würde geschehen, wenn er bliebe und Daniele eines Tages erführe, daß er nicht Crispin Agath sei? Er blieb stehen, horchte, nicht ob bei Daniele nebenan die Ruhe schon eingekehrt sei. Ihm war vielmehr, als laufe plötzlich ein Schützengraben mitten durch die Stube und aus dem Schützengraben greife eine Hand nach ihm: die seines Kameraden Crispin Agath, der vor allem dann, wenn er hingeduckt vor den Trommelfeuern stand, von Daniele sprach und dem Baum vor dem Leben. Und nun sollte er, der Kamerad, mit dem Crispin Agath den letzten Patrouillengang angetreten hatte, mit einer Lüge durch das Haus gehen? Den Drillich ausziehen und die Kleider des Gefallenen anziehen? 17
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