Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 3/4, 1960

E L F R I E D E PRILLINGER Es ist so wie immer: das Gesagte fällt in den tiefen Velour. Im Filz der Konvention verliert sich sogar das Weinen von Sirenen. Freilich: man spricht hin und wider — aber der Staub der Gewohnheit beschlägt die Stimme. Es ist nur mehr Platz für einen Sarg (der braucht keine Luft). Aber die neuen Worte scheuen nicht einmal die Nacht; plötzliche Explosion, wenn sie hart in den Phrasenballon des Stehengebliebenen springen: Schwertfische der Wahrheit — Eine Tür ist weit aufgegangen — selbst wenn man den Blick wieder schließt, weint sich der Regen von draußen unaufhaltsam an unsern Gesichtern satt. Herbstliches Gefühl Allen, die uns verstehn Wir kennen die Not von Anfang an. Wir kennen das gelbe Gesicht, das blicklos und tot uns betrachten kann, bis jede Gebärde zerbricht. Wir kennen den Hunger — nicht nur nach Brot —, den Hunger, der alles versagt, der selbst das Herbstgold der Bäume bedroht, weil er es weinend benagt. Wir kennen die Nacht, die aus Schluchzen ächzt und rotgerändertem Lid; die Nacht, die nach einem Morgen lechzt und doch kein Erbarmen sieht. Wir kennen alles, was bittres Gewicht und bitteren Nachsatz hat; die Not ist ein grelles, schmerzendes Licht und eine dürre Saat. Aber wenn einmal der Same reift aus Sehnsucht und karger Not, wenn alle Bitternis springt und verläuft und in sich selber verloht — dann kommt unser Morgen! Dann stirbt uns die Nacht und aller Jammer verrinnt. Dann ist uns endlich die Straße erwacht, die dem Geheimnis beginnt. Hast Dröhnende Straße dröhnend von Farbe und Bild keine Sekunde, um ein kleines Lächeln vom Asphalt zu heben (man könnte es aufnehmen und streicheln schüchterner kleiner Vogel) keine Sekunde zerfahrener Staub deckt sie zu oder Blick ohne Gesicht. Sie sagen, daß sich wieder alle Zeit erfüllt; der Tag verschließt sich und die Nacht wird breit. Das Licht hat dunkle Ränder um verweinte Augen; in wirren Fetzen hängt der Traum am Firmament. Hast du den Schwärm gesehn der großen Vögel — sie fliehen uns, denn unser Herz wird kalt. Dort aber — hinterm Berg — ballt sich die Glut in eine große Kugel — vielleicht bewahrt sie uns ein neues Reis am Stamm. Das ist uns Heimat: ein Haus, eine lindene Straße, ein Garten voll Traum oder vielleicht eine Stadt. Vielleicht ein Geheimnis, um das jetzt keiner mehr weiß: ein milchiger Stein an dem Weg oder ein gesungenes Lied. Oder ein Baum. Als du ein Kind warst, nanntest du ihn deinen Freund. Doch dann gingst du fort. Aber die Bilder in Kindergesichtern wachsen ein Leben lang mit. Irgendwann springt die Schale. Dann finden wir wieder nach Haus. 16

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